Obituary/Samael - Glauchau
25.01.2006 | 21:2121.01.2006, Alte Spinnerei
Schwitzen, bewegen, schwitzen, bewegen - es ist eine Tour, deren drei Protagonisten ihre Konzertreise gleichzeitig als sportliches Ertüchtigungsprogramm ansehen. Dies bleibt dann wohl aber die einzige Gemeinsamkeit zwischen OBITUARY, SAMAEL und MAROON auf ihrer langen Fahrt durch Europa. Live ist die so unterschiedliche Konstellation an diesem Samstag mitten in Sachsen in Glauchaus "Alter Spinnerei" zu Gast. Die Fans kommen zahlreich, immer mehr werden es, am Ende ist die Halle knapp ausverkauft - obwohl am selben Abend im gar nicht so weit entfernten Elterlein mit SHINING und ein paar anderen Bands ebenfalls ein attraktives Billing zum viel geringeren Preis spielt. Die vielen Zuschauer sind nicht nur aus diesem Grund verwunderlich: In Berlin sollen ein paar Tage zuvor nur etwa 200 Mann bei dem Gig gewesen sein, die Tour scheint wohl generell nicht so bombastisch laufen. Doch in Sachsen ticken die Uhren anders.
Schon bei MAROON gibt es riesige Unterschiede zum Abend in der Hauptstadt. Denn in Berlin soll wohl kaum Interesse am Straight-Edge-Metalcore des Quintetts bestanden haben. In Glauchau dagegen rocken bei MAROON gleich ab den Start-Takten ihrer kraftvollen Musik die ersten Reihen. Ein recht ansehnlicher Moshpit entsteht so, ein paar blaue Flecke werden verteilt. MAROON-Sänger Andre Morawick würde wohl am liebsten auch dort unten bei den Fans toben. Da diese Sache mit dem Mikro in der Hand kaum klappen würde, muss er seine überschüssige Energie auf der Bühne loswerden. Das tut er sehr enthusiastisch, wie ein Derwisch springt er hin und her, vor und zurück, legt weite Strecken zurück - und verzieht dabei das Gesicht, versucht immer möglichst wutentbrannt ins Mikro zu schreien. Dieses etwas aufgesetzt wirkende Getue ist gleichzeitig das einzige Manko einer durchweg energiegeladenen Show. Denn auch die Bandkollegen von Andre wollen sich bewegen, rennen wie ihr Frontmann in beinahe jede Ecke der Bühne. Dazu ertönt ihr brachialer Sound, der sich in der typischen Metalcore-Schublade zwischen Death Metal und Hardcore wiederfindet: Nicht sonderlich spektakulär oder gar aufregend innovativ, aber live ganz nett. Stärker als die brutale Aneinanderreihung von harten Tönen bleibt jedoch die Fülle an Wasserflaschen in Erinnerung, die sich die Band während der Gigs über die bald völlig triefenden Köpfe gießt: Soll es das nächste Mal vielleicht gleich eine echte Dusche auf der Bühne sein? Wie auch immer, die begeisterten Fans in den ersten Reihen feiern ihre Helden, MAROON-Fronter Andre grüßt zurück und kennt zwei der zugereisten Fangruppen wohl schon persönlich. Da die Musik durchgehend nackenbrechend bleibt und sich am hohen Energielevel nicht sonderlich viel ändert, ist der Beifall am Ende des Gigs nicht unverdient - MAROON verlassen völlig durchnässt die Bühne, nachdem Andre seinem Gitarristen noch einmal einen Mund voll Wasser in den Nacken gespuckt hat. Trotz soviel alkoholfreiem Spaß mit kühlem Nass und einem überzeugenden Auftritt muss die Musik von MAROON noch in den großen Kontext Metalcore eingeordnet werden: Wegen sehr vieler und sehr ähnlich klingender Bands klingen die Nordhausener fast schon beliebig austauschbar, die stilistische Bandbreite fehlt trotz all der Wucht.
Da sind SAMAEL schon ein ganz höherwertigeres Kaliber. Anders als MAROON waren die Schweizer in ihrer Geschichte durchweg bestrebt neue Trends zu setzen statt ihnen hinterher zu hecheln - egal ob damals zu "Worship Him"-Zeiten mit beißendem Slow-Motion-Black-Metal oder ab "Passage" als düsterste Elektro-Metal-Diskomusik der Welt. Und so stehen SAMAEL recht unbekümmert und im Wissen um ihre künstlerische Größe auf der Bühne in Glauchau, obwohl ihnen dort nicht sofort großer Jubel entgegenbrandet. Doch Sänger Vorph (früher: Vorphalack) lässt sich davon kaum beirren, mit großem Gestus und seiner dunklen Stimme wechselt er zwischen den verschiedenen Schaffensphasen der Schweizer hin und her - nur die ersten beiden Alben werden nicht berücksichtigt. Zwischenansagen lässt Vorph ebenso fast gänzlich weg. Die braucht es auch nicht, weil das SAMAEL'sche Tonkunstwerk insgesamt so logisch und geschlossen erscheint, dass zu viel Gelaber nur stören würde. Die Sound-Atmosphäre ist dicht, wird immer enger, zieht sich um die Synapsen herum. Denn auch frühere Hits wie 'Baphomets Throne' müssen jetzt zwar live ohne echten Drummer auskommen, doch klingen sie dadurch klinisch-kälter; und immer noch wohnt in ihnen die ganz eigene pechschwarze Energie, die SAMAEL früher zu einer der bösesten Bands der Welt machten. Die Macht des Songs wird noch durch zusätzliche Percussion-Einlagen von Keyboarder XY (früher: Xytras) erhöht: Mit großen Drumsticks springt er beim dramatischen Break des Songs hinter seinem Keyboard hoch und haut mit besonders viel Kraft auf die Felle. Logisch, dass die Fans bei solchen alten Klassikern am meisten jubeln, gut ein Viertel des Saals besteht beim Thron des Baphomet aus kreisenden Haaren. Bei den neueren Songs - und wenn sie noch so dynamisch wie 'Reign Of Light' klingen - verharren dagegen viele der Fans und hören nur zu. Einzig direkt vor der Bühne ist es einigen der Zuschauer völlig egal, was SAMAEL spielen. Eine Blondine in Lackkostüm tanzt beispielsweise wie in Hypnose, schreit immer wieder, scheint völlig gefangen vom allgegenwärtigen Sound. Die Band indes achtet kaum auf die Reaktionen des Publikums. Die Musiker genügen sich selbst, sie liefern eine vor Energie strotzende Show, in welcher besonders Mas (früher: Masmiseim) als wilder Springball-Bassist andauernd in Trockennebelschwaden verschwindet - und genauso schnell wieder aus ihnen auftaucht. Dazu wehen seine Haare im Winde der aufgestellten Ventilatoren: Einen Sinn für solche Art von Ästhetik hatten SAMAEL schon immer. Ebenso verhält es sich mit Frontmann Vorph. Er gleicht zwar eher einem eleganten Fels, denn die meiste Zeit klebt er am Mikro. Doch wirkt er einfach durch sein dunkles Charisma, dass schon durch seine passend gewählte Kleidung entsteht. Er trägt einen schwarzen, weiten Hosenrock, ein rotes, eng anliegendes Shirt, halblange, zum Zopf zusammengebundene, schwarze Haare und einen fein ziselierten Bart: Der Teufel - schon immer der Verführer der Menschheit - könnte selbst nicht besser aussehen. So ist es wiederum nur logisch, dass vor allem viele Frauen und Mädchen bei SAMAEL tanzen und jubeln; besonders als am Ende noch die Allzeit-Klassiker 'Rain' und 'My Saviour' ertönen, steigt die Begeisterung im Saal weiter. So wirkt auch hier der Unterschied zum Berlin-Gig frappierend: Dort sollen SAMAEL ebenfalls wenig beachtet worden sein, in Glauchau donnert dafür Applaus durch die Halle. Seltsame Unterschiede. Denn die Wertschätzung ihrer Fans haben SAMAEL gerade wegen ihrer widersprüchlichen Art verdient, die seit jeher nur die Kunst in den Mittelpunkt rückt und nicht die Wünsche ihrer Hörer - genau solche Bands sind es, die irgendwann einmal als "charakterstark" und "individuell" in die Geschichte eingehen, statt später namenlos in der Leere des Vergessens zu verschwinden.
OBITUARY gehören gleichfalls nicht zu den Namen, die einmal aus der Erinnerung verschwinden - die Band muss schon jetzt in jedem Metal-Lexikon stehen. Denn schließlich haben die Jungs um Frontmann John Tardy mit ihrer Gründung 1985 Musikgeschichte geschrieben. Sie verzichteten als erste Death-Metal-Band vollständig auf Texte und setzten die kranke Stimme ihrer Sängers ganz bewusst als weiteres Instrument ein. Schon immer standen sie gleichzeitig für hammermäßige Live-Shows, in die Annalen der Metal-Historie ging beispielsweise die 1994er Tour mit SEPULTURA ein. Und heute, nach mehrjähriger Pause, der folgenden und viel umjubelten Comeback-Reise sowie dem recht ordentlichen "Frozen In Time"-Album? In Glauchau zumindest wirken OBITUARY von der ersten Sekunde an wie Death-Metal-Könige, die bei aller Euphorie gleichwohl ein wenig zu routiniert wirken. Trotzdem, Songs wie 'Turned Inside Out' oder 'Threatening Skies' machen immer noch aus jeder noch so trägen Masse einen Moshpit, in Glauchau dreht sogar rund die Hälfte des Saals ab. Fans erklettern die Bühne, werfen sich wieder in die Massen - und John Tardy zollt ihnen Beifall, lächelt. Er scheint sich bewusst zu sein, dass OBITUARY im Prinzip alles spielen können, ab einem gewissen Legendenstatus stellen euphorisierte Fans keine Fragen mehr. So bietet der Gig wenig Überraschungen, viel Kost von der "Frozen In Time" und eben immer wieder die ultra-tiefen Riff-Attacken, für die OBITUARY berühmt geworden sind. Als die Zeit der Zugabe anbricht, fällt das hohe Niveau ein wenig ab, denn das Drumsolo von Donald Tardy ist einfach einen Tick zu lang. Dafür können sich die anderen vier Musiker in dieser Zeit entspannen und mit neuer Energie auf die Bühne stürmen. Besonders Trevor Peres fällt dabei durch unentwegtes Laufpensum auf. Dagegen schaltet Bassist Frank Watkins sein Mienenspiel um auf "unbeweglich" und "konzentriert", wenn er einmal dezent lächelt, ist es schon viel. Spielfreudiger wirkt da Allen West, der breit grinst und seine fast arschlangen Haare öfters einmal umher schleudert. Doch allzu viel muss eine Band auch nicht machen, wenn ein Brüllgott wie John Tardy mit auf der Bühne steht: Auf ihn und seine krasse Lockenpracht richten sich die Blicke. Der inzwischen deutlich Bauchspeck ansetzende Frontmann bellt wie von Sinnen ins Mikro; seine sind Blicke voller Wut, seine Gesten voller Aggression, sein Gesicht voller Schweiß. Mit seiner stimmlichen Gewalt werden besonders die letzten drei Songs des Sets zu einem Triumph für Fans wie Band: Dreimal Tod, drei Mal Untergang, mit einer Kombination aus ''Til Death', 'Slow Death' und dem wie immer krönenden Abschluss 'Slowly We Rot' rocken und grooven OBITUARY die Nackenmuskeln der Fans in die Schmerzzone. Trotz so viel Begeisterung ist aber kurz danach auch klar: An die gerade überlebte und total durchschlagende Leistung der anderen Death-Metal-Legende namens BOLT THROWER kommen OBITUARY auf ihrer aktuellen Tour nicht ganz heran - sowohl bei den Ticketpreisen als auch bei der Stimmung während des Konzertgemetzels. Dennoch gehen die Zuschauer aus der Alten Spinnerei wohl mit einem guten Gefühl nach Hause, trotz oder gerade wegen der gewagten Tour-Kombination und zwei qualitativ gleichwertigen Headlinern: Ein solcher Blick über den Tellerrand ist durchaus auch für die Zukunft nettes Futter für chronisch Konzertsüchtige.
PS: Ganz am Ende des Abends, die meisten Besucher sind schon längst gefahren, gibt es übrigens nicht nur musikalischen Terror, sondern Gewalt ganz in "echt": zehn bis zwölf "nette", volltrunkene und sau-aggressive Glatzen machen die Sackgasse dicht, die zur Alten Spinnerei führt und stellen ihre Grölmusik besonders laut. Dann versuchen sie noch Halle und Tourbus zu entern - bis die Polizei kommt und vorsorglich ihre Personalien aufnimmt. Tolle Kackwürste, diese Nazis, gleich im Klo wegspülen...
- Redakteur:
- Henri Kramer