Opeth, Anathema - Köln
24.11.2012 | 09:5121.11.2012, E-Werk
Die perfekte Tour?
OPETH und ANATHEMA zusammen auf Tour: Eine Kombination, die unglaublich stimmig ist und von manchen sogar als nicht zu toppen angesehen wird. Zu dieser Kategorie von Musik-Fans zähle ich mich und bin somit furchtbar gespannt, was für einen Zauber dieser Abend entfalten wird. Beide Bands haben vor nicht allzu langer Zeit Alben herausgebracht (namentlich "Heritage" auf Seiten der Schweden und "Weather Systems" von ANATHEMA), waren damit aber auch schon in Deutschland auf Tour und sind somit nicht "gezwungen", ihr neues Material zu präsentieren.
Und als könnten ANATHEMA meine Gedanken lesen, beginnen sie ihr Konzert (etwas früher als angesetzt) nach dem mittlerweile obligatorischen PINK-FLOYD-Intro nicht (wie bei eigenen Konzerten im letzten halben Jahr üblich) mit 'Untouchable Part 1', sondern mit 'Deep'! Dieser Umstand begeistert nicht wenige Anwesende, die daher auch direkt warm sind. Überhaupt muss man sagen, dass das E-Werk von Beginn an gut gefüllt ist und man nicht den Eindruck hat, hier gerade eine Vorband zu hören, sondern einen wirklichen "Special Guest" – oftmals werden solche ihren Namen ja nur bedingt gerecht. Nach dem düster angehauchten Eröffnungslied ist die Band aber doch eher auf Kuschelkurs und schiebt aus diesem Grund 'Thin Air', beide 'Untouchable'-Teile sowie 'A Simple Mistake' hinterher. Zwar besitzt der Sound heute eine Menge "Wumms", doch das ändert nichts an der Wohlfühlatmosphäre, die die Liverpooler immer und überall verbreiten.
Dies liegt natürlich vor allem an den Gesängen von Vincent Cavanagh und Lee Douglas, die einen mit ihren zerbrechlichen, jedoch ebenso perfekt intonierten Klängen zum Schweben einladen. Und wenn beide zur gleichen Zeit singen, dann wähnt man sich gar auf einem fremden Planeten. Überragend. So ist das Publikum auch absolut gebannt und in den ruhigen Passagen, bei denen man seinen Nachbarn Atmen hören könnte, komplett ruhig; das erlebt man auch nicht mehr häufig.
Die Briten sind auf ihren eigenen Touren in deutlich kleineren Clubs als dem E-Werk unterwegs, schaffen es aber dennoch mühelos, die große Bühne mit ihrer Präsenz auszufüllen und strahlen dabei trotz der akuten Zeitknappheit eine Ruhe aus, die bemerkenswert ist. Und Stichwort "Präsenz": Bei ANATHEMA scheint es zwei Frontmänner zu geben. Der eine ist natürlich Sänger Vincent, der andere aber definitiv Gitarrist "Danny" Cavanagh, der sich immer mal wieder in der Vordergrund spielt und das Publikum regelmäßig animiert. Ein Kampf um die Vorherrschaft ist dabei aber definitiv nicht zu erkennen; denn Kampf und ANATHEMA, das sind eh zwei Worte, die überhaupt nicht in einen Satz passen.
Was hingegen umso besser passt, sind die letzten beiden Lieder des mit nur sieben Nummern viel kurzen Sets: 'Closer' ist mit seiner abgespaceten Atmosphäre, die in pure Ekstase mündet, immer wieder ein Erlebnis und 'Fragile Dreams' ist nun einmal 'Fragile Dreams'. So schön und einfach kann das Leben sein. Einen besseren Support hätten sich OPETH nicht ins Boot holen können!
Setlist: Deep, Thin Air, Untouchable Part 1, Untouchable Part 2, A Simple Mistake, Closer, Fragile Dreams
Die Schweden um Mikael Åkerfeldt beehrten Köln bereits im Dezember des letzten Jahres, hinterließen dabei aber nicht nur zufriedene Fans. Auch wenn der Kurswechsel auf "Heritage" selbst für Taube unüberhörbar war und auch Interviews klarmachten, worauf der Fokus der Band zu der Zeit lag, gab es viele enttäuschte Gesichter, dass nicht ein einziges Mal gegrowlt wurde. Der Death Metal, der nun einmal seit jeher die eine von zwei Seiten OPETHs war, hatte keinen Platz mehr. Insofern war die spannendste Frage ohne Zweifel, ob die Band sich wieder in diese Richtung öffnen würde.
Im Anschluss an das Intro, beim dem die Bühne ausgeleuchtet wird (wodurch das riesige "Heritage"-Backdrop toll zur Geltung kommt) und die fünf Herren die Bühne betreten, kann diese allerdings noch nicht beantwortet werden, denn es folgt 'The Devil's Orchid'. Und sofort fällt wieder dieser wuchtige, aber dennoch glasklare Sound auf. Toll! Dann stellt der wie immer blendend gelaunte und redselige Entertainer Mikael die Band als Gewinner des letztjährigen Eurovision-Songcontests vor. Sein Humor hat sich im Gegensatz zur Musik über die Jahre hinweg nie geändert.
Und dann ist er da, dieser Moment, auf den viele so sehnsüchtig gewartet haben. Die Jubel der nicht ganz tausend Zuschauer begleitet die ersten Sekunden von 'Ghost Of Perdition', bevor man jeden einzelnen dieser so markanten, eigenständigen und kraftvollen Growls aufsaugt. Die Klangverhältnisse tun ihr Übriges, damit dieser Zehnminüter purer Genuss ist. Nicht anders sieht es bei 'White Cluster' im Folgenden aus. Åkerfeldt zufolge hat die Band zu Zeiten, als das Lied komponiert wurde, fast ausschließlich STEVIE WONDER konsumiert. Ah ja. Und wie immer, wenn OPETH in Deutschland sind, versucht man sich an der einheimischen Sprache, doch mehr als "Sind Sie verheiratet?", "Ich liebe dich!" und "Mein Hund ist dunkelblau." ist nach wie vor nicht drin.
An vierter Stelle packen die Schweden mit 'Hope Leaves' einen Song aus, auf den sogar Mikaels Mutter stolz zu sein scheint. Auch wenn dieser Track ebenfalls zur "Death-Metal-freien Zone" gehört, verbreitet er doch eine ganz andere Stimmung als die neuen Nummern. Traurig, leise, wunderschön – und kein Stück 70er. Und so sind die Reaktionen zu jenem "Damnation"-Song auch entsprechend begeistert. Den Gegensatz dazu bildet im Anschluss 'Deliverance', der wohl einer der härtesten und eingängigsten OPETH-Songs überhaupt ist. Auch hier ist die Akustik sowie das Zusammenspiel absolut überragend; man merkt, dass der Spaß am Death Metal zurück ist. Und das ist wirklich schön anzusehen und natürlich anzuhören. Zwar steht der schlacksige KISS-Shirt-Träger vorne in der Mitte auch die ganze Zeit im Fokus, das soll aber nicht die Leistung der restlichen Band schmälern. Hier agieren alle Protagnisten auf allerhöchstem Niveau und zelebrieren diese Form der Kunst. Man könnte jedem einzelnen Musiker stundenlang auf die Finger schauen.
Heute Abend erzählt Mikael nicht bloß Blödsinn, nach dem keiner gefragt hat, sondern geht auch auf Zurufe und Fragen aus dem Publikum ein. So erfährt man unter anderem, dass es seinen Kindern gut geht, seine Katze immer fetter wird und er ein Faible für schlechte Karate-Filme aus den 80ern hat. Gut zu wissen. Es folgen 'Hessian Peel' und 'Häxprocess', wobei letzteres dann doch deutlich aus dem Rahmen fällt, vor allem viel deutlicher als 'Hope Leaves' zuvor. Aber selbst wenn man das neue Album nicht sonderlich mag, wirkt ein einzelner Song davon angenehm auflockernd. Feiert man "Heritage" ab, erübrigt sich jeder weitere Kommentar. Als letzten regulären Track gibt es 'Reverie/Harlequin Forest', bevor die Band unter riesigem Applaus die Bühne verlässt. Mikael erklärt, dass das natürlich alles nur eine Farce gewesen sei und eh noch ein weiterer Song auf der Setlist stehen würde – und so gibt es zur großen Freude aller noch den Titeltrack von "Blackwater Park" auf die Ohren. Zum Stück selber gibt es nichts mehr zu sagen, was nicht schon an anderer Stelle gesagt wurde. Dann ist nach über 100 Minuten, von denen natürlich auch einige Zeit verquatscht wurde, doch wirklich Schluss.
Es bleibt festzuhalten, dass OPETH heute Abend die perfekte Balance zwischen alt und neu (die letzten sieben Studio-Alben wurden allesamt bedacht!) sowie hart und ruhig (drei eher ruhigere und sechs eher härtere Songs) gelungen ist. Damit haben sie viele Fans wieder versöhnt und einen mehr als amtlichen Eindruck hinterlassen. Man darf gespannt sein, wohin die OPETHsche Reise nun geht. In dieser Form ist jederzeit mit allem zu rechen. Ganz, ganz stark!
Setlist: The Devil's Orchid, Ghost Of Perdition, White Cluster, Hope Leaves, Deliverance, Hessian Peel, Häxprocess, Reverie/Harlequin Forest. Zugabe: Blackwater Park
- Redakteur:
- Oliver Paßgang