Primordial - Berlin

21.04.2006 | 10:51

11.04.2006, Kato

Es gibt Touren, bei denen auch stilistisch unterschiedliche Bands nahtlos zusammenpassen, weil sich ihre Ideen über die Wirkung von Musik im Ansatz gleichen. Solch eine Zusammenstellung reist gerade durch Deutschland: Mit MOURNING BELOVETH, MOONSORROW und PRIMORDIAL ist an diesem Abend in Berlin eine einzigartig-schöne Kombination im Kreuzberger "Kato" zu Gast. Denn so unterschiedlich die Musik dieser Bands erscheint, besitzen sie doch alle ein theatralisch-pathetisches Verständnis von Metal. Das eint sie. Für die Fans beginnt diese Seelenmassage nach dem Auftritt der wie immer reichlich durchschnittlichen Düster-Gothic-Deather von GARDENS OF GEHENNA - Schwamm über diese Vorband, ehe hier böse Worte für einen doch so perfekten Abend erscheinen.

Denn schon Hauptband Numero Eins ist exzellent ausgewählt. MOURNING BELOVETH verlassen sich bei ihrem Gig auf genau die Stärken, die sie für ihre Fans schon jetzt unsterblich gemacht haben: Die Iren verknüpfen doomigen Death Metal, der manches Mal an die Anfangszeiten von PARADISE LOST und ANATHEMA erinnert, mit langsam-grandiosen Melodiebögen. Dabei setzen sie ganz bewusst auf den typischen Charakter der Musik ihrer Heimat. In den endlos scheinenden Songs werden dadurch tiefe Gefühle transportiert - wenn die Geduld zur hörenden Hingabe vorhanden ist. In Berlin scheinen viele Fans diese Gabe zu besitzen, sich in solche doch recht sperrigen Klänge hinein zu fühlen. Denn schon zu dieser noch recht frühen Abendzeit - es ist gegen 21 Uhr - gibt es erste Zuschauer, die nicht nur dastehen, sondern ihre Köpfe zum langsamen Tempo der Musik bewegen, bei den schnelleren Parts sogar bangen. Das Quintett auf der Bühne scheint ebenso sehr motiviert, besonders der bullige Sänger Darren Moore bewegt sich ständig, ob mit oder ohne Mikro in der Hand. Oft hat er aber auch keine andere Wahl als etwas mit seinem Körper zu tun, lassen doch lange Instrumentalparts vor allem den kräftigen Gitarrensound sprechen - Moore hat viele Pausen, um sich auf seine Parts einzustellen. Denn dann röhrt er mit seinem mächtigen Growl-Organ ungeheuerlich roh, um aber in seltenen Momenten wiederum Gitarrist Frank klar singen zu lassen. Die meisten Songs, die MOURNING BELOVETH spielen, kommen vom aktuellen "A Murderous Circus"-Album. Ein Hit davon ist zum Beispiel 'The Apocalypse Machine' - zäh, drückend, aber in seiner Langsamkeit dennoch wunderbar, ergreifend, tiefgründig. So entsteht rund 45 Minuten lang ein wunderschönes Gefühl im Bauch, die Melodien schmeicheln im Ohr. Und Einsprengsel von irischen Männer-Chören bleiben im Kopf als besonders überwältigende Erfahrung hängen. Ungewöhnlich für ein Metal-Konzert: Die normale Brille von Gitarrist Brian. Sympathisch, weil nicht eitel.

Nach soviel getragener Eleganz, doomiger Edelkunst und finsterer Härte sind MOONSORROW ein rockiger Widerpart - und können noch stärker überzeugen. Denn inzwischen haben es die Finnen geschafft, die Energie von Platten wie "Verisäkeet" nahtlos live umzusetzen. Trotz ihres jungen Alters wirken die fünf Musiker reif und bühnenerfahren. Sie erhalten allerdings auch viel Unterstützung vom Publikum. Vom ersten Song 'Karhunkynsi' an bangen die ersten Reihe in kollektiver Freude, dass ihre nordischen Helden endlich auch in Berlin spielen. Da fällt es vor lauter Begeisterung kaum auf, dass MOONSORROW anfangs noch mit immensen Soundproblemen zu kämpfen haben, die jedoch von Song zu Song kleiner werden. So können insbesondere 'Kylän Päässä' und 'Pimeä' als die Höhepunkte einer bewegenden Show zelebriert werden. Denn die ellenlangen Songs von MOONSORROW sind schon auf Platte nie langweilig, live wirken sie aber noch stärker. Zudem ist der Band die Spielfreude anzusehen, dauernd lassen sie ihre Haare kreisen. Nur der für Henri Sorvali eingesprungene Keyboarder wirkt etwas angestrengt an seinen Tasten - Mr. Sorvali musste für die Tour zu Hause leider arbeiten und kümmert sich gleichzeitig um sein erstes Kind. Doch sein singender Bruder Ville am Bass vertritt ihn würdig: Zwar wirkt der göttlich keif-schreiende Frontmann immer noch sehr jung, trotz des verschmierten Blutes in seinem Gesicht. Doch die Begeisterung und die Hingabe für den Gig ist in seine Miene eingebrannt. Spätestens als nach der Hälfte des Gigs das Publikum immer begeisterter auf die Songs reagiert, schwitzen die Musiker, so verausgaben sie sich - bald findet sich das vorher aufgelegte Blut in roten Schweißperlen am Boden wieder. MOONSORROW bieten so treibend-schönen Metal in atemberaubender Perfektion - ihre Fans verlassen nach reichlich einer Stunde glücklich den Saal in Richtung Bierbar.

Viele andere Headliner hätten an dieser Stelle ein Problem. Doch PRIMORDIAL können dem Auftritt von MOONSORROW ihren eigenen Glauben an ihre Musik entgegen setzen. Besonders Frontmann Alan Nemtheanga ist wie immer der pathetisch Theaterspieler auf der Bühne - einen solchen Frontmann, der seine Songs so auslebt, gibt es selten in der Metalszene. Maximal Aaron von MY DYING BRIDE "stirbt" so schön... Ein Highlight des grandiosen Auftritts ist der bis jetzt noch nie live gespielte 'The Dark Song' vom "A Journey's End"-Album, dessen original irische Lyrics Nemtheanga in vier zerwurschtelten Blättern neben sein Mikro legt, um dann den langsam-ergreifenden Song mit geschlossenen Augen und voller Inbrunst zu intonieren. Ja, diese Band ist definitiv patriotisch, sie pflegen ihre Landesliebe - Nemtheanga etwa, in dem er einen blauen Strich quer über seine Glatze gemalt hat, der wohl die alte gälische Farbenlehre symbolisiert. Und wenn er wie bei 'Coffin Ships' die dramatische Geschichte seines Volkes besingt, dann steht dort kein Nationalist, sondern ein Musiker, der die Kunst und die Historie seiner Vorfahren in seinen Kompositionen und Texten würdigen und ehren will. Bald springt seine Leidenschaft aufs Publikum über, am Ende mosht der gesamte Saal - zumindest der große Rest an Fans, die zu der späten Stunde kurz nach Mitternacht noch im "Kato" sind. Sie erleben Songs aus allen Schaffensperioden der Band, egal ob 'To Enter Pagan' oder 'Gods To The Godless'. Als stärkster Mitreißer stellt sich allerdings 'The Song Of The Tomb' heraus - was für eine depressive Pagan-Granate voller Härte, Gefühl und Besessenheit von der künstlerischen Idee! Ein Abend voll gefühlter Superlative endet so wie im Traum, in dem vor Freude verzerrte Fangesichter im Sekundentakt auftauchen und wieder verschwinden. Die entstehenden Gänsehäute sind eine Stunde nach Mitternacht schon fast chronisch...

Redakteur:
Henri Kramer

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