ProgPower USA - Atlanta

17.10.2007 | 14:16

04.10.2007, Center Stage

Donnerstag, 4. Oktober 2007

Morgens, neun Uhr in New York - der Beginn einer langen, mühsamen Reise. Per Sammeltaxi - ein Kleinbus gabelt bis zu elf Personen quer durch Manhattan verteilt auf und setzt sie an einem der vielen Terminals des JFK-Fluhafens wieder ab - komme ich neunzig Minuten später am Schalter von Delta-Airlines an. Zwei Stunden danach bin ich in der Luft, weitere dreieinhalb Stunden später endlich am ebenso unübersichtlichen Hartsfield-Flughafen in Atlanta. Die Entfernungen innerhalb der USA sind gewaltig, auch wenn ich mich immerhin noch in der gleichen Zeitzone befinde. Anders als in meiner New Yorker Wahlheimat bringt mich das kreuzförmig angelegte U-Bahn-System MARTA - der Metropolitan Atlanta Rapid Transit, von bösen Zungen auch "Moving Afro-Americans rapidly through Atlanta" genannt - zu guter Letzt innerhalb von dreißig Minuten für schlappe 1,95 Dollar an mein Ziel, das schnuckelige Residence Inn by Marriott Hotel in Midtown, das für die nächsten drei Nächte mein Zuhause sein soll. Die Zeit reicht gerade noch für ein (im Zimmerpreis enthaltenes) Sandwich im Foyer, bevor ich mich zu Fuß auf den Weg zur Center Stage mache.

Wie auch in Baarlo wird das eigentliche Zwei-Tages-Festival von weiteren Konzerten angeführt: Gestern soll JON OLIVA im Rahmen der "Wednesday Night Mystery Show" einen innerhalb kürzester Zeit ausverkauften Akustik-Gig vor 200 begeisterten Menschen absolviert haben. Heute steigt das sogenannte "Showcase", das - anders als die "Mystery Show" - bereits in den Räumlichkeiten der Center Stage stattfindet.

Am Eingang dann erst mal die Hiobs-Botschaft: VANDEN PLAS, der Grund meiner heutigen Anwesenheit, mussten ihren Gig absagen! Denn die amerikanische Einwanderungsbehörde am Flughafen Detroit hat die süddeutsche Formation nicht passieren lassen. Nach einem sechsstündigen Verhör wurden Andy Kuntz & Co. unverrichteter Dinge in den nächsten Flieger in Richtung Heimat gesteckt, von wo aus sie nach insgesamt vierzig Stunden on the road nicht mehr als ein trauriges "sorry" nach Atlanta schicken konnten. Ich überlege kurz, ob ich von dem Angebot, mein heutiges Ticket (diese Show ist als einzige nicht ausverkauft) zurückzugeben, Gebrauch machen soll, kenne ich doch keine der anderen Bands auch nur ansatzweise. Aber die Aussicht auf einen einsamen Abend im Hotel ist noch weniger verlockend.

Als kurzfristigen "Ersatz" hat man die Lokal-Helden HALCYON WAY verpflichten können, die bei meinem Eintreffen bereits auf der Bühne stehen. Den einen oder anderen Witz auf Kosten von VANDEN PLAS kann sich Sänger Sean Shields zwar nicht verkneifen, aber insgesamt scheint sich das Quintett einfach herzlich über den unverhofften Gig zu freuen. Ihr progressiv gefärbter Power Metal kommt bei den Anwesenden gut an, ich selbst bin allerdings noch viel zu sehr damit beschäftigt, meine Umgebung in mich aufzusaugen.

Wir sind hier wie gesagt in Amerika, und viele Einheimische haben die für mich immer noch sehr befremdliche Angewohnheit, Konzerte am liebsten im Sitzen zu verfolgen. So verwundert es auch nicht, dass die theaterähnliche Center Stage - neben einem recht übersichtlichen Steh-Bereich vor der Bühne - von zahlreichen, im Halbrund arrangierten Klappsitzen geprägt wird. Sicher ist es nett, sich bei einem weniger favorisierten Act auch einmal ausruhen zu können, ohne dafür die Konzerthalle verlassen zu müssen, aber die Vehemenz, wie die Menschen hier einmal ergatterte Sitze verteidigen, lässt mich im Laufe der drei Tage doch schmunzeln. Neben Plastiktüten, Kleidungsstücken oder einfach bösen Blicken derjenigen, die zum Plätze-frei-halten abkommandiert sind, werden sogar Handtücher drapiert, um das Revier zu verteidigen. Mallorca lässt grüßen!

Zurück zu HALCYON WAY: Beim letzten Stück erklimmt eine Bauchtänzerin die Bühne, die lasziv ihre Hüften kreisen lässt. Ich weiß nicht, wie die anderen Anwesenden das sehen, aber Metal und Bauchtanz passen nun wirklich nicht zusammen ... Im Gegensatz zu einer anderen Dame, die zwei Tage später an gleicher Stelle gesichtet wird, ist diese hier zwar bauchfrei, aber ansonsten züchtig bekleidet. Doch das ist eine andere Geschichte, die ein anderes Mal erzählt werden soll ...

Regulär, allerdings mit einer Stunde Verspätung, geht es mit KRUCIBLE weiter, der aktuellen Formation von Ex-BALANCE OF POWER-Sänger Lance King, der soweit ich das mitbekomme auch ein Stück aus seiner "Vergangenheit" zum Besten gibt. Der Gute hat immer noch eine sehr gute, wenn auch penetrant hallverstärkte Stimme, und spätestens zum gut umgesetzten DREAM THEATER-Cover 'Pull Me Under' kocht der Saal.

In den Umbaupausen fühle ich mich gleich zu hause, denn genau wie in Baarlo verdeckt ein dekorativer Vorhang das Geschehen auf der Bühne, während auf den seitlichen Leinwänden, die sonst Großaufnahmen der Bands zeigen, Werbung für die kommende ProgPower-DVD flimmert. Doch vor allem zieht es mich in den Vorraum, in welchem - anders als in New York - Rauchern Asyl gewährt wird. Und das Bier muss natürlich auch wieder aufgefüllt werden ... Die Preise dafür sind nicht ohne, wer keine Lust auf wässrige Ami-Plörre hat, ist mit stolzen sechs Dollar für eine Halbliter-Dose Beck's dabei, die ich aber gerne investiere, allein schon aus patriotischen Gründen.

CELLADOR schenke ich nur einen kurzen Blick, denn ihr doublebass-dominierter Power Metal ist mir viel zu HELLOWEEN-lastig. Von denen sie natürlich auch ein Cover ('Eagle Fly Free') spielen, ebenso wie 'Eye Of The Tiger' von SURVIVOR. Dass diese beiden Stücke nicht nur bei mir am meisten hängen bleiben, spricht für sich - am nächsten Tag sind sie nämlich in Gesprächen mit anderen Anwesenden nur die 'Eye Of The Tiger'-Band.

Im Foyer komme ich mit einem älteren Metaller aus Atlanta ins Gespräch, das heißt, er redet mit mir, und ich tue so, als ob ich wenigstens die Hälfte davon verstehen würde. An den New Yorker Slang habe ich mich inzwischen gewöhnt, aber Georgia gehört zu den Südstaaten der USA, wo man nicht nur sprachlich eine ganz andere Schiene fährt. Er schwärmt mir - soviel bekomme ich immerhin mit - von FREAK KITCHEN vor, denen ich dann doch noch eine faire Chance geben will, bevor ich zurück in mein einsames Hotelzimmer wanke. Eine gute Entscheidung, denn im Gegensatz zu den für meinen Geschmack doch eher durchwachsenen Auftritten der anderen drei Formationen des Abends machen die Schweden richtig Laune. Ehrlich gesagt habe ich selten ein derart agiles Trio gesehen, das zu den knackigen, zwischen Metal und Hardrock changierenden Songs auch eine astreine Bühnenshow abliefert. Neben dem mit einem altmodischen Motorradhelm wirklich freakig aussehenden Bassisten Christer Örtefors und dem dauergrinsenden, viel headbangenden und als Backgroundsänger zusätzlich ausgelasteten Drumkünstler Björn Fryklund erweist vor allem Sänger/Gitarrist Mattias IA Eklundh als begnadeter Stand-up-Comedian. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich sein (fiktives?) Telefongespräch mit der Mutter eines Fans in der ersten Reihe über dessen Handy am lustigsten finde oder die Dildo-Einlage. Ja, richtig gelesen, im eigentlich prüden Amerika ist es nicht verboten, mit diversen Dildos Gitarre zu spielen. Damit niemand auf den Gedanken kommt, die Teile an Ort und Stelle zweckbestimmt einzusetzen, werden Batterien und Gehäuse aber sicherheitshalber getrennt in die Menge geschmissen. Ein kurzweiliger Gig, der die VANDEN PLAS-Absage wenigstens ein kleines bisschen kompensiert hat.

Redakteur:
Elke Huber

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