RAY WILSON - Augsburg

14.11.2017 | 12:18

12.11.2017, Spectrum

Schöner Rock-Pop-Songwriter-Prog-Abend.

So ein bisschen merkwürdig ist ein Konzert von Ray Wilson ja immer. Der Mann hat ganz ausgezeichnete Alben eingesungen, angefangen von dem STILTSKIN-Debüt – ja, ich oute mich, ich habe es auch durch die Hosen-Werbung kennengelernt – über das GENESIS-Album zu seinen Soloplatten. Seit geraumer Zeit tourt er durch die Welt und spielt dabei verschiedene Lieder der großen britischen Progbarden, selbst wenn er an diesen nicht beteiligt gewesen war. Dazu gerne auch mal etwas von Peter Gabriel oder Phil Collins, angereichert durch einige STILTSKIN-Lieder und Solosongs. Das hat natürlich so ein wenig etwas von Cover-Kapelle, andererseits ist Wilson einfach auch ein starker Sänger und die Lieder, die er bietet, einfach über jeden Zweifel erhaben. Da bleibt also nur eines: Hingehen und selbst erfahren.

An diesem ziemlich unangenehmen Sonntagabend, zumindest was das Wetter in bayrisch Schwaben betrifft, treffe ich pünktlich im Spectrum in Augsburg ein. Erster Eindruck: Der Altersdurchschnitt liegt bei mindestens 50. Wenig überraschend, aber wie es scheint, zieht GENESIS bei der jungen Generation eher weniger. Oder liegt es vielleicht daran, dass man unter 30 handgemachte Musik nicht mehr gewöhnt ist? Jedenfalls drücken die Angestellten und später auch einige der Musiker den Schnitt im Raum deutlich.

Wie dem auch sei, das Spectrum ist nicht ausverkauft, aber sehr gut gefüllt. Da Wilson heute ohne Anheizer spielen wird, begebe ich mich schon mal vor die Bühne, da ich versuchen möchte, in Ermangelung eines Fotograbens aus dem Publikum einige Fotos zu schießen. Eine Besonderheit des Spectrum sind eine handvoll Tische im Raum, die auch bei Konzerten nicht weggeräumt werden, und der Getränke-Hermes, der mit Tablett alle paar Minuten seine Runden macht. Schön, so wird einem die Völkerwanderung zwischen Theke und wo-stand-ich-doch-gleich erspart. Kaum bin ich vorne angekommen, schlägt die Turmuhr und das Konzert beginnt so pünktlich, dass man seine Uhr danach hätte stellen können. In T-Shirt und Jeans und mit einer insgesamt sechsköpfigen Begleitband beginnt der Barde mit ‘Another Day‘ von CUT, wo er auch gesungen hat. Tolles Lied. Von der Stimmung her sind wir bei einem Songwriter-Konzert gelandet, mehrere akustische Gitarren, ein sich im Rhythmus wiegendes Publikum und ein nahe stehender, lächelnder Sänger. Schön.

Die Stimmung steigert sich mit dem PETER GABRIEL Cover In Your Eyes und dann nochmal bei Follow You, Follow Me von GENESIS.  Ja, das Publikum hätte gerne einen Best Of-Reigen der Prog-Insulaner.  Ray Wilson ist nicht abgeneigt, dem Publikum seinen Willen zu geben, aber dann doch nicht ausschließlich. Und das ist auch gut so, denn mit dem folgenden ‘Change‘ zieht er eine echte Trumpfkarte aus seinem Solo-Ärmel. Sorry, Herren Gabriel, Collins und Kumpanen, aber das ist das bisher beste Lied! Die Armada aus akustischen Gitarren wirkt großartig und auch im folgenden Solsbury Hill, einem wahrlich unsterblichen Klassiker, überzeugt die Band auf ganzer Linie.

Wilson beschränkt sich weitgehend auf die Wirkung der Musik und macht nur wenige, kurze Ansagen. Er wirkt ruhig, fast introvertiert, nur seine Musiker brechen gelegentlich ein wenig aus und versuchen, das Publikum zu rocken. Für viele Lieder werden nicht alle Musiker benötigt, sodass manchmal der eine oder andere unbeteiligt am Rand steht. Das wirkt etwas seltsam, wird von den Künstlern aber so selbstverständlich akzeptiert, dass man es gelegentlich nicht einmal bemerkt. Alles wirkt unglaublich souverän und unaufgeregt, das das Konzert, so schön es ist, doch ein wenig vor sich hin plätschert. Dazu kommen schöne, aber in dieser Interpretation auch eher in Richtung Songwriter tendierende Lieder wie‚‘Take It Slow‘ und das poppige ‘That’s All‘, dass es geradezu eine Wohltat ist, als die Band mit ‘The Dividing Line‘ mal richtig aus sich heraus geht.

Auf Ray Wilson muss man sich einlassen. Man muss in den Liedern schwelgen, den alten Zeiten nachhängen, sich der Kunst hingeben. GENESIS-Klassiker wie ‚‘No Son Of Mine‘, das geniale ‚‘Home By The Sea‘, ‘Mama‘ oder das alte ‘Carpet Crawlers‘ werden bejubelt und gefeiert. Ich finde ja tatsächlich seine eigenen Lieder am interessantesten und würde mir davon noch mehr wünschen, immerhin hat der Bube ja bereits sechs Soloscheiben veröffentlicht. Aber damit stehe ich wohl relativ allein da, der Saal applaudiert zwar auch kräftig bei den Wilson-Songs, aber die Stimmung steigt natürlich bei den GENESIS Stücken.

Nach zwei Stunden ist Schluss, die Band verabschiedet sich, darf aber noch nicht endgültig gehen. Der Saal verlangt nach der obligatorischen Zugabe, zu der sich die Band nicht lange bitten lässt. Allerdings stehe ich hier auch wieder alleine, als ich mich frage, wieso von dem GENESIS-Album mit Wilson am Mikro, ‘Calling All Stations‘, ausgerechnet das Lied ‘Congo’ gespielt werden muss, das ich immer als den Ausfall des Albums angesehen habe, während ein Kracher wie der Titelsong oder das schöne ‘Shipwrecked‘ weggelassen werden. Und auch heute ist es der schwächste Song des Abends, in dem sich Latin und Pop und aufgesetzte Fröhlichkeit treffen. Mit dem zu Beginn angesprochenen STILTSKIN-Song ‘Inside‘ rockt Wilson mit seiner Band mehr als im ganzen Set zuvor und beendet den Abend auf einer energischen Note.

Ray Wilson ist ein toller Sänger mit einer natürlich, sympathischen Ausstrahlung, der ein Potpourri aus großen GENESIS-Hits, einigen Prog-Stücken und vielen intensiven Liedern, die mit akustischen Gitarren dargeboten werden können, vorträgt. Ein Abend zum Mitwippen und Genießen, aber nicht zum Ausrasten und Schwitzen. Gelegentlich kommt Wilson an seine stimmliche Grenze, wenn er einige der hohen Collins-Melodien interpretiert, aber niemals unangenehm, sondern nur angestrengt. Ich glaube nicht, dass es viele Sänger gibt, die ein solches Spektrum an Stücken, Stimmen und Stimmungen so überzeugend spielen kann. Wer Spaß an einer schicken Auswahl hat, wie sie heute Abend dargeboten wurden, sollte unbedingt einen der nächsten Tourstopps besuchen. Ich empfehle allerdings, nochmal 20 Euro mehr einzustecken. Viele, mich eingeschlossen, sind auf dem Weg raus am Merchandise vorbeigeschlendert und haben noch etwas eingekauft, wie zum Beispiel die neue Ray Wilson Doppel-Live-CD. Wer noch etwas Zeit hatte, konnte sich seinen Einkauf auch noch signieren lassen, denn Wilson kam schon verhältnismäßig kurz nach Ende des Gigs zum Merch und signierte und unterhielt sich mit den Fans.

Ein schöner Abend, bodenständig, unaufgeregt, mit guter Musik. Ein Wohlfühlabend.

Setliste: Another Day; In Your Eyes; Follow You Follow Me; Change; Solsbury Hill; Entangled; Not About Us; Propaganda Man / More Propaganda; Take It Slow; That's All; Constantly Reminded; There Must Be Some Other Way; No Son of Mine; Wait for Better Days; Song for a friend; First Day of Change; The Dividing Line; Home by the Sea; Alone; The Carpet Crawlers; Mama; Zugabe: Congo; Inside

Redakteur:
Frank Jaeger

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