ROADBURN FESTIVAL 2023 - Tilburg, Niederlande
24.05.2023 | 23:5120.04.2023, 013/Koepelhal/Hall Of Fame/Schouwburg
Derzeit einen Bericht über das Roadburn Festival zu schreiben, finde ich schon allein unter dem Aspekt spannend, dass das Festival sich gerade aufgrund der äußeren Umstände wandelt und einen Weg aufzeigt, wie man als internationales Festival "überleben" kann.
Das Roadburn Festival ist in Tilburg in den Niederlanden, also nicht weit von der Grenze zu Deutschland entfernt, beheimatet und findet dieses Jahr vom 20. bis 23. April statt. Es wartet mit mehreren zu Fuß erreichbaren Locations auf und hält nahebei Weirdo Canyon in petto, eine kleine verkehrsberuhigte Fußgängerzone mit diversen Restaurants, Kneipen und Bars. Wie bereits einleitend dargestellt, unterliegt das Roadburn Festival derzeit einem Wandel. So soll künftig auf allgemein bekanntere, sprich große, teurere Bands im Line-up zugunsten von allgemein unbekannteren bzw. weniger preisintensiven verzichtet werden. Weiterhin wird es jedoch Auftragswerke und Kollaborationen auf der Bühne sowie im Nachgang veröffentlichte Livealben geben. Außerdem wird in diesem Jahr erstmalig die Schouwburg als Location mit einbezogen, worauf ich hier später nochmals zu sprechen komme werde.
Am Donnerstag startet das Festival offiziell, auch wenn es am Vorabend bereits ein kleines Vorprogramm gibt, welches ich jedoch aufgrund mangelnden Interesses und später Ankunft verpasse. Die erste Band des Tages spielt 14 Uhr im The Terminal in der Koepelhal auf. Die Halle ist bereits gut gefüllt, was wohl auch dem Umstand geschuldet ist, dass zeitgleich nichts anderes auf dem Plan steht. YRRE eröffnet souverän, indem die Blackened-Doom-Sludge-Band ihren Soundtrack zum Film "The Witch" von Robert Eggers aus 2015 sowie neues Material darbietet. Anschließend wechsele ich zur Next Stage im 013, um mir GRIFT anzuschauen. Hinter dem Namen verbirgt sich eigentlich eine Band, doch wie schon beim letztjährigen L'Homme Sauvage und beim Dark Folk Gathering 2023, das am gleichen Wochenende wie das Roadburn stattfindet, ist der schwedische Musiker Erik Gärdefors mit Gitarre und weiteren Instrumenten solo unterwegs, um mit seiner ehrlichen, akustischen Musik einen angenehmen, ruhigen Gegenpol auf Festivals anzubieten. Danach fällt die Wahl arg schwer, möchte ich doch sowohl PREDATORY VOID mit ihrem Debütalbum sehen als auch OSI AND THE JUPITER mit ihrem aktuellen Album. Da sich im Hinblick auf PREDATORY VOID voraussichtlich eher wieder die Gelegenheit zu einem Konzertbesuch ergibt als bei den US-Amerikanern, entscheide ich mich, bei der Next Stage zu verbleiben, was ich keine Sekunde bereue. Sean Kratz mit seinem folkigen Sound aus Stimme und Gitarre und Cellist Kakophonix verzaubern mit ihren Klängen von den Appalachen das anwesende Publikum. Nach einer Pause zum Essen fassen, mit dem man sich auf dem Gelände gleich gegenüber vom 013 in verschiedenen Variationen versorgen kann, betritt ESBEN AND THE WITCH die Bühne der Next Stage. Mit ihren schönen, melancholischen Songs vom neuen Album "Hold Sacred" fesseln sie die Zuhörer vom ersten bis zum letzten Ton. Dieses feine Gitarrenspiel der britischen Band werde ich mir gern noch einmal Anfang nächsten Monats in Leipzig gönnen. Eigentlich habe ich am Donnerstag noch unter anderem SANGRE DE MUERDAGO auf dem Plan, doch Erschöpfung macht mir einen Strich durch die Rechnung, so dass ich lieber für einen ruhigen, kurzen Abend votiere, um an den weiteren Festivaltagen etwas fitter am Start zu sein. Schwer fällt diese Wahl nicht, weil die zuvor erwähnte Band auch noch an den beiden Folgetagen auftreten wird.
Am Freitag verpasse ich jedoch die spanische Formation erneut, da gleichzeitig die Folksängerin Alison Cotton und Dronekünstler Dawn Terry mit seinem Akkordeon in der Hall Of Fame auf der Bühne stehen. Mit der erzeugten Klangkulisse bilden sie zumindest für mich einen perfekten Start in den Festivaltag. Obwohl ich bereits ausreichend neugierig auf BELL WITCH bin, testete ich noch kurz zwei Titel von Marlene Ribeiro an, was ich live ganz ansprechend finde, jedoch bei der späteren Nachrecherche für Ernüchterung sorgen wird. BELL WITCH wiederum sorgt mit dem neuen Werk "Future's Shadow Part 1 - The Clandestine Gate" keineswegs für Enttäuschung - im Gegenteil: was für ein monumentales Stück des amerikanischen Funeral-Doom-Duos, das gebührend auf der Main Stage im 013 aufgeführt wird. Auch dieses One-Track-Album werde ich mir in Leipzig Ende August nochmals in Gänze zu Gemüte führen. Gleich im Anschluss auf der gleichen Bühne liefert die Black-Metal-Formation WOLVES IN THE THRONE ROOM "Shadow Moon Kingdom" ab, zu dem auch ein in der kanadischen Wildnis gedrehter Film gezeigt wird. Die Halle ist dabei ebenso voll wie bei ihren Landsleuten zuvor. In beiden Fällen ist es eher schwierig, noch einen geeigneten Platz im Saal zu finden. Das Dargebotene wird jedenfalls jeweils begeistert vom Publikum aufgenommen. Auf der Bühne nebenan folgt MAUD THE MOTH. Die in Schottland lebende Solokünstlerin Amaya López-Carromero erschafft am Klavier und mit ihrer Stimme Melodien, die in Loops gelegt und von Effekten begleitet werden, wodurch ein avantgardistisches Klangbild entsteht. Trotz des starken Genrebruchs zu den vorher konsumierten Acts gefällt mir ihr Set. Was ich von JERUSALEM IN MY HEART im The Terminal weniger behaupten kann. Das Konzept spricht mich zwar an und die visuelle Hälfte der Filmemacherin Erin Weisgerber hält auch, was im Programm versprochen wird, doch die von Multiinstrumentalist Radwan Ghazi Moumneh erzeugten Klänge gehen mir zu oft im Chaos unter. Nahebei in der Hall Of Fame ist es dann nicht so einfach, noch einen Platz für das VULVA-Konzert zu ergattern. Den ersten drei Songs kann ich leider nur durch verschlossene Türen lauschen, bis auch ich die rohe Energie aus Punk und Sludge, die im Saal durch die Bassistin und die Schlagzeugerin losgelassen wird, miterleben darf. Da Elizabeth Colour Wheel erst kurz vor Mitternacht auf dem Plan steht, belasse ich es dabei und mache mich lieber auf den Weg zur Unterkunft.
Der Samstag scheint, ein entspannter Tag für mich zu werden. Endlich gelingt es mir doch noch, SANGRE DE MUERDAGO zu sehen, die auf der Next Stage das Auftragswerk "As Voces Da Pedra" präsentieren. Hierzu werden sie von Angelo Mangini und Priscila da Costa alias JUDASZ & NAHIMANA begleitet. Mit den folkloristischen Liedern entfalten sie eine betörende Wirkung auf die Anwesenden - besser kann der Tag nicht beginnen. SOWULO hinterher überzeugt dann weder mich, noch einen Bekannten von mir. Sei es, dass Faber Horbach der Carnyx zu Anfang keinen vernünftigen Ton entlocken kann, die unpassenden benediktinischen Mönchskutten der beteiligten Frauen oder die zu stark WARDRUNA nacheifernde, doch unerreicht bleibende Klangkulisse. Einzig die drei Streicherinnen und die Harfinistin halten mich bei positiver Laune. Danach ist es definitiv wieder Zeit für einen Genre-Wechsel und so begebe ich mich zur Koepelhal, um im The Terminal OISEAUX-TEMPÊTE zu erforschen, welche einige Titel von "AL-'AN!" sowie das Live-Album "TARAB" wiedergeben und damit für gute Unterhaltung sorgen. Mehrere Besucher können dem verursachten Bewegungsdrang kaum widerstehen, auch wenn es sich insofern mitunter nur um leichte Zuckungen handelt. Doch schon naht für mich ein kompletter Szenewechsel. Ich laufe durch die eigentlich schöne, doch in diesem Jahr leider durch einige Baustellen verschandelte Innenstadt von Tilburg zur Schouwburg, gönne mir dort einen leckeren Wein und lasse mich gemütlich in einem äußerst willkommenen und sehr bequemen Sessel in deren Konzertsaal nieder.
Schon beim Betreten des Saals ist Musik zu hören. Auf der Bühne tanzt ein Paar einen Walzer, am linken vorderen Bühnenrand sitzt ein Tänzer, der eindringlich das hereinströmende und sich platzierende Publikum zu beobachten scheint. Im Hintergrund nimmt ein Mann auf einer Leiter offenbar letzte Korrekturen am Bühnenbild vor, indem er die langen, weißen textilen Stoffe ein wenig zurecht rückt. Doch wie sich herausstellt, ist all dies bereits Teil der Aufführung "Dance Of The Seven Veils" von der Regisseurin Aïda Gabriëls, welche die meisten vermutlich aufgrund der Partizipation von Colin H. van Eeckhout, Sänger bei AMENRA und ABSENT IN BODY, sowie Kontrabassist Pieter-Jan van Assche von INNERWOUD aufsuchen. Präsentiert wird eine moderne, eher reduzierte und stellenweise provozierende Variante der Idee, die ursprünglich der englischen Übersetzung von Oscar Wildes französischem Theaterstück "Salomé" aus 1893 entstammt. Bekannt ist sie jedoch hauptsächlich aus der Oper "Salomé" von Richard Strauss von 1905. Die Hauptfigur wird hierbei von dem Tänzer German Jauregui übernommen, welcher auch den zuvor erwähnten Beobachter mimt. Sein Tanz selbst versetzt mich zwar nicht in Verzückung, dafür jedoch die theatralische Umsetzung des Werkes sowie die komplette Performance der Sopranistin Astrid Stockman. Nicht nur ihre perfekte Gesangsdarbietung, sondern auch ihr Lachen nach der verweigerten Weitergabe des weißen Liquids bleiben mir sicherlich im Gedächtnis. Unter anderem gibt Colin H. van Eeckhout solo im Scheinwerferstrahl ein berührendes Lied wieder und Pieter-Jan van Assche steuert relativ zu Anfang sein Spiel auf dem Kontrabass bei. Spätestens bei der Wasserzeremonie interagieren dann alle vier Beteiligten gemeinsam miteinander.
Mich mit dem Geiste wieder auf Festivalatmosphäre umzukalibrieren, fällt mir danach nicht ganz leicht. Doch MÜTTERLEIN habe ich fest auf meinem Plan, so dass ich dennoch zur Hall Of Fame aufbreche. Als ich dort ankomme, schaffe ich es jedoch nicht einmal in die Vorhalle. Die Warteschlange, um eingelassen zu werden, staut sich außerhalb des Gebäudes zurück bis zum Eingang zur Koepelhal. Da sonst nichts weiter auf dem nächtlichen Spielplan mein Interesse erregt, beschließe ich den Abend mit einem gemütlichen Spaziergang. Der Sonntag birgt für mich ebenfalls nicht viel Interessantes, weshalb ich den Tag sowie das Festival überwiegend mit einem leckeren Mahl und Wein in humorvoller Gesellschaft beende. Zuvor lasse ich mich lediglich von den angenehmen, wenn auch inhaltlich dunklen Liedern über die Liebe von Nicole Dollanganger auf der Next Stage berieseln und im Nachgang ein Weilchen von OISEAUX-TEMPÊTE auf der Main Stage mit Tracks von "From Somewhere Invisible" und von dem letzten Album "What On Earth (Que Diable)" zum Zappeln bringen, denn ISKANDR in der Hall Of Fame ist aufgrund zu hoher Nachfrage erneut unzugänglich.
Ich gebe zu, ich bin noch unentschlossen, ob ich künftig regelmäßig am Roadburn teilnehmen werde, da laut dargelegtem Plan der Veranstalter voraussichtlich deutlich weniger Acts im Line-up enthalten sein werden, die mich anziehen, zumal man wegen Zeitüberschneidungen und überfüllten Locations auch noch einen Teil davon verpasst. Bei der Entfernung und den Kosten für das Gesamtpaket wäre der eine oder andere Reißer schon hilfreich, um zum Ticketkauf und zur Reiseplanung zu überzeugen. Andererseits gefällt mir das Konzept mit den Auftragswerken, Kollaborationen und Seitlocations wie Paradox und nun Schouwburg recht gut. Damit hat das Roadburn das gewisse Extra, mit dem zum Beispiel das WGT schon seit einer geraumen Weile hadert, auch wenn es insofern jedes Jahr kleine Lichtpunkte gibt, und ein Feld, das aufstrebende Nachwuchsfestivals soweit leider selten im Blickfeld haben. Die Unterkunft ist zumindest schon mal sicherheitshalber reserviert, insofern sollte man immer weit im Voraus planen, und unter dem Blickwinkel, dass ich es bisher immer wieder versäumte, die begleitenden, sicherlich sehenswerten Ausstellungen aufzusuchen, stehen die Chancen wohl ganz gut, dass ich auch zum Roadburn 2024 reisen werde. Die entspannte Atmosphäre und der Austausch mit Anderen, wie man es sonst nur von kleineren Festivals oder großen Festivals in den Anfangsjahren kennt, tragen ebenfalls dazu bei, den Rückkehrwillen zu stärken.
Meine Empfehlung für das Roadburn Festival in künftiger Ausrichtung geht somit an aufgeschlossene Geister, die Genre-Überschreitungen und so manch Experimentelles nicht scheuen. Jedenfalls befindet sich das Roadburn immer am Puls der Zeit, das muss man den Machern lassen. Schon durch die vergangenen Festivaleditions hatte man die Gelegenheit, immer wieder ausreichend außergewöhnliche Acts kennenlernen zu dürfen, und daran wird sich wohl auch in Zukunft nichts ändern. Womöglich auch einer der Gründe, weshalb es selbst renommierte Musiker, die nicht auf dem Spielplan stehen, auf Konzerte des Roadburn zieht. So kann man in der Menge mitunter das ein oder andere bekannte Gesicht entdecken. Insofern sollte man ihnen jedoch meines Erachtens ihre Privatsphäre gönnen, wenn sie nicht gerade aufgeschlossen erscheinen, das gebietet schon allein der Anstand. Abschließend halte ich fest, dass ich den Veranstaltern wünsche, dass sie die beabsichtigte Gratwanderung, die zu einem Großteil den veränderten äußeren Umständen in diesen Zeiten geschuldet ist, gut bewältigen und somit Anhängern des Festivals weiterhin Überraschungen in typischer Roadburn-Manier bescheren können.
- Redakteur:
- Susanne Schaarschmidt