ROCK OF AGES - Seebronn
14.08.2016 | 20:4329.07.2016, Festivalgelände
Unser Bericht von dem Familienfestival zum Ferienbeginn!
Es ist das Hauptstau-Wochenende des Jahres. Stimmt, jetzt weiß ich es auch. Was sonst in 90 Minuten locker zu machen ist, dauert heute mehr als doppelt so lange. Statt gegen Mittag einzutreffen, wird es beinahe zwei Uhr nachmittags. Wir hören beim Erreichen des Festvalgeländes gerade noch die letzten zwei Lieder von LUCIFER'S FRIEND, was natürlich zu wenig ist, um fundierte Worte zu dem deutschen Rock-Urgestein zu schreiben.
So geht der Tag mit TREAT wirklich los. Die Schweden sind ja eher von der langsamen Sorte, was Studioscheiben angeht, sieben Veröffentlichungen in über dreißig Jahren lassen eher auf eine Freizeitkapelle schließen. Andererseits sind alle TREAT-Alben starke Melodic Metal-Scheiben, auf die man auch gerne mal ein wenig länger wartet. Die Band beginnt mit dem Titelsong des aktuellen Albums "Ghost Of Graceland" und beweist, dass die neuen Lieder genauso begeistern können wie die früheren Kompositionen, was im Laufe des Sets mit 'Get You On The Run' von ihrem Debüt aus dem Jahr 1985 ausprobiert werden sollte. Eine besondere Show darf man von TREAT nicht erwarten, es muss reichen, dass Sänger Robert Ernlund versucht, die Menschen zu animieren. Ernlund ist immer noch blond, agil, aber auch deutlich älter geworden, hat aber daher auch die Routine, zu wissen, was das Publikum mitnimmt. Trotzdem und auch trotz der unbestrittenen Qualität der Lieder ist es in Anbetracht des besonderen Charakters des Festivals vielleicht nicht der Weisheit allerletzter Schluss, gleich mit drei Songs vom aktuellen Album zu beginnen. Natürlich wird die Stimmung bei einigen der Achtziger-Songs besser, denn damit ist ein Großteil der Anwesenden vertraut. Doch bevor TREAT so richtig loslegen kann, gibt es Probleme mit dem Mikrophon. Zwischendurch ist Ernlund gar nicht zu hören. Es dauert zwei Songs, bevor das Problem wirklich behoben wird, und zwar von Ernlund selbst, der kurzerhand seinem Gitarristen Anders Wikström das Mikro klaut. Die Band hat beinahe eine Stunde zur Verfügung und spielt zur Hälfte recht neue Songs und sonst Klassiker aus der ersten Dekade des Bestehens. Kurzweilig und unterhaltsam macht TREAT Werbung für sich selbst und nun weiß sicher auch der Letzte, dass man auch die neueren Outputs ins Regal stellen sollte.
Setliste: Ghost of Graceland, Better the Devil You Know, Nonstop Madness, Ready for the Taking, Papertiger, Do Your Own Stunts, Roar, Get You on the Run, Conspiracy, World of Promises
Jetzt kommt etwas aus der Oldie-Ecke. CHRIS THOMPSON hat zwar zahlreiche Soloscheiben veröffentlicht, doch seine Bekanntheit zieht er aus seiner Zeit als Frontmann von MANFRED MANN'S EARTH BAND. Dürfen wir also einen Hitreigen erwarten? Aber sicher doch. Der Rocksaurier legt mit 'I Came For You' los und mit 'Davy's On The Road Again' nach. Alle singen und tanzen, Chris zieht die meisten Blicke auf sich. Dass er eine gute Band dabei hat, ist zwar hör- und sichtbar, aber trotzdem steht der Namensgeber natürlich im Mittelpunkt. Dass er nicht gedenkt, heute gesondert Werbung für seine Solokarriere zu machen, wird dadurch unterstrichen, dass er mit 'Demoliton Man' von THE POLICE einen sehr unerwarteten Song spielt. Dieser wurde zwar auch von MANFRED MANN'S EARTH BAND gecovert, aber dennoch hätte ich damit nicht unbedingt gerechnet. Leider folgen zwei ruhigere Lieder, die nun den Drive ein wenig rausnehmen. Oder ist das die Getränkepause? An den Biertheken wird es voller, die Stimmbänder wollen geölt werden. Dann geht es mit 'You're The Voice', in Original gesungen von John Farnham, weiter. Das ist aber nur bedingt eine Coverversion, denn Chris Thompson hat das Lied mitkomponiert. Allerdings gerät er hier an die Grenzen dessen, was er mit seiner Stimme anstellen kann. Ist wohl doch eher für Farnhams Organ geeignet. Es folgen noch einige Hits, natürlich 'Blinded By The Light' und 'The Mighty Quinn', dann findet auch dieser Strauß bunter Melodien ein Ende. Hier war es weniger die Band als die großen Hits Chris Thompsons, die gewirkt haben. Passt super auf so ein Festival, ist nach einer Stunde aber auch genug.
Und nochmal wird ein Name ins Billing geworfen, bei dem der eine oder andere eventuell ein wenig überlegen muss. KEN HENSLEY, wer war das noch gleich? Ken war von 1970 bis 1980 Musiker und einer der Hauptsongschreiber bei URIAH HEEP. Die großen Hits aus der Zeit kennen wir alle, und Ken ist heute angetreten, um sie uns zu präsentieren. Nun sitzt Ken selbst hinter einer großen Orgel, über die kaum sein Schopf reicht, sodass man ihn nahezu gar nicht sehen kann. Doch dafür hat er seine aktuelle Band OUR PROPAGANDA dabei, und die macht mal gehörig Alarm! Sänger Jack Denton ist ein Aktivposten und seine Mannen an den Instrumenten stehen ihm kaum nach. Hier wird gehörig gerockt! Klar, die Lieder allein würden für Partystimmung sorgen, aber so blasen die Jungs den Staub von Jahrzehnten aus den Kompositionen. Dazwischen ein Orgelsolo, es ist ja immerhin Ken Hensleys Show, und weiter geht es. Den Höhepunkt erreicht die Show mit dem Hit 'July Morning', vor dem sich Hensley beim deutschen Publikum bedankt, dass es die Band groß gemacht hätte. Ich wüsste zwar nicht, dass dieses Lied ein Hit in Deutschland gewesen ist, aber der große Hit in unseren Landen würde sicher noch kommen. 'July Morning' wird virtuos ausgewalzt, ganz in der alten Tradition, in der das Stück auch gerne die Zehn-Minuten-Marke deutlich hinter sich ließ. In den Reihen der Rockveteranen im Publikum kommt eine nostalgische Begeisterung auf, die auch bis zum Ende des Stücks nicht abebbt. Anschließend kommt der Star hinter seiner Orgel hervor, schnappt sich eine akustische Gitarre und spielt noch drei Songs vorne an der Bühne, sodass man ihn auch einmal sehen kann. Zum Abschluss folgt das unvermeidliche 'Lady In Black'. Für mehr ist keine Zeit, obwohl ich fest noch mit 'Free Me' und vor allem 'Look At Yourself' gerechnet habe. Schade, hier hätte ich gerne noch zehn Minuten mehr gehabt.
Setliste: Gypsy, Easy Livin', Stealin', Circle Of Hands, July Morning, The Wizard, Tales, Lady In Black
Aber jetzt kommen wir so langsam in Richtung Headliner. MAGNUM könnte auch locker selbiger sein, ich verstehe tatsächlich nicht, warum die Briten immer höchstens den vorletzten Platz innehaben. Genug Songs haben sie, die Qualität stimmt, aber offensichtlich ziehen die Buben nicht genug Publikum. Oder es hat einfach noch niemand ausprobiert. Für mich ist das eine der ganz großen Bands, die ein Billing anführen sollten. Eine Band, die es sich leisten kann, einen Song wie 'Soldier Of The Line' gleich zu Beginn zu bringen, quasi zum Wamwerden. Sänger Bob Catley ist das Zentrum der Aufmerksamkeit, wirkt mit seiner weißen Jeansjacke auch irgendwie aus einer anderen Zeit hergebeamt. Aber etwas hat sich gebessert: seine unorthodoxen, rhythmischen Bewegungen sind weniger dazu geeignet, den Zuschauer aus dem Takt zu bringen als früher. Was folgt? Noch ein Klassiker, nämlich 'On A Storyteller's Night'. MAGNUM hat den Vorteil, dass das Publikum durch Ken Hensley in bester Feierlaune ist, nutzt diesen aber auch weidlich aus. Da die Zeit nicht stehen geblieben ist und die Briten seit der Reunion zahlreiche weitere durchgehend großartige Alben veröffentlicht haben, folgt nun ein Teil mit neueren Songs. Hier zeigt sich der Unterschied zu TREAT. MAGNUM treibt die Laune hoch mit zwei Klassikern und lässt dann Neueres folgen, TREAT machte es umgekehrt. Ich glaube, Großbritannien ist diesbezüglich Sieger nach Punkten. Allerdings sind die folgenden drei Lieder auch nicht schlechter als die Klassiker. Manchmal ertappe ich mich jedoch, dass ich bei einer MAGNUM-Show denke, sie könnten mal einen der epischen Tracks der neueren Releases live einbauen statt der starken, direkten Rocker. Aber an 'Sacred Blood "Divine" Lies', 'Crazy Old Mothers' und 'Your Dreams Won't Die' gibt es objektiv wenig zu motzen. Gitarrist Tony Clarkin überlässt seinem Frontmann weitgehend das Rampenlicht, nur Basser Al Barrow mischt vorne am Bühnenrand mit und lacht häufig. Die Stimmung scheint bestens zu sein innerhalb der Band. Das ist sie aber auch im Publikum, als mit 'Les Morts Dansant' noch ein Kracher vom 1985er Album "On A Storyteller's Night" ausgepackt wird. Noch einige Songs verbleibt die Begeisterung hoch und mit 'Vigilante' verabschiedet sich MAGNUM von den Fans. Aber Moment mal, doch nicht ohne 'Kingdom Of Madness' und 'How Far Jerusalem', oder? Dürfen die das überhaupt? Nein, natürlich kommen die Herren noch einmal wieder. Die Akustische wird ausgepackt, es folgt wie schon auf der letzten Tour 'The Spirit'. Großartig, wie die beiden Gründungsmitglieder dieses Lied zelebrieren. Doch dann folgt der traditionelle Rausschmeißer 'Kingdom Of Madness' und der Auftritt ist tatsächlich beendet. Mann, war die Band heute wieder stark. Eine Stunde ist einfach zu wenig für MAGNUM. Ich beantrage hiermit, dass MAGNUM nur noch als Headliner gebucht werden darf.
Setliste: Soldier of the Line, On a Storyteller's Night, Sacred Blood "Divine" Lies, Crazy Old Mothers, Your Dreams Won't Die, Les Morts Dansant, Princess in Rags (The Cult), All England's Eyes, Vigilante; Zugabe: The Spirit, Kingdom of Madness
Ich gebe zu, bislang eine der großen, alten Bands noch nie live gesehen zu haben. Der Auftritt von BLUE ÖYSTER CULT ist für mich das erste Mal, dass ich Buck Dharma und Eric Bloom erleben darf. Daher ist meine Spannung groß und auch die Freude, als es mit 'This Ain't the Summer of Love' losgeht. Ich bin ja immer ein bisschen skeptisch, wenn eine Band seit eineinhalb Jahrzehnten kein Album mehr gemacht hat. Verkommt sie dann nicht zu ihrer eigenen Coverband? Okay, das wird morgen sicher noch auf die Spitze getrieben werden, aber auch bei BLUE ÖYSTER CULT muss man die Frage stellen. Trotzdem wirken die gespielten Lieder natürlich und BÖC wechselt auch immer mal wieder einige Songs durch. So hätte ich nicht mit 'Then Came the Last Days of May' gerechnet, das ich übrigens nicht erkenne, aber von Umstehenden aufgeklärt werde – danke! Auch 'Lips In The Hills vom 1980er "Cultosaurus Erectus"-Album ist eher unerwartet, aber ein starker Song, und 'OD'd on Life Itself' ist auch nicht immer im Set. Der Auftritt der Band um die beiden Sonnenbrillenträger ist professionell, routiniert, unaufgeregt. Auch das ist sicher der Tatsache geschuldet, dass sie seit geraumer Zeit mit den gleichen Songs durch die Lande tingeln. Natürlich müssen die großen Hits kommen, schon früh wird 'Burnin' For You' verarztet. Meine Begeisterung steigt, als 'Harvest Moon' gespielt wird, der ganz einfach und simpel mein Lieblingslied von BLUE ÖYSTER CULT ist. Dann allerdings wird es obskurer und bei 'Buck's Boogie' stehe ich erstmal eine Weile auf dem Schlauch. Gegen Ende folgt dann 'Godzilla' und bringt das Publikum zum Singen, bevor der ganz große Hit '(Don't Fear) The Reaper' den Set beschließt. Auch in diesem Fall hätte es noch mehr sein dürfen, ich hatte vor allem auf 'Veteran Of The Psychic Wars' gehofft, andererseits ist die Stimmung zwar gut, aber nicht ganz so überbordend wie bei den beiden Bands zuvor. Die ganz großen Stars sind sie in Deutschland dann wohl doch nicht.
Setliste: This Ain't the Summer of Love, Golden Age of Leather, Burnin' for You, OD'd on Life Itself, Harvest Moon, ME 262, Buck's Boogie, Lips in the Hills, Then Came the Last Days of May, Godzilla, (Don't Fear) The Reaper
Als Headliner des Samstags gibt es ein Highlight, eine Produktion, die nicht so einfach auf die Beine zu stellen ist. Tobias Sammet hatte sein Projekt AVANTASIA in diesem Frühjahr auf große Tour geschickt, und auf dem Rock Of Ages soll das Ganze noch einmal aufgeführt werden. Was wird uns erwarten? Ich habe Tobi sonst nur mit seiner Stammband EDGUY erlebt, in daher entsprechend gespannt. Zuerst einmal ist der Bühnenaufbau headlinerwürdig. Rechts ein Aufbau, links ein Aufbau, dazwischen eine Treppe, über die in der Folge die Gastsänger kommen sollten. Doch zuerst erscheint Tobias selbst, in Frack und Zylinder, und beginnt den Reigen mit seinem aktuell wohl bekanntesten Lied, 'Mystery Of A Blood Red Rose', Sammets MEAT LOAF-Song, mit dem er auch beim nationalen Vorentscheid für den Eurovision Songcontest angetreten ist. Sammet sieht aus wie ein Conférencier, und die Spotstrahler, die während des Gigs immer auf den Hauptakteur gerichtet sind, tragen auch dazu bei, ein gewisses Feeling irgendwo zwischen Broadway-Show und Zirkusrund zu erzeugen. Aber der Anfang ist natürlich nur ein Teil der Show, einen besonderen Reiz machen die zahlreichen Gäste aus. Einer, der seine Wirkung beim Publikum wohl nie verfehlen wird, ist Michael Kiske. Er singt heute zahlreiche Lieder mit und scheint gehörig Spaß an der ganzen Sache zu haben. Überhaupt harmonieren die beiden ausgezeichnet miteinander, sodass der Auftritt bereits von Anfang an bravurös ist. Die Songauswahl dürfte dem Deutschen mittlerweile ziemlich schwer fallen nach seinen inzwischen sieben Studioalben, zumal viele der Stücke eine beachtliche Länge aufweisen. Live fällt dabei auf, dass sich stilistisch doch alles ziemlich ähnelt, sodass die Rolle der Gastsänger auch zum Unterhaltungsprogramm gehört. Ronnie Atkins von den PRETTY MAIDS, MR. BIGs Eric Martin und natürlich der bereits anwesende Bob Catley, von Sammet in seinem typischen Humor als "lange nicht gesehen" angekündigt, folgen. Gelegentlich sind auch mal drei der Mikrophonakrobaten gleichzeitig am Werk, und in diesem Spektakel geht zumeist unter, dass auch die Musiker einen sehr guten Job erledigen. Immerhin bekommt Oliver Hartmann an der Gitarre gelegentlich auch einmal den Platz im gleißenden Spot. Aber auch die beiden weiteren Sänger, die sich weitgehend im Hintergrund halten, müssen erwähnt werden. Dabei ist heute leider nicht Amanda Somerville, doch sie wird von einer mir unbekannten Dame vertreten, die Tobias als Marina Laterza (oder so ähnlich) ansagt. In jedem Fall macht sie ihre Sache augezeichnet, und so vergeht die Zeit rasend schnell. Im nu sind neunzig Minuten um und AVANTASIA denkt gar nicht daran, aufzuhören. Allerdings denken wir langsam daran und lassen uns noch auf dem Weg zum Auto von den kraftvollen Songs begleiten.
- Redakteur:
- Frank Jaeger