ROTTING CHRIST, BORKNAGAR, SETH - Nürnberg

14.10.2024 | 15:05

08.10.2024, Hirsch

Ob Frankreich, Norwegen oder Griechenland: Es vereint die Liebe zu dunklen Mythen

Rüdiger Stehle und Julian Rohrer waren für Euch im Hirsch in Nürnberg, Hang Mai Le in Heidelberg. Wir berichten hier gemeinsam von den beiden Konzertabenden der Tour.

Manchmal darf man eine besondere Band auch mit einer weiteren Anreise würdigen. So kommt es, dass der Ulmer Rabe (aka Rüdiger Stehle) und ich mehrere hundert Kilometer in den Feierabend fahren, um im Nürnberger Hirsch die französisch-norwegisch-griechische Kollaboration von SETH, BORKNAGAR und ROTTING CHRIST erleben zu dürfen. Gerade die Norweger haben mit ihren letzten Alben zumindest beim Schreiber dieser Zeilen für Jubelstürme gesorgt. Und, wie es Rüdiger im Vorfeld sagte: "Unterschätz' mir mal ROTTING CHRIST nicht". Nun gut, die Vorzeichen stehen auf Erfolg, let's go.

Mitten im ersten Song der Franzosen von SETH erreichen wir den gut, aber nicht übervoll gefüllten Hirsch in einem Nürnberger Gewerbegebiet. Und um es gleich vorwegzunehmen, das Parkhaus gegenüber ist gar kein öffentlicher, sondern ein MAN-Parkplatz, wie uns freundlich über die Sprechanlage mitgeteilt wurde. Durch diese kurze Irritation verpassen wir zwar das Intro der Melodic-Black-Metaller, die ebenfalls seit Mitte der 90er Jahre auf der zweiten Welle des Black Metals mitschwimmen, haben aber wieder was gelernt.

Der Sound von SETH dröhnt recht druckvoll aus den Boxen, doch leider reißen die gespannten Melodiebögen immer wieder im undifferenzierten Sound. Dennoch kommt der im besten Sinne klischeehafte, melodische Black Metal beim Publikum gut an. Dazu tragen sicherlich auch die unermüdlichen Versuche der Musiker bei, mit den Fans zu interagieren, sich in Posen zu werfen oder grimmige Fratzen zu ziehen. Auffällig ist Sänger Saint Vincent in seinem bischofsähnlichen Kostüm.

Sieben Alben hat die Band mittlerweile veröffentlicht, das jüngste, "La France Des Maudits", erschien erst im Juli 2024. Reichlich Material also, aus dem die Rotwein trinkenden Franzosen (das hat schon Stil...) schöpfen können. Cooler Zug: Nach dem Konzert versammelt sich die Band am Merchstand und steht für Gespräche und Autogramme zur Verfügung. Insgesamt eine überraschend gefällige Nummer, die sichtlich für Fanzugewinne gesorgt hat.

Pünktlich um 20 Uhr ist es dann so weit: Die folkig-melodische Wikingertruppe aus dem hohen Norden betritt die Bühne. Und das mit Selbstbewusstsein! Denn BORKNAGAR greift keineswegs auf einen Tempokracher aus ihrem Œuvre zurück, sondern eröffnet den Konzertabend mit dem epischen, aber eher ruhigen 'Nordic Anthem' vom aktuellen Album "Fall". Dabei stehen die vier Nordmänner im Licht weißer Scheinwerfer und viel atmosphärischer kann ein Konzert eigentlich nicht beginnen. Das Nürnberger Publikum ist zwar nicht ganz textsicher, aber viele stimmen in die urwüchsigen Gesänge ein und lassen sich direkt mitreißen.

Ruhig ist nur das Intro des Nachfolgers 'The Fire That Burns', und wir erleben zum ersten Mal die anstürmenden nordischen Horden - eine Welle von Kraft und Energie, von der wir uns gerne überrollen lassen. Ein Blick auf die Fanshirts verrät es: Für viele ist es das vorletzte Album "True North", das sie in den Bann von BORKNAGAR gezogen hat. Kein Wunder also, dass die Energie im Saal bei den Songs dieses Albums am höchsten ist. Und so wunderbar der Konzertstart und die einzigartigen Gesangsharmonien auch sind, merkt man doch, dass das Quintett fast drei Songs braucht, um in Nürnberg richtig anzukommen. Dann aber wirkt die Band tight und entfaltet ihr ganzes Potenzial.

Nach ‚'The Rhymes Of The Mountain' folgt einer meiner Lieblingssongs, den ich anscheinend mit vielen Anwesenden teile. Mit 'Up North' ertönt die inoffizielle Bandhymne aus den Boxen. Zusammen mit 'Voices' schnüren die Norweger das perfekte "True North"-Paket. Zum Mitschwingen, Mitsingen, Mittanzen. Wenn man sich für einen Moment den Emotionen entzieht, muss man einfach anerkennen, wie mühelos ICS Vortex (Ex-DIMMU BORGIR, ICS VORTEX, ARCTURUS) und Lars Nedland (SOLEFALD, ERSHETU) ihre anspruchsvollen Gesangslinien perfekt singen, während sie gleichzeitig Bass (ICS Vortex) und Keyboard (Nedland) spielen. Dabei gehen sie sichtlich in ihrer Musik auf, jeder auf seine Art. Am meisten sticht wohl Nedland mit einer fast manischen Performance heraus. In dieser Kombination das Beste, was norwegische progressive Extrem-Musik derzeit zu bieten hat. Eigentlich könnte das Konzert nach dieser Vollbedienung schon zu Ende sein, aber wir haben erst etwas mehr als die Hälfte erlebt!

Fast ein Vierteljahrhundert liegt zwischen "Quintessence"'s 'Colossus' (2000) und 'Moon' von "Fall" (2024). So unterschiedlich die Alben auch klingen mögen, die Jahrzehnte überdauernde Handschrift der Mannen um Bandgründer und Kopf Øystein G. Brun ist zu jeder Sekunde hörbar. Hervorheben möchte ich an dieser Stelle das absolut überzeugende Lead- und Sologitarrenspiel von Jostein Thomassen, das gerade diese beiden Songs trägt.

Mit 'Summits' hören wir ein letztes Mal für heute Klänge vom aktuellen Album, bevor auch die Fans des ganz alten Materials auf ihre Kosten kommen: 'Dauden' ist eine Reise zum Debütalbum der Band. Mit 'Winter Thrice' endet der norwegische Reigen nach gut 60 Minuten. Was für ein tolles Konzert, was für fähige Musiker, was für eine überwältigende Freude wir nach dem Gig spüren. Der Wunsch für das Unchristkind in diesem Jahr ist klar: BORKNAGAR als Headliner, bitte so bald und so nah wie möglich.

Die Umbaupause zieht sich ein wenig in die Länge, denn es sieht so aus, als wäre alles längst fertig. Gut, auch Musiker brauchen Zeitpläne, und so verdunkelt sich die Halle erst kurz nach halb neun. Es wird sakral, zumindest im Intro. Denn ganz unsakral stürmt Sakis Tolils auf die Bühne und verkündet in wunderbarem griechischen Akzent auf Deutsch: "Wir sind ROTTING CHRIST aus Griechenland und wir spielen Black Metal. Eins, zwei, drei, vier!" Was für ein Bruch mit dem episch-mystischen Auftritt von BORKNAGAR zuvor. Das muss man erst einmal verdauen.

Ich habe ROTTING CHRIST als Band nie wirklich verstanden, deshalb brauche ich ein paar Songs, um in das Konzert hineinzufinden. Der Großteil des Publikums hüpft, bangt und brüllt bereits kräftig mit. Der Sound kommt auch extrem fett aus den Boxen und die vier Jungs versprühen auf der Bühne reine, pure Energie. Das ist schon cool. Oft steht der Groove im Vordergrund und mir fehlt ein etwas mutigeres Songwriting, um wirklich überzeugt zu sein.

Aber live funktioniert der Sound richtig gut, wir erleben hier eine gut geölte griechische Grooveband! Und die Mitsingparts kommen auch nicht zu kurz, wenn man die Band mit zwei Worten beschreiben müsste, wären das wohl "Uh" und "Ah". Während ich Rüdigers Worten, die Griechen nicht zu unterschätzen, nach eineinhalb Stunden nur zustimmen kann, wendet sich der Blick gen Westen: Wie viele "Uhs" und "Ahs" hast du in Heidelberg gezählt, Hang?

[Julian Rohrer]

Dass ROTTING CHRIST erst eine gewisse Anlaufzeit braucht, wie bei Kollege Julian, kann ich mir ziemlich gut vorstellen. Denn auch bei mir war es keine Liebe auf den ersten Blick. Erst mit "The Heretics" (2019) hat die Band ein Album hervorgebracht, das mich neugierig machte - unfassbar, ich weiß. Die Griechen dann mal live zu sehen, war aber nicht so einfach. Denn über die letzten Jahre kamen nur noch vereinzelt Auftritte auf Festivals, und das, obwohl die Band vor Corona eigentlich gefühlt an jeder Steckdose gespielt hat. Nachdem dieses Jahr dann die ausgiebige Europatournee endlich angekündigt worden war, konnte ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Das denkt sich wohl auch die Mehrheit in der Heidelberger Halle 02, die an diesem Abend fast aus allen Nähten platzt.

Die lange Abstinenz in Sachen Clubshows ist bei den Musikern deutlich spürbar, denn, Junge, hat die Band Bock. Frontmann und Sänger Sakis sprüht vor jugendlicher Energie und kann problemlos mit seinen deutlich jüngeren Bandmitgliedern mithalten. Er lässt keine Gelegenheit aus, um auch wirklich jede Person in allen Ecken der Halle anzustrahlen und sie zum Mitmachen zu animieren. Und das Publikum lässt sich nicht zweimal bitten. Wer nicht den Nacken an die maximale Belastungsgrenze bringt, hat auf jeden Fall am nächsten Tag Stimmverlust (Dank der langen "Uh-Ah"-Gesangseinlage) oder kann den ausgestreckten Arm nicht mehr herunternehmen.

Vom neuen Album "Pro Xristou" hören wir heute lediglich drei Lieder ('Like Father, Like Son', 'Pro Xristou' und 'The Apostate'), aber das stört offenbar keinen, denn die restliche Setlist liest sich wie ein wilder Best-of-Ritt durch die Diskografie der vergangenen zehn Jahre. Bei insgesamt 90 Minuten Spielzeit schaffen es aus den Neunzigern 'Non Serviam' und 'The Sign Of Evil Existence' ins Programm. Und damit treffen sie den Nerv der Menge, denn aus der Schunkel-Haarparty wird nun der Pit der Vorhölle. Es regnen Crowdsurfer nach vorne und sie bringen die Security ordentlich ins Schwitzen. Währenddessen öffnet sich die Menge und die erste Wall of Death lässt die Wände beben. An ein Ende ist gar nicht zu denken und mit 'Grandis Spiritus Diavolos' und 'The Raven' kitzeln die Griechen bei der Zugabe auch noch das letzte bisschen Energie aus der Masse.

Während die Kollegen in Franken "Uhs" und "Ahs" zählen, komme ich gar nicht hinterher alle Eindrücke des Publikums zu verarbeiten. Aber ROTTING CHRIST hat an diesem Abend in Heidelberg die Hütte abgerissen.

[Hang Mai Le]

 

Alle Photos von Rüdiger Stehle.

Redakteur:
Julian Rohrer

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