Ragnarök Festival - Lichtenfels

09.05.2023 | 19:31

13.04.2023, Stadthalle

Die einstige Pagan-Hochburg kommt mit Schwedentod à la HYPOCRISY, vermehrt maskiertem Black Metal und der vermeintlichen Provokation NARGAROTH daher.

Am vollgepackten Samstag geht es schon anderthalb Stunden früher los. Nachdem die spanischen Symphonic-Deather DARK EMBRACE vor noch recht leerer Halle eröffnen dürfen und die Schweizer Folk-Blackies CÂN BARDD erste atmosphärische Momente liefern, bleibt es im Anschluss weiter bei getragener Stimmung: Zwei kahle Bäume links und rechts des Schlagzeugs unterstreichen auch optisch die Grundatmosphäre bei ENISUM. Nicht, dass den vier Italienern schnellere Black-Metal-Parts fremd wären. Aber mit Flüstern und auf Akustik gestimmten Gitarren vergessen die Turiner bei Songs wie 'Night Forest' nie ihre emotionale Schlagseite. Dem erst staunenden und dann jubelnden Publikum scheint's bestens zu gefallen.

Dann ist es Zeit für den Dauergast und Geheimfavoriten AGRYPNIE. Mastermind Torsten marschiert mit weißen Kontaktlinsen nebst über die Nase gezogenem Halstuch auf die Bühne und reckt immer wieder die Faust in die Luft. Nachdem er eine Woche zuvor beim Dark Easter etwas mit seiner Stimme zu kämpfen hatte, klingt er dafür diesmal umso aggressiver. Angesichts überlanger Songs und 40 Minuten Spielzeit stehen nur sechs Songs auf der Setlist, wobei die aktuellen 'Wir Ertrunkenen' und 'Verwüstung' den Startschuss bilden. Älteres Material sucht man zunächst vergebens, dafür feiert mit 'Meer ohne Wasser' ein brandneues Stück vom wohl kommenden Album seine Premiere. Und ganz ohne zumindest die traditionelle Bandhymne 'Der tote Trakt' kommt ein AGRYPNIE-Gig natürlich nicht aus, die obligatorischen Anfeuerungsrufe der Fans inklusive. Eine sehr solide Perfomance der inzwischen österreichisch-hessischen Schwarzmetall-Kombo.

Manchmal findet man nicht nur die Setlist in Papierform auf den Bühnenboden geklebt vor. Im Falle der Finnen KAUNIS KUOLEMATON stehen auf einem weiteren Zettel Übersetzungshilfen wie "wir sind das erste Mal in Deutschland überglücklich". Das macht die Ansagen zwar sympathischer, aber nicht unbedingt verständlicher. Bei den Songtiteln halten sich die Doom-Deather hingegen ganz an ihre Muttersprache und präsentieren Stücke mit klangvollen Namen wie 'En ole mitään' oder 'Syttyköön toinen aurinko'. Sänger Olli gestikuliert dabei ausladend oder lehnt gedankenversunken auf seinem Mikroständer. Nachdem er im Soundgewand zwischendurch etwas im Hintergrund verschwindet, ist er gegen Ende des Sets wieder deutlich klarer zu hören. Insgesamt eine ordentliche Premiere hierzulande.
[Carsten Praeg]

Während andere Festivals vor allem auf ihrem Außengelände mit Matsch zu kämpfen haben, gilt das auf dem "Ragnarök"-Festival in der Halle. Und zwar beim Sound. Das trifft die Schweden von WORMWOOD in meinen Ohren besonders. Ihr eigentlich sehr atmosphärischer und druckvoller Plattensound geht in Lichtenfels im Wummern und Dröhnen der Boxen unter. Das kann aber auch eine Einzelmeinung sein, denn vor der Bühne ist viel los. Die Jungs versammeln dort eine kopfschüttelnde Meute und das hat sicher nicht nur etwas mit den süßesten Zöpfchen des Festivals zu tun. Die hängen nämlich am Gitarristen der Band. Am Ende bleibt ein umjubelter Gig, der aber nicht annähernd die Plattenqualität der Band bestätigt.
[Julian Rohrer]

Mit SCHAMMASCH aus der Schweiz wird es nun spirituell-okkult. Musik und optische Präsentation bilden hierbei ein Gesamtkunstwerk. Der Drummer ist von jeweils zwei ineinander gekehrten Pyramiden auf Stativen, in welchen rote Lichter glühen, flankiert. Daneben wehen zwei Banner. Vier Gestalten in schwarzen mit goldenen Ornamenten verzierten Roben mit Gitarren stehen vorne an der Bühne in der Dunkelheit. Die beiden in der Mitte tragen Kapuzen und haben geschwärzte Gesichter. Dazu ist die Musik etwas für anspruchsvollere Ohren. Mit 'Ego Sum Omega' geht es erst einmal konventionell los. 'A Paradigm Of Beauty' mit unverzerrten Gitarren und dem Klargesang sticht dagegen klar aus dem heutigen Programm heraus. Ein weiteres Highlight ist 'Metanoia'. Der Gesang bildet einen ungewohnten Kontrast zu den Blastbeats. Leider tut die harte Akustik der großen Halle den Liedern gar nicht gut. Zum Glück gibt es demnächst noch weitere Gelegenheiten SCHAMMASCH zu sehen und zu hören.
[Stefan Brätsch]

GRAVEWORM, bei dem Namen klingelt es bei den meisten. "Die gibt es noch? Die waren früher doch mal ganz gut", hört man an diesem Wochenende öfter. Tatsächlich hatten die Südtiroler vor ihrer aktuellen Langrille eine achtjährige Albumpause, letztmals live gesehen hat zumindest meine Wenigkeit die Jungs wahrscheinlich Mitte der Zweitausender. Losgelegt wird am frühen Abend aber, als seien sie nie weggewesen. Während 'Escorting The Soul' aus den Boxen knallt, nimmt Sänger Stefan Fiori sogleich seine typische Keifpose mit einem Bein auf der Bühnenerhöhung ein. "Wow, ist das geil", will er sogleich mehr vom Publikum hören, "ich will eure Haare fliegen sehen!" Da kommen bei einigen fast schon Jugenderinnerungen auf. 'Downfall Of Heaven', ja, da war doch was. Sänger Stefan verweist immer wieder auf die tickende Uhr, die Zeit drängt und die Südtiroler wollen so viel wie möglich raushauen. Mit 'Hateful Design' ist dann aber pünktlich Schluss.
[Carsten Praeg]

Anschließend ist es Zeit für die Urgesteine von THYRFING, die seit 25 Jahren auf den Brettern stehen. Diese Routine merkt man dem Schweden-Vierer an, doch da die Truppe sich mit jedem Album weiter weg von ihrem Wikinger-Image bewegt, ändert sich auch die Show: Sie präsentiert viele neue Songs der letzten beiden Alben, und so bekommt der geneigte Ragnarök-Besucher  hauptsächlich ernsthaften Folk Black Metal auf die Ohren. Der vorletzte Song "Kaos aterkomst" wird vom Publikum begeistert aufgenommen, was der Band bescheinigt, den richtigen Weg in ihrer Entwicklung genommen zu haben.

Darauf folgt der zweite Auftritt von MÅNEGARM. Dieses Mal haben die Musiker die E-Gitarren ausgepackt und machen von diesen im Gegensatz zu gestern auch reichlich gebrauch. Doch auch die Geige ist wieder am Start und sorgt für den folkloristischen Touch, für den die Band bekannt ist. Sänger Erik ist in Redelaune und erzählt davon, wie sie 2005 das erste Mal in Lichtenfels waren und damals bei Ivo (dem Veranstalter) auf der Couch gepennt haben. Die Songliste ist dieses Mal naturgemäß vorhersehbarer. Neben Stücken von den letzten beiden Alben gehen die Schweden mit 'Ursjälens visdom' zurück bis in "Dödsfärd"-Zeiten, aber natürlich darf der einzige englisch-sprachige Song 'Odin Owns Ye All' nicht fehlen, der sogar einige Crowdsurfer auf den Plan ruft.
[Martin Storf / Twilight Magazin]

Bei diesem "Ragnarök"-Festival bieten die Österreicher HARAKIRI FOR THE SKY ein "Special Set": Zehn Jahre nach Erscheinen des Debütalbums haben die Black-Posties ihre ersten beiden Alben jüngst neu eingespielt, und so besteht das heutige Set fast nur aus Songs dieser Alben. Ein Höhepunkt: Zu 'Burning From Both Ends' kommt Torsten "Der Unhold" Hirsch von AGRYPNIE mit auf die Bühne und singt mit HARAKIRI-Fronter J.J. im Duett. Tags zuvor war die Nummer so noch gar nicht geplant, aber Torsten wäre nicht der Meister der Gastauftritte, würde er diese spontane Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen. Eine Ausnahme im heutigen Special Set bietet das abschließende 'Fire, Walk With Me', zu dem J.J. erst emotional in die Knie geht und dann auf dem Rücken liegend weitersingt. Und Kollege Carsten darf erstmals live zu seinem HARAKIRI-Favoriten abgehen.
[Stefan Brätsch]

EINHERJER von der norwegischen Westküste wischten sich beim Soundcheck 2021 im Februar zu Recht den Hintern mit der Konkurrenz. Was war "North Star" doch für ein MÄCHTIGES Stück Wikinger-Metall. Umso gespannter waren wir, wie sich die Mannen um den Bass-spielenden Sänger Frode Glesnes und Drummer Gerhard Storesund machen sollten. Und was soll ich sagen? Die gewaltige Heavy-Pagan-Show mausert sich schnell zu meinem Highlight des ganzen Festivals. Die Band bringt viel 90er-Stoff, aber eben auch Songs der modernen Alben auf die Bühne und verwebt sie nahtlos zu einem eisengeschwängerten Gesamtkunstwerk. Das Publikum dankt es zurecht mit euphorischem Jubel und weit in die metgeschwängerte Luft gereckte Teufelshörner. Und hier passt auch endlich der Sound, was die Drachen des Nordens knackig aus den Boxen brüllen lässt.
[Julian Rohrer]

Genau 20 Jahre ist es her, dass NAGLFAR mit ihrem Drittwerk "Sheol" ziemlich durchgestartet sind. Könnte da live nicht was gehen zum Jubiläum? Stattdessen kommt – gar nichts von ihrem damaligen Überalbum. Was vielleicht auch damit zusammenhängen könnte, dass seinerzeit noch ein gewisser Jens Rydén am Mikro stand. Nun zeichnet sich aber bereits seit 18 Jahren Kristoffer W. Olivius für die Vocals verantwortlich und so heißt der älteste Song im heutigen Set 'A Swarm Of Plagues'. Kickt aber auch gut und liegt musikalisch noch am nächsten am früheren Schaffen. In Sachen Bühnenperformance geben sich der einst vor allem durch grimmiges Dreinschauen auffallende Kristoffer und seine Mannen inzwischen größte Mühe, die Fans mit ins Boot zu holen. Was die Schweden abseits von düster-melodischem Geballer schon wieder sympathisch macht. Vom eröffnenden 'Blades' bis zum abschließenden 'Harvest' machen die Skandinavier klar, dass sie eigentlich der Headliner des heutigen Tages sind.
[Carsten Praeg]

Was für ein Idiot. Nargarotz. Lächerlich! Ist der nicht NSBM?! Wie leicht ist es, über diese Band zu urteilen. Und wie oft hört man das an diesem Samstag. Und dann noch die Hoffnung einzelner, NARGAROTH-Frontmann Ash (ehemals Kanwulf, bürgerlich René Wagner) würde sich zu einer Aktion hinreißen lassen, die ein Bühnenverbot nach sich zieht. Wer Black Metal hört, kennt die Kontroversen um die Band. Und dann gibt es einen vor allem jüngeren Teil der Szene, der die Band für ihre kompromisslose Interpretation des Black Metal feiert, die seit fast 30 Jahren mehr oder weniger unbeirrt abgefeuert wird. In der Summe kann man die Mischung im Publikum also als durchaus heterogen bezeichnen: Echte Fans, Unfall-Touristen, ironische Szene-Hipster stehen Seite an Seite und das ist doch auch irgendwie witzig.

Mit zwei Gitarristen sowie Schlagzeug im Hintergrund stürmt Ash auf die Bühne. Nieten, Leder, Corpsepaint lassen sofort 1990er-Vibes aufkommen. Leider trübt der schwammige Sound, der das ganze Festival prägt, auch diesen Headliner-Gig. Doch die sägenden Gitarren, der undeutliche Kreischgesang und das energische Drumming wecken nochmal die müden Geister des "Ragnarök"-Publikums wieder. Und wer nun auf einen Skandal hofft, wird von einer überzeugenden und hochemotionalen Performance des Black-Metal-Urgesteins Ash überrascht. Er posiert, hämmert sich gegen den Kopf, schreit sich die Seele aus dem Leib – und fragt dann das Publikum im leichten Dialekt mit normaler Stimme, ob noch alle Bock haben. Als stünde er nicht als eines der letzten Aushängeschilder der zweiten BM-Welle auf der Bühne, sondern wieder bei Sonja Zietlow im IQ-leichten RTL-Nachmittagsprogramm. Auf die Rufe aus dem Publikum, er solle Musik machen und nicht quatschen, antwortet Ash: „Ich mache noch eine Sache, die mir wichtig ist, dann verpiss ich mich“. Im Anschluss fragt er auf Englisch in Richtung seiner Freundin (?), ob sie ihn heiraten wolle, bekommt offenbar das richtige Signal und kündigt eine Hochzeitsplanung für dieses Jahr an. Das alles ist so vollkommen bizarr, dass man nicht weiß, ob man hier einer besonders perfiden wie genialen Form der Selbstironie beiwohnt, oder ob ausgerechnet Mr. „Black Metal ist Krieg“ uns gerade den emotionalsten sowie romantischsten Auftritt des gesamten Festivals beschert hat. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass in all dem Plastik, das die Szene mittlerweile produziert und präsentiert, derartige Momente der Disruption und Erschütterung guttun. Sie lassen einen zwar etwas ratlos zurück. Aber das ist schon irgendwie geil.
[Julian Rohrer]

Schunkeln kann man zu NARGAROTH übrigens auch erstaunlich gut. Allerdings wundert es mich persönlich doch etwas, dass René Wagner beim "Ragnarök" überhaupt noch gebucht wird – nachdem er hier backstage vor einigen Jahren für einen handfesten Tumult mit NOCTE OBDUCTA gesorgt hat. Ein Grund etwa, weshalb die mit den Mainzern befreundete Band HERETOIR dieses Jahr nicht die Bühne mit Ash teilen wollte. Sei's drum, aus rein musikalischer Sicht ein würdiger Abschluss für die diesjährige Festivalausgabe. In Zukunft gerne weiterhin mit starker Schwarzmetall-Schlagseite!
[Carsten Praeg]

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Redakteur:
Carsten Praeg

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