Rock Of Ages - Seeborn
01.09.2006 | 13:0528.07.2006, Festivalgelände
Geburtswehen hatten die Macher des alljährlichen "Bang Your Head!!!" -Festivals schon, als sie mit der Idee schwanger gingen, zum etablierten Metalfestival in Balingen noch ein etwas rockigeres Open-Air in Seeborn aus dem Boden zu stampfen. "Größenwahn", "Arroganz" und "Realitätsverlust" sagte man Herrn Franz (ehemals Odermatt) und seinem Team vom Magazin "Heavy" nach. Gut, so ganz glücklich war die diesjährige Bandzusammensetzung nicht, da sich beide Festivals einfach zu sehr überschnitten (mit FOREIGNER, WHITESNAKE, RICK EMMET, Y&T und ähnlichem Kaliber war der Anteil von Rockbands auf dem BYH 2006 bereits sehr hoch). Trotzdem muss man sagen, dass mit einer der (vorerst) letzten Shows von TWISTED SISTER, GOTTHARD, HOUSE OF LORDS, GLENN HUGHES, VIXEN oder auch den legendären Bands WISHBONE ASH, SAGA, THE SWEET, UFO und URIAH HEEP man einige Perlen nach Seeborn hatte locken können.
Somit war ich im Vorfeld extrem gespannt, wie das Festival angenommen werden würde und ob es den Veranstaltern gelingen konnte, die einzigartige Atmosphäre des großen Bruders auch auf dem "Rock Of Ages" zu schaffen.
HOUSE OF LORDS
Leider macht mir der unglaubliche Verkehr auf den deutschen Autobahnen in Richtung Süden an diesem Freitag einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Im Schritttempo und mit immer stärker anschwellendem Hals bewegen wir uns an Balingen vorbei und erreichen kurz nach 15 Uhr das Festivalgelände. Das hat natürlich zur Folge, dass ich - obwohl sich alles um ein paar Minuten nach hinten verschoben hat - die Bands NO CREEPS und SOUL DOCTOR verpasse. Erster Festivaleindruck: Alles sehr beschaulich, nette Gegend, freundliche Leute, wenig Autos.
Als wir das Festivalgelände betreten beginnen nur eine Minute später die Amerikaner HOUSE OF LORDS mit dem Titelstück ihres zweiten Albums "Sahara" ihr gut einstündiges Set. Puh, gerade noch geschafft, sind es doch ausgerechnet Sänger James Christian und seine Mannen, auf die ich mich am meisten gefreut hatte. Zum ersten Mal live und dann noch mit einem solch bärenstarken neuen Album im Gepäck. Schnurstracks vor die Bühne, Sonnenbrille aufgesetzt, Hemd aufgeknöpft und schon fühlt man sich (fast) zurückversetzt in die goldene Zeit des Melodic-Rock Ende der Achtziger/Anfang der Neunziger, als dieser Sound noch Stadien füllte.
Heute haben sich um diese Zeit enttäuschende 300 Leute auf dem Gelände eingefunden, die das Quartett feiern und jeden Song lauthals mitsingen. Dabei spielen HOUSE OF LORDS ein schönes Best-Of-Programm ihrer bisherigen vier Alben, wobei sie den Reuniontotalausfall "The Power And The Myth" aus dem Jahre 2004 glücklicherweise ausklammern. Überwiegend präsentieren sie Songs ihrer aktuellen Scheibe "World Upside Down" und mit 'Love Don't Lie', 'Edge Of Your Life', 'I Wanna Be Loved', 'Pleasure Palace' und 'Slip Of The Tongue' einen Großteil ihres Debütalbums aus dem Jahre 1988, das speziell in den Vereinigten Staaten zu einem der größten und besten Melodic-Rock-Alben aller Zeiten zählt.
Zu Beginn haben Christian & Co etwas Schwierigkeiten in Fahrt zu kommen, steigern sich aber mit zunehmenden Publikumsreaktionen. Auch an die vielen gesampelten zweiten Stimmen und Chöre muss man sich erst ein bisschen gewöhnen, gegen Ende hin passen sich diese technischen Spielereien aber in das Gesamtbild problemlos ein. Stimmlich ist James Christian voll auf der Höhe und meistert jede Station seiner langen Karriere mit Bravour. Gerade die neuen Stücke wie 'Rock Bottom', 'All The Way To Heaven', 'These Are The Times' oder auch 'I'm Free' brillieren mit unglaublicher Dynamik und beweisen, dass HOUSE OF LORDS definitiv auf dem richtigen Weg sind. Wenn man dann noch solche Klassiker wie die Ballade 'Love Don't Lie', 'Edge Of Your Life' oder 'Can't Find My Way Home' mit dabei hat, kann eigentlich nicht mehr viel schief gehen. Mir persönlich hat zwar noch die eine oder andere Nummer mehr vom überragenden 92er-Werk "Demons Down" gefehlt (wo zum Beispiel war eben 'Demons Down' oder auch 'Spirit Of Love'?), aber auch so konnten sie meine Anreisestrapazen locker vergessen machen. Daumen hoch.
Setlist:
Sahara
Talkin' 'Bout Love
Love Don't Lie
Rock Bottom
SOS
Edge Of Your Life
All The Way To Heaven
I Wanna Be Loved
These Are The Times
Can't Find My Way Home
I'm Free
Pleasure Palace
Slip Of The Tongue
Zwischenimpessionen
Nun wird es Zeit, das Festival erst einmal auf sich wirken zu lassen, die Essens- und Getränkestände zu inspizieren und den gewohnten Festivalständen einen Besuch abzustatten. Das Festivalgelände ist nur unwesentlich kleiner als in Balingen, wobei das Publikum hier nicht auf Beton, sondern auf Rasen steht bzw. liegt. Das etwas ansteigende Gelände ist ideal, um auch in den hinteren Reihen noch perfekt das Treiben auf der Bühne verfolgen zu können. Im Essens- und Getränkebereich setzt man auf Bewährtes und geht auch in Sachen Preisen keine Risiken (weder positiv noch negativ) ein. Die Stände sind deutlich abgespeckt, decken trotzdem die üblichen Verkaufsutensilien wie CDs, allerhand Klamotten und Schmuck ab. Standard eben. Diesen kleinen Inspektionen des Geländes und der angrenzenden Camping-, Parkplatz- und VIP-Bereiche fällt der Auftritt von WISHBONE ASH zum Opfer, die sich nach Aussagen von Augen- und Ohrenzeugen "nett und wie erwartet" geschlagen haben sollen.
GLENN HUGHES
Pünktlich zu Glenn Hughes stehe ich wieder vor der Bühne im sich langsam füllenden Publikum, um der Sangeskunst des Sangesgottes zu lauschen. Etwas irritierend sieht er schon aus mit seinem rosa gefleckten Hemd, der schwarz-braunen Weste, der getönten Sonnenbrille und seiner alles andere als rockigen Frisur, doch wenn der kleine Mann mit dem großen Bass und der noch größeren Stimme ans Mikrofon schreitet, dann bekommen alle Anwesenden den Mund nicht mehr zu. In seinem einstündigen Programm präsentiert uns der Engländer seine rockige und funkige Seite. Er präsentiert uns einen Querschnitt seines bisherigen Schaffens, wobei er überraschend viel Augenmerk auf seine Phase bei DEEP PURPLE legt. Uns soll es nur Recht sein, hatten doch alle vorher eher einen Großteil vom neuen Album "Fused" befürchtet. Mr. Hughes zeigt stattdessen einmal mehr all seine gesanglichen Facetten, die mir ein ums andere Mal eine Gänsehaut auf den Rücken zaubert. Zwischendurch übertreibt er es dann ein wenig ('Mistreated') und beweist uns minutenlang, wie hoch er seine Stimme schrauben und dabei noch unglaublich kontrollieren kann. Vielleicht wäre aber ein weiterer Song angebrachter gewesen. Sei's drum, der Auftritt war positiv, nicht der Hammer, aber kurzlebig und handwerklich beeindruckend.
Setlist:
Soulmover
Might Just Take Your Life
Black Light
Mistreated
Steppin On
Monkey Man
Stormbringer
Burn
GOTTHARD
Ich muss gestehen, dass ich die Schweizer nach ihrem ersten Album (Mann, das ist ja echt schon Jahre her) aus den Augen verloren habe und immer als nette, aber unspektakuläre Hardrockband abgestempelt hatte. Ein Irrtum, der mir auf der letzten regulären Tour im Herbst 2005 und auch auf dem "Rock Of Ages 2006" allzu deutlich vor Augen und Ohren geführt wurde. Ich muss echt meinen Hut vor den Herrschaften ziehen und mein Haupt in Demut vor ihnen neigen, denn GOTTHARD betreten die Bühne, eröffnen ihr Programm mit 'All We Are' und zeigen erst einmal der versammelten Hardrockgemeinde, wo der Hammer hängt. Die grandiose Lichtshow wirkt nun bei der einsetzenden Dunkelheit atemberaubend und der druckvolle und jederzeit glasklare Sound stellt alles bis dato am heutigen Tag gehörte in den Schatten. Mittlerweile hat sich das Festivalgelände auch gut gefüllt, so dass auch die Kulisse zu diesem großartigen Auftritt passt.
Die Routine des Quintettes ist zu jeder Minute hör- und spürbar. Die Rhythmussektion kracht auf den Punkt, die komplette Band ist in Bewegung (wirkt fast schon zu professionell) und Sänger Steve Lee ist wieder einmal der absolute Mittelpunkt, der von seiner Ausstrahlung und seiner stimmlichen Leistung her alles im Griff hat. Zwar kann man über sein bis unter den Bauchnabel aufgeknöpftes weißes Hemd schmunzeln, muss aber neidlos anerkennen, dass er es sich leisten kann. Die Schweizer spielen ein Best-Of-Programm, das eigentlich keine großen Wünsche übrig lässt. Vielleicht machen sie es sich ein wenig einfach, in dem sie exakt die Songreihenfolge der letzten Livescheibe "Made In Switzerland" spielen, wobei ich gerade das weggelassene 'One Life, One Soul' vermisse. Na ja, man kann eben nicht alles haben. Das Publikum tanzt, singt, jubelt und schreit noch minutenlang (vergeblich) nach einer Zugabe - GOTTHARD haben alles im Griff.
Setlist:
All We Are
Dream On
Hush
Mountain Mama
Let It Be
Top Of The World
I Wonder
Said And Done
Nothing Left At All
Sister Moon
Mighty Queen
Movin On
Heaven
Lift It Up
TWISTED SISTER
Nun wird es Zeit für TWISTED "fucking" SISTER. Jeder an diesem Tag schien nur diesem Ereignis entgegen gefiebert zu haben und so ist die Stimmung im weiten Rund sehr gut als das bekannte 'It's A Long Way To The Top' von AC/DC aus den Boxen dröhnt und den Auftritt der verrückten Schwestern ankündigt. Doch schon beim ersten Song 'Come Out And Play' kehrt Ernüchterung ein: Ein brutal schlechter Sound (und das nach der akustischen Perfektion von GOTTHARD) und eine schlecht aufeinander eingespielte Band ersticken jede aufkeimende Euphorie im Ansatz. Noch während 'The Kids Are Back' und 'You Can't Stop Rock'n'Roll' kämpfen der Tonmensch und die Musiker mit sich und den äußeren Umständen. Nur langsam kommen alle Beteiligten auf Normaltemperatur und speziell Derwisch Dee Snider steigert sich merklich von Song zu Song. Leider bleibt seine Kurzatmigkeit bis zum Ende, dafür rennt er ohne Pause von einer zur anderen Ecke der Bühne, macht obszöne Gesten ins Publikum und beweist wieder einmal Entertainerqualitäten bei den Ansagen, um sie anschließend auch mal sanft zu beleidigen. Dee Snider - wie er leibt und lebt.
TWISTED SISTER gehen musikalisch nicht den leichten Weg, sondern präsentieren einige schon lange nicht mehr gespielte Songs, die aber nicht an die Klasse der Standards heranreichen, vor allem nicht am heutigen Abend. Besonders im Mittelteil flaut die Stimmung ein wenig ab, was Dee mit flapsigen Sprüchen locker überspielt, aber das Partylevel nur langsam wieder ansteigen lässt. Spätestens als Mr. Snider anfängt, über die Vorbands herzuziehen, "wegen denen eh keiner gekommen ist" (O-Ton), ist die Stimmung kurz vor dem Kippen. Natürlich geht es wieder einmal darum, dass gegen Ende des Sets die Zeit davonläuft und wie immer sind die "bösen" Vorbands daran schuld. So wird sogar Hauptorganisator Horst Franz auf die Bühne zitiert, der "seinem" Headliner dann noch die eine oder andere Zusatzminute zugesteht.
Irgendwie ein merkwürdiger Auftritt, der bei weitem nicht an die Glanztaten vom "Bang Your Head!!!" oder auch aus Wacken heranreichen kann. Ich muss gestehen, dass es mich sogar ein klein wenig gelangweilt hat, was im Zusammenhang mit TWISTED SISTER ja eigentlich unvorstellbar ist. Es war auf jeden Fall noch einmal schön, die verrückten Schwestern gesehen zu haben. Vielleicht ist es jetzt aber auch dann irgendwann einfach mal genug.
Setlist:
Come Out And Play
The Kids Are Back
You Can't Stop Rock And Roll
The Beast
Like A Knife In The Back
Under The Blade
The Fire Still Burns
Shoot'em Down
I Wanna Rock
We're Gonna Make It
I Believe In Rock And Roll
I Am (I'm Me)
The Price
Burn In Hell
We're Not Gonna Take It
It's Only Rock And Roll
Tear It Lose
S.M.F.
Nachwehen
Der nächste Tag musste dann leider aus beruflichen Gründen ohne mich stattfinden, wobei mich besonders der Auftritt von VIXEN interessiert hätte (die vier Damen waren bereits am Samstag heißer Gesprächsstoff). So traten wir dann direkt nach TWISTED SISTER die Heimreise an, die zum Glück reibungsloser verlief als die Hinfahrt.
Auf diesem Weg muss man den Veranstaltern aber noch einmal auf die Schultern klopfen und sich für ihren Mut bedanken, ein solches Festival aus dem Boden gestampft zu haben. Seien wir doch einfach mal froh, dass es in Deutschland Menschen gibt, die viel Zeit, viele Nerven und unglaublich viel Geld investieren, um uns verwöhnten deutschen Musikfreunden ein großartiges Sommerwochenende zu bereiten. Ich danke auf jeden Fall herzlich dafür und freue mich schon auf das nächste Jahr.
- Redakteur:
- Chris Staubach