Ross The Boss - München

24.11.2008 | 12:42

20.11.2008, Metropolis

Der "New Metal Leader" ist in der Stadt. Nieten, Leder und Motorrad eingepackt und ab ins Metropolis. Bei 'ner Menge Bier, einer Bühnen-Bar und viel lauter Musik spielen ROSS THE BOSS und SINNER auf.

Tausende brüllende Fans um mich herum, unzählige Flaggen aus den verschiedensten Ländern, ohrenbetäubende Riffs aus der turmhohen P.A. und acht amerikanische Musiker (inklusive eines großen Orchesters mit Chor) auf einer riesigen Bühne. So habe ich Ross The Boss das letzte Mal gesehen. Mit MANOWAR auf dem Earthshaker 2005. Heute Abend gilt es nun, den selbsternannten "New Metal Leader" in München unter die Lupe zu nehmen. Mit dabei in dieser Heavy-Metal-Super-Show: die Kölner Hardrocker GUN BARREL und unser aller (Mat) SINNER.

Der erste Blick ins Metropolis macht klar: Eine MANOWAR-würdige Crowd wird es heute Abend nicht geben – zumindest quantitativ. Gerade fünfzig Metalheads haben sich eingefunden – und viel mehr werden es im Laufe des Abends auch nicht mehr. Das hält GUN BARREL aber nicht davon ab, pünktlich um acht Uhr die Bühne zu entern und den zwanzig Mutigen vor der Bühne Metal-Riff um Metal-Riff um die Ohren zu feuern.

Wie mir Tomcat (Bass) nach dem Gig erklärt, ist der aktuelle Sänger der Band erst seit letztem Sonntag im Metal-Boot, und dementsprechend unsicher war man sich, wie die Tour laufen würde. Nun, abseits des gewöhnungsbedürftigen Kleidungsstils des Herren, kommen die GUN BARREL-Songs in gewohnter Manier aus den Boxen. Sei es 'Roll Of The Dice' aus dem Jahr 2003 oder 'Fearing The Fear Of My Fears' vom 2005er "Bombard Your Soul" - das sind einfach geile Metal-Songs.

Auch die Herren an den anderen Instrumenten machen einen guten Eindruck. Bei 'Turn To Black' präsentiert uns oben erwähnter Tomcat seinen mit roten LEDs ausgestatteten Custom-Bass, während Toni Pinciroli sein Mini-Schlagzeug auf Augenhöhe mit den etwas verhaltenen Fans vor der Bühne malträtiert. Dabei gibt es für Verhaltenheit eigentlich überhaupt keinen Grund: Songs wie das geniale 'Lonely Rider', das wie nochmal was rockt, oder das Highlight 'Outlaw Rider', das mit einem großartigen Refrain aufwartet, laden mehr als nur zu einem höflichen Nicken ein. Nachdem man sich noch kurz darüber freut, dass sich der neueste Output, "Outlaw Invasion", sogar bis in die Passauer Provinz verkauft hat, wird nach knapp einer halben Stunde schon der letzte GB-Song des Abends eingeleitet. Dieser hört auf den Namen 'On The Road Again' und stellt eine nette Hommage an die großen britischen Brüder von SAXON dar. Ein schöne Show der Kölner, die Lust auf mehr macht.

Nach einer kurzweiligen Umbaupause, die mit dem einen oder anderen Bierchen gebührend begossen wird, fällt zuerst der Bühnenaufbau auf: Im linken Teil des Raumes, also neben dem Schlagzeug-Podest, steht nun eine Bar, überschrieben mit einem Plakat, auf dem "Ladies Night" steht. Aha, man will also auch von Bandseite aus Spaß haben – gibt es ein besseres Statement, um die versammelten SINNER-Fans vor der Bühne zum Ausrasten zu bringen?

Die Auffahrt zur Rock-Autobahn wird schließlich mit dem Titelsong der neuen Platte genommen: 'Crash And Burn'. Angesichts der nur etwa hundert Leute in der Halle hatte die Band wohl im Vorfeld ein wenig Angst, ob es heute Abend überhaupt etwas werden kann. Doch spätestens mit den "SINNER!"-Sprechchören, die nach jedem Song einsetzen, wird den SINNERn jegliche Angst vor einem lahmen Auftritt vor noch lahmerem Publikum genommen. So kommt es, dass die Herren um Mr. Mat die Sympathien gar nicht fassen können, die ihnen da entgegenschwappen. Es zählt eben doch die Qualität und nicht die Quantität. Weiter getragen wird die Euphoriewelle durch den stylisch-melidiösen Kracher 'Connection', bei dem vor allem Henny Wolter und Christof Leim an den Gitarren ihre Klasse unter Beweis stellen können. 'Lost In The Minute' führt zurück ins Jahr 1986 und unterstreicht mal wieder, was für ein sympathischer Entertainer Mat Sinner über die Jahre hinweg geworden ist. Noch ein wenig älter wird es mit 'Born To Rock', ein Song, bei dem wirklich jeder vor und auf der Bühne sein Bestes gibt. Mann, was für eine Party!

Direkt im Anschluss werden dann die ersten Getränke an der Bar ausgeschenkt und - ganz im Sinne der "Ladies Night" - zwei Damen aus dem Publikum eingeladen, mit den sympathischen Schwaben auf den tollen Abend anzustoßen. Es würde zwar mit Sicherheit jeder gerne mit (den hübschen Damen und) SINNER auf der Bühne trinken (wahrscheinlich würden sogar alle Fans am heutigen Abend auf die Bühne passen – aber das nur nebenbei), doch müssen wir uns damit abfinden, die Heavy-Metal-Helden von unterhalb der Bühne anzuhimmeln. Allerdings fällt das bei Songs wie 'Break The Silence' oder 'Danger Zone' auch nicht wirklich schwer. Bevor wir mit 'Knife In My Heart' balladesk entführt werden, gibt es noch ein Gitarren-Solo von und mit Henny Wolter und das gekonnt rockig gedrummte 'Heart Of Darkness'. 'The Dog' heißt der Killer für die Stimmbänder aller Anwesenden, bevor wir mit 'Judgement Day' und 'Fist To Face' noch einen weiteren Schritt in die Vergangenheit der Band gehen. Das seit Jahren als fest eingeplantes Cover der Band gewohnte 'Rebell Yell' – im Original von BILLY IDOL – würde normalerweise den regulären Teil des Abends schließen.

Jede andere Band würde jetzt die Bühne verlassen, um sich dann mit viel Trara zurückrufen zu lassen – so weit die Theorie. Und was machen SINNER? Mit einem fröhlichen "Ihr seid so geil! Wir bleiben einfach da!" bleibt man direkt auf den Brettern, die die Welt bedeuten, schnappt sich noch 'ne Jackie-Cola und haut weiter in die Saiten. 'Revolution' von der aktuellen Platte und ein flugs in "Metropolis Rocks" umgedichtetes 'Germany Rocks' beenden einen großartigen Auftritt einer tollen Heavy-Metal-Band.

Als um 23.00 Uhr die ersten Töne von 'Blood Of Knives' ertönen, scheint es doch so, als ob die meisten – wobei das bei der geringen Zuschauerzahl sowieso relativ ist – zu SINNER gekommen sind. Das tut der Sache allerdings keinen Abbruch, und schon bald findet sich eine feine Schar Kopfnicker vor der Bühne ein. Die zahlreichen MANOWAR-T-Shirts im Rund machen klar, wer da auf der Bühne steht: ROSS THE BOSS. Dem großen Heros des True Metal so direkt und mit nicht einmal einem Meter Abstand gegenüberzustehen, ist schon ein tolles Gefühl. Allerdings wird ebenso schnell klar, dass wir es hier nicht mit einer MANOWAR-Best-of-Show zu tun haben, sondern ein anderes Kind des wahren Metal nach München gefunden hat. Mit einer neuen Platte im Gepäck, die durch die Bank starke Metal-Songs enthält, sollen heute Abend auch die jüngeren Szenegänger von den ehemals wegweisenden Rhythmen des Gitarrenvirtuosen überzeugt werden.

'Death And Glory' gibt - neben einer hörenswerten Lead-Gitarre - auch den anderen Musikern auf der Bühne die Möglichkeit, zu glänzen. Namentlich sind dies Carsten Kettering am Bass und Patrick Fuchs am Mikro. Beide sind ja durchaus von IVORY NIGHT bekannt und lassen heute überhaupt nichts anbrennen. Natürlich ist es unter Umständen gewöhnungsbedürftig, wenn Patrick Fuchs MANOWAR-Klassiker mit seiner durchaus eigenen Stimme intoniert – aber besser eine freche Interpretation als eine langweilige Karaoke-Show.

Mit 'God Of Dying' wird dann das erste Mal etwas Geschwindigkeit herausgenommen, und wir haben Zeit zu verschnaufen, bevor die Dampfhammer-Rhythmen, abgefeuert von Matze Mayer (Drums), erneut alles von der geschundenen Nackenmuskulatur abfordern.

Obwohl das Publikum sich ein wenig zurückhält mit der Gesamtresonanz, wird zumindest jede Note der großartigen ROSS THE BOSS-Soli abgefeiert. Das bemerken natürlich auch die Musiker auf der Bühne und geben dementsprechend alles. Mit 'We Will Kill' wird ein vorläufiger Höhepunkt des BOSS-Konzerts erspielt – diese Nummer geht live aber auch ab wie ein Zäpfchen ...

Als dann "endlich" der erste MANOWAR-Titel angespielt wird – 'Gloves Of Metal' – wird es vor der Bühne noch einmal etwas voller. Der nächste Song ist auch ein Cover, allerdings von BRAIN SURGEONS. Der Song 'Constantines Sword', welcher auch auf "New Metal Leader" zu finden ist, glänzt durch groovenden Rock und bildet eine interessante Überleitung zu der nächsten MANOWAR-Session, unter anderem mit dem Alltime-Gassenhauer 'Hail To England'. Dieser Klassiker heizt die Stimmung derart auf, dass wir bei 'Immortal Son' fast SINNEReske Zustände vorfinden. Die Party geht noch ein letztes Mal für diesen Axtschwinger-Abend steil, und kaum einer kann sich diesem puren Metal entziehen.

Ein letztes Aufbäumen, ein letztes Donnergrollen stellen die zwei Zugaben dar, namentlich 'I Got The Right' und das herzzerreißende 'Hail And Kill'. Dann ist es auch schon wieder vorbei. Viel zu schnell und viel zu schön, als dass man jetzt einfach in die kalte Novembernacht entschwinden könnte. Und so gesellt man sich noch schnell zu den anderen Feierwütigen, einschließlich der Protagonisten des Abends, von denen wirklich niemand Berührungsängste zeigt – egal ob sie jetzt Mat Sinner oder Ross The Boss heißen.

Nun bleibt – neben dem Zuprosten zu den Helden des Abends – eigentlich nur noch festzuhalten, dass heute Abend in München drei wirklich tolle Metalbands gespielt haben. Seien es super organisierte Großveranstaltungen wie JUDAS PRIEST im Zenith oder zweifelsfrei auf Party ausgerichtete Feierevents wie das Paganfest: Den wahren Spirit des Metal, so es ihn noch gibt, habe ich heute Abend erlebt. Die wahre Party fand heute im kleinen Kreis gleich verrückter Enthusiasten statt. Seien es die sympathischen GUN BARREL, die den Abend genau richtig eröffnet haben und die Stimmung für SINNER wohl temperiert haben, oder eben jene Kultformation um Mat, die heute genau auf einer Wellenlänge mit ihren Fans lag und Klassiker um Klassiker in die Meute abgefeuert hat, oder ROSS THE BOSS, die dem True Metal in für Lederkrieger unwirtlichen Zeiten ein Gesicht gegeben haben – jeder war heute Teil des großen metallischen Ganzen, jeder gleichermaßen Fan, Metaller, Mensch, und es gab sicher niemanden, der sich dieser besonderen Atmosphäre entziehen konnte. In diesem Sinne: "You roll the dice for your own paradise!" Mein Paradies wäre eine ebenso intensive Veranstaltung in naher Zukunft.

Redakteur:
Julian Rohrer

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