SAXON und DIAMOND HEAD - München
14.10.2022 | 15:3707.10.2022, Muffathalle
Zwei Bands, die die Vergangenheit in der Gegenwart leben!
Früher war mir der Name DIAMOND HEAD nur im Kontext mit METALLICA geläufig, da die US-Amerikaner u.a. 'Helpless' und 'Am I Evil' durch ihre Cover-Versionen bekannt machten. Erst in den letzten Jahren kam bei mir gesteigertes Interesse an den Originalen auf und Stand jetzt ist DIAMOND HEAD eine der am häufigsten gehörten Bands in den letzten Jahren. Vor allem der Klassiker "Lightning To The Nations (The White Album)". Und genau dieser wurde in den letzten Jahren zelebriert, gibt es doch diverse Jubiläumsausgaben des mittlerweile 42 Jahre alten Oldies. Und genau dieser soll heute im Mittelpunkt der Show stehen, die viermal im Vorprogramm von SAXON abgehalten wird. Die Vorfreude ist also groß.
Frisch gestärkt kommen wir eigentlich auch rechtzeitig in der Muffathalle an, um uns ein Bier zu holen und geschickt zu positionieren. Doch aus der Halle dringt schon zehn Minuten vor dem offiziellen Beginn Musik. Eine unangekündigte Vorband? Nein, es ist tatsächlich schon DIAMOND HEAD. Und dann auch noch mit 'The Prince' einer meiner großen Favoriten, von dem ich nur noch die letzten Töne mitbekomme. Verdammt!
Den ersten Song, den ich nach dem kurzen Schock so richtig wahrnehme, kenne ich erstmal gar nicht. Doch der Sound ist gut, nicht zu laut, die Gitarren krisp, die Stimme klar und die Musik toll. Auf der Bühne sind die ersten Hingucker der glatzköpfige Gesangs-Däne Rasmus Bom Andersen, und natürlich der Band-Dinosaurier Brian Tatler mit seiner schönen, orange-roten Paula (Gibson Les Paul). Ach ja, der Song ist 'Bones' vom Comebackalbum "Diamond Head" aus 2016, und auch der folgende Song 'Messenger' ist aus der aktuellen Phase, der ich mich wohl demnächst mal zuwenden sollte. Doch nun wollen wir endlich die alten Kamellen hören. Die Retro-Session startet überraschend mit 'In The Heat Of The Night' vom genialen '82er "Borrowed Times"-Album, das dem altbekannten Klassiker qualitativ ebenbürtig ist.
Rasmus löst die schwere Aufgabe, in die Fußstapfen von Sean Harris, der Stimme der "White Album"-Klassiker, zu treten, mit viel Engagement. Klar klingt es ein wenig anders, doch Rasmus findet einen Weg, einerseits die ungewöhnlichen Gesangslinien von Harris nachzuzeichnen, andererseits aber seine eigene Klangfarbe beizumischen. Das ist schon ein Guter. Dann geht es mit 'Lightning To The Nations', 'It's Electric' und 'Helpless' Schlag auf Schlag. Ich stelle fest, dass ein Großteil des Publikums wohl nicht ganz so sattelfest mit DIAMOND HEAD ist und ich frage mich, warum diese Band niemals den Bekanntheitsgrad anderer Bands aus dieser Zeit erreichen konnte. Auf diese Gedanken folgt der nächste kleine Schock: Es wird schon der letzte Song angekündigt. So früh schon? Es noch nicht mal halb neun und es soll schon vorbei sein?
Setliste DIAMOND HEAD: The Prince; Bones; The Messenger; In The Heat Of The Night; Lightning To The Nations; It's Electric; Helpless; Am I Evil?
Auch SAXON ist für mich ein Gewinner der letzten Jahre, denn auch diese Band habe ich von den großen Namen eher links liegen gelassen und erst kürzlich die alten Klassiker für mich entdeckt. Schon im Sommer beeindruckten mich Biff Byford und seine Mannen mit einem Klassiker-Set auf dem schönen ROCK THE CASTLE-Festival in Villafranca di Verona. Aber so eine Headliner-Clubshow ist doch etwas anderes und für mich tatsächlich das erste Mal.
Ähnlich wie bei DIAMOND HEAD werden zunächst Songs neueren Datums zum Besten gegeben, vor allem das aktuelle Album "Carpe Diem" wird recht ausgiebig zelebriert. Dabei kommentiert ein sehr gut gelaunter Biff, dass dies "ein Heavy-Metal-Konzert und keine Vintage-Veranstaltung" sei. Und ich muss sagen, dass mir die meisten "Carpe Diem"-Songs sehr gut reinlaufen und keineswegs nur eine Wiederauffrischung alter Konzepte sind. Klar, der SAXON-Sound war schon immer sehr geradeaus, schnörkellos, teutonisch und stilistische Experimente eher die Seltenheit. Aber in diesem Rahmen präsentiert SAXON so einiges an headbangerfreudlichem Material, vorgetragen in kraftvollem, klarem Sound und mit aller Tightness und Routine einer langen Bandgeschichte. Man merkt, dass die fünf Musiker schon seit mehr als 25 Jahren (Biff und Gitarrist Paul Quinn schon seit Ende der Siebziger) in derselben Besetzung zusammen spielen; und immer noch gute Songs schreiben können: Im Nachgang des Konzerts laufen 'Carpe Diem', 'Age Of Steam' oder 'Dambusters' runter wie Öl. Oder eher wie kaltes Bier an einem warmen Sommerabend.
Dennoch keimt nach einer guten halben/dreiviertel Stunde leichte Nervosität auf. Wird es nicht so langsam Zeit für den ersten Oldie? Doch kurz darauf schon donnert Heavy Metal auf Stahlrädern, geil! Ebenso das schon in Italien sehr beeindruckende 'Broken Heroes'. Die Stimmung im Publikum wird immer besser und manche Banger aus den ersten Reihen werfen ihre Kutten auf die Bühne. Diese werden von Biff in den Songpausen neugierig begutachtet, brav signiert und dem Publikum präsentiert. Manchmal gibt es auch einen Kommentar, vor allem zu der Kutte, auf der sich kein SAXON-Patch befindet. Hier wünscht sich Biff mit Augenzwinkern, dass sich dieser Zustand beim nächstem Mal doch ändern solle.
Die zweite Hälfte des Sets ist dann - bis auf das atmosphärische 'Pilgrimage' - fast gänzlich von den Hits aus den frühen 80ern geprägt. Hier wird von 'And The Bands Played On' über 'Strangers In The Night' bis 'Wheels Of Steel' alles aufgefahren, was man gerne hören will, allerdings mit einem Wermutstropfen am Schluss des regulären Sets: Das Volk durfte zwischen 'Solid Ball Of Rock' und 'Strong Arm Of The Law' wählen. Zu meinem Unverständnis entschied es sich für den Ball und der Arm wurde abgeschnitten. Geschmäcker...
Der Zugabenblock ist dann natürlich selbst für SAXON-Anfänger vorhersehbar. Ohne 'Denim And Leather' und die unverzichtbare, inbrünstig von allen Fans mitgesungene Prinzessin der Nacht geht hier niemand nach Hause.
Setliste SAXON: Carpe Diem (Seize The Day); Sacrifice; Age Of Steam; I've Got To Rock (To Stay Alive); Dambusters; The Thin Red Line; Living On The Limit; Dallas 1 PM; Heavy Metal Thunder; Broken Heroes; Black Is The Night; Metalhead; And The Bands Played On; Wheels Of Steel; The Pilgrimage; 747 (Strangers In The Night); Solid Ball Of Rock
Zugabe: Denim And Leather, Princess Of The Night
Fotos: Nives Ivic
- Redakteur:
- Thomas Becker