SELIG - Erfurt
23.12.2010 | 12:0416.12.2010, Haus der sozialen Dienste
"Es ist kalt, lasst uns tanzen!"
So ein Konzertbesuch ist ja immer etwas aufregend, bei den derzeitigen Wetter- und Straßenverhältnissen ganz besonders. Also läuft den ganzen Tag der Verkehrsfunk, aber glücklicherweise gibt es Entwarnung für die zu fahrende Strecke. Als das geklärt ist, springt kurzerhand der Fotograf ab und ein schneller Ersatz ist nicht zu besorgen. Okay, eigene kleine Kamera einpacken und dann endlich los. Recht schnell in Erfurt angekommen, gibt es dann doch einige quer stehende LKW, die die Weiterfahrt zwanzig Minuten verzögern. Letztlich kann ich mich doch zu einem kleinen Slalom entscheiden, schließlich drängt die Zeit.
Ich komme gerade noch pünktlich am "Haus der sozialen Dienste" an, einem schnöden Zweckbau mit noch ein wenig DDR-Charme. Doch anstatt wie erwartet als Letzter in das Konzert zu hetzen, werden gerade die Türen geöffnet. Also bleibt noch Zeit, die Produkte der einheimischen Brauerei zu testen und das minimale Speisenangebot (Bockwurst mit Brot) in Anspruch zu nehmen. Danach werden die einströmenden Leute erstmal genauer beäugt. Diese sind nicht mehr nur junge Hüpfer und bunt gemischt. Da wird jemand mit IMMORTAL-Aufnäher gesichtet, genauso wie die eher alternativ-ökologischen Mitmenschen.
Dann aber wird endlich das Licht gelöscht, und die ersten Klänge ertönen. Die Musiker betreten nacheinander völlig unaufgeregt die Bühne und spielen das Intro 'Eingang', welches nahtlos in den ersten Song '5000 Meilen' übergeht. Dazu betritt dann auch Sänger Jan Plewka die Bühne. Nun sind die fünf Hamburger Jungs komplett, und das fast ausverkaufte Haus geht dann schon mal ordentlich mit. Nach dem Song wird die Stimmung noch weiter angeheizt; die Worte "Hallo Erfurt! Es ist kalt, lasst uns tanzen!" kommen sichtlich gut an. Und um den Kontakt zum Publikum gleich mal in die richtigen Bahnen zu lenken, klettert der sympathische Frontmann während des nächsten Songs auf das Absperrgitter vor der Bühne und treibt somit die Stimmung weiter nach oben.
Ja, es geht schon gleich gut ab, Erfurt ist von Anfang an dabei und die Band in Spiellaune. Das könnte auch daran liegen, dass die Band wohl Mitte der Neunziger das letzte Mal in Erfurt war. Damals galten sie als Erfinder des deutschen Grunge und hatten eine richtig steile, aber kurze Karriere. 1998 war dann erstmal Schluss, doch letztes Jahr gab man ein grandioses Comeback mit dem Album "Und endlich unendlich".
Mit 'Lass Sie reden' geht es erstmal mit einem Song vom aktuellen Album "Von Ewigkeit zu Ewigkeit" weiter, bevor mit 'Schau Schau' die erste Single des letztjährigen Albums erklingt. Auch dieser Song kommt richtig gut an. Das Auditorium gerät langsam in größere Bewegung. Das wiederum treibt allerdings die Temperaturen recht hoch, was Jan Plewka dazu veranlasst, sich Weste und Halstuch zu entledigen. So befreit geht es zu einem kleinen Spaziergang durchs Publikum, während das eher getragene 'Ich dachte schon' ertönt.
Mit dem Titelstück des neuen Albums und 'Die Besten' kommen nun zwei Songs, bei denen die Zuhörer zum ersten Mal lauthals mitsingen. "Oh-oo, Je-hee, wir werden die Besten sein!", ertönt es aus Hunderten von Kehlen, der Band verschlägt es die Sprache. Das gibt schonmal eine gute Gänsehaut und verfehlt seine Wirkung nicht.
Schneller wird es dann bei 'Doppelgänger', das nahtlos in das wiederum etwas ruhigere 'High' übergeht. Die Spiellaune der Band ist auch eine Redelaune. Nahezu jeder Song wird angekündigt und mit einer kleinen Geschichte versehen. 'Wirklich gute Zeit' zum Beispiel soll alle in das Gefühl versetzen, "mit Wind gegen Eifersucht" zu kämpfen. Das funktioniert recht gut. Auch 'Dramaqueen' und 'Tausend Türen' werden dann begeistert aufgenommen. Jedoch beschleicht mich das Gefühl, dass die Menge die ganze Zeit doch irgendwie mit angezogener Handbremse feiert. Und ausgerechnet das eher stille und langsam vorgetragene 'Bruderlos' kann die letzten Zügel lösen. Vielleicht auch kein so großes Wunder, schließlich ist dies erst der dritte Song aus der ersten SELIG-Ära, dazu noch ein großer Hit damals.
Dummerweise ist nun schon recht viel Zeit vergangen, dafür werden die letzten beiden Songs aber richtig abgefeiert: 'Du siehst gut aus' und nochmal herrlich zum Mitsingen: 'Hey Ho' vom aktuellen Album. Jetzt ist das Ganze hier richtig großes Kino. Es wurde aber auch allerhöchste Zeit dafür, denn danach ist erstmal Schluss, und unter nun tosendem Applaus verlässt die Band vorerst die Bühne.
Doch so schnell ist die Sache hier nicht beendet. Die tobende Menge fordert Zugaben, und dieser Ruf bleibt nicht ungehört. Jetzt kommt mit 'Sie hat geschrien' noch einmal ein alter Kracher aus den Boxen, was die Fans der ersten Ära noch lauter werden lässt. Dazu 'Wir werden uns wiedersehen' aus dem Jahr 2009, was alle dazu auffordert, den Mitsing-Part so laut erschallen zu lassen, dass man es wohl in ganz Erfurt hört. Noch einmal verlässt das Quintett die Bühne, doch so leicht kommen die Jungs nicht davon.
Wieder gibt es tosenden Applaus und nicht enden wollende "Zugabe!"-Rufe. Und irgendwie scheint die Menge auch das Gefühl zu haben, dass irgendwas noch fehlt. Die zweite Zugabe erlöst sie dann alle von dem langen Warten. Nach dem allerersten Hit der Band überhaupt, 'Wenn ich wollte', kommt dann der Song, der für diese Band wohl ewig stehen wird. Bei 'Ohne Dich' braucht Jan Plewka nur die ersten Töne anzusingen, danach übernimmt das Publikum komplett. Die Band verstummt, bei jedem sollte jetzt eine Gänsehaut
allererster Güte zu bewundern sein.
Ein wunderschöner Ausklang für ein fantastisches Rockkonzert, was im Übrigen auch von einer perfekten Light-Show untermalt wurde. Nach nun knapp zwei Stunden verlassen alle sichtlich begeistert die Halle und stürzen sich in die eiskalte Nacht. Nach erneutem LKW-Slalom fällt man zufrieden ins Bett, in der Hoffnung, bald wieder SELIG sein zu dürfen.
Setlist:
Eingang (Intro)
5000 Meilen
Freier Fall
Lass Sie reden
Schau Schau
Ich dachte schon
Von Ewigkeit zu Ewigkeit
Die Besten
Doppelgänger
High
Wirklich gute Zeit
Dramaqueen
Tausend Türen
Bruderlos
Du siehst gut aus
Hey Ho
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Sie hat geschrien
Wir werden uns wiedersehen
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Wenn ich wollte
Ohne Dich
- Redakteur:
- Matthias Köppe