SLIME, TOXOPLASMA, KNOCHENFABRIK und HASS - Hamburg

13.01.2025 | 17:07

27.12.2024, Docks

And still, Punk's not dead.

Wir schreiben Freitag, den 27. Dezember 2024. Die Weihnachtsfeiertage sind mehr oder weniger erfolgreich über die Bühne gebracht. Vorbei die besinnlichen Zeiten mit Familie und guten Menschen bei feinem Essen, Rotwein und Brettspielen. Es ist nun also wieder an der verdienten Zeit für Krawall, Hass, Revolte und Krach. Denn erneut lädt die Deutschpunk-Legende SLIME zum "Groben Fest" ein. Zusammen mit TOXOPLASMA, KNOCHENFABRIK und HASS werden bei der diesjährigen Ausgabe außer Hamburg im Anschluss noch Berlin, Oberhausen und Frankfurt unsicher gemacht. Für Punk- und Hardcore-Liebhaber hält der Abend also so einiges bereit.

Dumm nur, dass ich an diesem Tag bis 18 Uhr arbeiten darf, das Konzert aber zufällig genau um diese Zeit bereits beginnt. Nützt nichts, schnell also noch ein wenig Essensgrundlage während der Home Office-Arbeit verschafft und quasi pünktlich mit dem Ausloggen aus dem System gleich in den Bus gesetzt, der optimalerweise genau vor meiner Haustür abfährt. Immerhin ist mein Fotografen-Kompagnon Thomas schon vor Ort, der mir per sms den weisen Rat zukommen lässt: "Sieh zu, dass du zuhause schon ordentlich volltankst, hier kostet das Bier EUR 6,50." Hätte ich das doch bloß mal früher gewusst, wäre ich auch lockerer und entspannter durch den spröden Arbeitstag gerutscht...

Immerhin erreiche ich noch halbwegs pünktlich das Docks auf der Reeperbahn, welches ich, von CAVALERA CONSPIRACY 2008 mal abgesehen, heute zum ersten Mal in diesem Jahrtausend besuche. Ich bin, ob der dort versammelten Schar von Menschen, zunächst ein wenig schockiert, der Schuppen ist nämlich restlos ausverkauft, und der Gang durch die Massen von Körpern beziehungsweise zur Getränkebar dementsprechend strapaziös und schweißtreibend. Uff, das kann ja was werden…

Als ich mir dann einen halbwegs guten Platz im Zentrum der Venue ergattere, ertönt vorne auf der Bühne bei HASS mit 'Menschenfresser' gerade eine Coverversion von RIO REISER, zu der sich Sänger Marv Mandela eine stilechte grüne Polizei-Lederjacke überzieht. Ansonsten bin ich hier auf das Feedback meines Kumpels angewiesen, der sich, wie so manch anderer hier heute, durchaus auch HASS als Headliner hätte vorstellen können, letzten Endes aber von deren Performance doch nicht ganz so restlos überzeugt ist. Gitarrist Peter "Hecktor" Blümer ist hier heute das einzig verbliebene Gründungsmitglied der Band, die ja, zumindest was die Veröffentlichung von Platten betrifft, von 2001 – 2013 auf Eis gelegen ist. Nach einer guten Dreiviertelstunde ist dann auch leider schon Schluss, aber Band-Klassiker wie 'Gebt der Meute, was sie braucht', 'Bulle' und 'Hooligans' werden der Horde in dieser Zeit natürlich kompromisslos vor den Latz geknallt. Selbst ein Song des 2020 erschienenen respektablen Albums "Macht kaputt, was längst kaputt ist" wird hier mit 'Mama, was macht der Panzer vor der Tür' noch zum Besten gegeben.

"Wir fangen jetzt einfach mal drei Minuten früher an. So können wir am Ende auch noch drei Songs mehr spielen." Mit diesen Worten entern Sänger/Gitarrist Claus Lüer und seine weiteren Mitstreiter der KNOCHENFABRIK die Bühne. Auch im weiteren Verlauf des Konzerts wissen die Jungs da oben, wie man trockene und humorvolle Dialoge miteinander zwischen den Songs führt. Auch wenn der Sound zumindest anfänglich alles andere als klar (ziemlich mies trifft es eher) zu bezeichnen ist und sich der eine oder andere grobe Spielfehler einschleicht, tut das der prächtigen Stimmung im weiten Rund keinerlei Abbruch. A propos weites Rund. Ein kurzer Panoramablick verrät: Hier sind doch so einige ältere Semester am Start, die es sich überwiegend ab den mittleren Reihen bis nach hinten gemütlich machen, während die Jungspunde eher im vorderen Bereich anzutreffen sind und dort aktiv dem Pogo Dance frönen. "Abi-Ball-Treffen im Moshpit", sage ich scherzhaft zu meiner Begleitung. Soundtechnisch wird es im weiteren Verlauf allerdings sukzessive besser, so dass nicht nur den Debütalbum-Klassikern wie 'Grüne Haare' und 'Filmriss', sondern auch Nummern vom zweiten Album wie 'Fuck Off' und 'Ruf mich an' der Klang gebührt, den sie verdienen.

Nach dem Auftritt der sympathischen Jungs aus Köln ist es nun an der Zeit, mal ein wenig teures 6,50-Bier eine Etage runterzutragen. Keine wirklich gute Idee, wie sich herausstellt, da sich die Schlange der Herren die Treppe bis ganz nach oben erstreckt, so dass ca. sechzig Typen auf einen der drei oder vier begehrten Pissoir-Plätze warten müssen, während die Damen der Schöpfung locker-flockig an uns Richtung Toilette vorbeizischen. War das sonst nicht immer andersrum? Gute zwanzig Minuten (!) später ist das kleine Geschäft verrichtet und es geht merklich erleichtert und entspannt wieder nach oben.

Die bereits seit über vierzig Jahren existierenden Band TOXOPLASMA ist nun an der Reihe, bei der mit Wally Walldorf am Mikro und Stefan am Bass immerhin noch zwei Gründungsmitglieder am Start sind. Letzterer hat die Ruhe sprichwörtlich gepachtet, steht den ganzen Gig über sehr bewegungslos, aber halt auch überaus lässig vor der PA und zupft entspannt an seinem Viersaiter. Täte ich es nicht besser wissen, würde ich sagen, dass er Mitglied einer alteingesessenen Art Rock-Band ist. Ganz anders Sänger Wally, bei dem die Hummeln noch überaus eifrig im Allerwertesten umherfliegen und der daher von einer Bühnenseite zur anderen hechtet. Auch für ein kleines aufpeitschendes Bad in der Menge ist sich der Mann nicht zu schade. Wahrlich ein echtes Energiebündel auf 180. Die Schar vor der Bühne lässt sich davon natürlich mehr als gerne anstecken und feiert ergo Songs vom gleichnamigen Debütalbum wie 'Vakuum', 'S.O.S.', 'Asozial' und 'Polizeistaat' ebenso ab wie Songs aus der jüngeren Vergangenheit wie 'Gut und böse', 'Allesfresser', 'Schwarz Rot Braun' sowie Nummern vom letzten 2013 erschienenen Album wie 'Zackzackzack' und 'Kontrollautomat'. Unterm Strich ist das hier bisher die beste Performance des Abends, die es im Nachgang auch erstmal zu toppen gilt.

Nach einem Glimmstängel an der kühlen Winterluft und einer weiteren Gerstenschale ist es nun an den Lokalmatadoren von SLIME, den geselligen Abend hier unter Dach und Fach zum Abschluss zu bringen. Die wenigsten haben wohl damit gerechnet, dass die Kombo nach dem etwas unrühmlichen Abgang von Kultröhre Diggen noch weitermachen würde. Aber weit gefehlt. Man holte den ehemaligen Obdachlosen und Straßenmusiker Tex Brasket aus Berlin mit ins Boot und nahm mit diesem 2022 das Album "Zwei" auf. Dieses hat zwar mit Punk im weiteren Sinne nicht mehr so viel zu tun und würde von mir daher auch eher in der Schweinerock-Schublade verortet werden, aber die Songs treten fast durchweg alle Arsch, und darauf kommt es am Ende des Tages ja bekanntlich an.

Nach einem filmartigen und längeren Intro betritt der Fünfer schlussendlich die Bühne und Sänger Tex begrüßt die Anwesenden mit einem trockenen "Willkommen in der Scheiße." Dafür, dass die Jungs und das Mädel seit der letzten "Groben Fest"-Tour Ende 2023 nicht mehr live aufgetreten sind, ist das hier eine verdammt straighte und souveräne Vorstellung. Man merkt halt, dass der Großteil der Band schon drölfhundert und mehr Auftritte auf dem Buckel hat, auch wenn hier nicht immer alles reibungslos abläuft und Tex gelegentlich mal seinen Einsatz verdaddelt, aber hey: Das ist halt immer noch ein verdammtes Punk-Konzert und kein Prog Rock-Abend! So. Davon abgesehen liefert die Band aber, und das absolut amtlich. Es ist bei der Fülle an Songs und Alben zweifelsohne unmöglich, jederfrau und jedermanns Geschmack gerecht zu werden. Ich persönlich hätte mir zum Beispiel 'Der Tod ist ein Meister aus Deutschland' vom grandiosen 94er "Schweineherbst"-Album gewünscht. Aber wir sind hier ja nicht auf 'nem Wunschkonzert. Wenn stattdessen unter anderem sämtliche Gassenhauer wie 'Alle gegen alle', 'Alptraum', 'Deutschland', 'A.C.A.B', 'Störtebecker' und 'Religion', sowie Nummern von besagtem aktuellen Album wie 'Sein wie die', 'Weil fickt euch alle' und 'Safari' gespielt werden, soll mir das auch mehr als recht sein.

Da ich es mir zwischenzeitlich im hinteren Bereich an der Bar gemütlich gemacht habe, kann ich mir einen netten Überblick verschaffen und kann bestätigen: Die Refrains der gut gealterten Evergreens werden hier aus (fast) jeder anwesenden Kehle inbrünstig und leidenschaftlich mitgegrölt. Bei der Bandhymne 'Deutschland' wird im Übrigen kurz auf die Inschrift des Mahnmals am Hamburger Dammtor Bezug genommen, welches dem Song letztendlich den Titel beschert hat. Den exakt genauen Wortlaut hat weder Tex noch Gitarrist Elf parat, und auch ich komme vor Ort partout nicht mehr drauf (er lautet: "Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen").

Ist hier und heute aber auch egal, denn zufrieden und abgemosht wird der Großteil der Leute nach knapp anderthalb Stunden nach Hause entlassen, auch wenn mich und meine mittlerweile drei Begleiter der weitere Verlauf für ein paar weitere Absacker noch in eine Punk-Kneipe um die Ecke führen. Wenn man als alter Sack denn schon mal wieder auf der Reeperbahn verweilt, bleibt man da natürlich auch gerne noch ein paar Stündchen mehr... Alles in allem! Geiler Abend und absolut würdiger (Konzert)-Jahresabschluss!

Fotocredit: Thomas Ertmer

Redakteur:
Stephan Lenze

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