STONED FROM THE UNDERGROUND 2011 - Erfurt-Stotternheim
19.08.2011 | 23:0707.07.2011, Festivalgelände nahe dem Alperstedter See
Zum elften Male traf sich die Gemeinde. Stoner, Doomer, Psycher. Und wieder war der Besuch der vier tollen Tage ein Volltreffer!
Sodenn, es gibt in diesem Jahr, dem schon elften, eine Premiere bei diesem Zusammentreffen von den Schaumkronen der Stilistiken Doom, Psychedelic, Stoner Rock und Southern Metal. Die Neuheit: Die Feierei beginnt bereits am Donnerstag. Hatte sich bereits in den ersten Buchungszuckungen ein formidables Musikgruppenfeld angedeutet, so wurde auch bereits bei der Masse derer klar - da werden zwei Festivaltage gar nicht ausreichen! Also wird der Donnerstag kurzum zum "Rock, Punkrocktag" erklärt. Die deutschen Trios DxBxSx und GRANT NATIONAL eröffnen mit jeweils frisch gebackenen Langspielplatten im Gepäck und werden verfolgt von den Amischlachtschiffen VALIENT THORR und KARMA TO BURN. Letztere scheinen nach der zwangsverordneten langen langen Auftrittspause seit drei Jahren so richtig fetten Geschmack an Monstertouren gefunden zu haben. Was die an Kleinclubs und Festivalbrettern gerade beschallen, ist nur arbeitswütig zu nennen.
DxBxSx zum Beispiel haben kurz vor den Juliterminen noch ein kleines Tourneechen durch süddeutsche Keller absolviert. Das Knattern beginnt, eine hart stotternde Gitarre zerschneidet die feuchte Luft und endlich sind dies die ersten Töne des Tages, des gesamten, freudig erwarteten Festivals. Rundum haben sich bereits auf knapp der Hälfte des Geländes Zelte, Autos, Plan-Konstruktionen ihre Plätze gesucht und fixiert. Entweder die Leute, die hier sind, machen gerade Kasse, "vergeuden, verstressen" hier ihre Urlaube, verballern Steuergelder für diesen Frohsinn und das eigene Leben (Pfff!), oder fahren nachher nach Hause, um morgen nach der Arbeit wiederzukommen... Wer dies tut, naja, der ist bekloppt. Denn für einige wird bereits der nächste Freitagmorgen ein schlimmer sein, wie der Samstagmorgen für viele viele Nachzügler nur durch geschwollene Sehschlitze wahrnehmbar sein wird. Meine Herren und Damen, was für Gestalten in welchen Zuständen sich zwischen den flatternden Behausungen befinden! Herrlich, ihr Menschen, ihr seid so irrational...
Auch und natürlich wir. Wir sind, ich glaube in Spitzenzeiten insgesamt fünfzehn oder sechzehn Schwarzshirtträger, die unter einer Sonnen-Regen-Burg um einen Campingtisch umherhocken, um abwechselnd das Grillgestell zu malträtieren oder humoresk zu philosophieren. Natürlich wird auch über die in einer Luftlinie von vielleicht 250 Metern auflärmenden Bands beratschlagt und gewertet - was im Nachgang auch sehr spannend ist, gibt es doch in unserer zusammengereisten Runde Typen mit sehr unterschiedlichen musikalischen Vorlieben und Präferenzen. Meinungsbindend ist vor allem die Faszination eines sehr familiären und tiefen-entspannten Gesamtpublikums. Auch dieses Jahr: keine Schubserei, keine deftig-aggressiven Sicherheitpersonalien, saubere Duschen, respektierte Frauendixies neben Stehstrullerkabinen und ... Wetterkapriolen.
Mit Zähschlamm zwischen den Zehen schlittern wir Freitagnacht in die Zelte, bibbern freitags bittend zum bewölkt-aufgeregten Himmel, um am Wochenende unter der tonnenschweren Hitze zu ächzen und uns von Schattenstreifen zu Schattenstrich zu schleppen. Das Wetter also so abwechslungsreich wie der Gesamtüberblick über die aufspielenden Bands.
GRANT NATIONALs klar strukturierter Stonernoise wird von den Anwesenden bereits mit Wohlwollen bedacht. Vielen steht die Freude im Gesicht, dass das Fest endlich begonnen hat. Die drei Kölner spielen im Set die Beiträge des Debüts, punktgenau und scharf metallt es von der Bühne, die zwar kopfhoch, aber nicht unerreichbar für die Menge in der Erfurter Heide steht.
Dann setzt der Regen ein. Pünktlich und genau zum Berliner Trio DxBxSx, welches sich auch vormals als DRIVE BY SHOOTING eine größere Gemeinde zusammengespielt hat. Gegeben werden vor allem die erfrischenden Stücke des aktuellen Albums "Zugriff", welches in der großen Mehrheit allerortens beste Kritiken eingeheimst hat. Einige der Parolen wurden bereits auswendig gelernt und herzhaft mitgegröhlt, was den Feierfaktor unter den zappelnden Zweihundertfünfzig ungemein erhöht. Der Wasserstand der Luft hat inzwischen Fadencharakter angenommen, fast sorgt man sich, dass die Elektrik da oben nicht unterspielt wird. Das geht aber sämtlich gut. Der perfekte Heißmacher. Und ungemein viel Lustempfinden, DxBxSx nun in einem Club auf Augenhöhe zu erleben. Tip!
Folgend der erste durchchoreographierte Auftritt des verlängerten Wochenendes. VALIENT THORR spaltet das erste Mal unsere Zusammenkunft. Die einen sagen "Laaangweilig!" oder "Vorhersehbar. Vor allem vorherhörbar!" Andere, angefixt durch die Punkrockattitüde der vorherigen drei Berliner, werfen sich ungeschminkt und vollkommen durchnässt in den Pulk, um das Regenwasser mit Schweißwasser zu vermischen. Die zottelige Band mit Denim-Kutten um den angewachsenen Tourbusbäuchen fackelt ihr Repertoire ausgesucht ab und pointiert das Ganze mit dem schwitzigen Sängerlein. Dieser versteht, vor allem mit den politisch gefärbten Zwischenansagen, seine Stimme immer wieder effektvoll zu erheben, was dann in mehrmaliger Nachfrage "Youuu reealllyy know...what I'm talking abooooout?" endet und im neu aufbrausenden "Next Song" mündet. So hält der Mann sich die Tänzer warm. Es werden hunderte Finger rhythmisch gereckt, und der vollkommen gefüllte Platz vor der Bühne wird zu einem Schlammdesaster getrampelt. Wie das sein soll.
Die nächste Band wieder aus den USA. Sind Pioniere des Instrumental-Metal-Rocks. KARMA TO BURN, die sich in den letzten Jahren die Extremitäten wund tourten. Aber heute klappt das nicht recht. Ein müdes, vorhersehbares Konzert der drei Barden. Mit dem Material und dem neuen Album in der Kiste kann ja eigentlich gar nix schief gehen - und doch zündet der Auftritt bei nicht wenigen nicht. Haben die einen schlechten Tag erwischt oder ist das bereits zu spät? Vielleicht ist es unglücklich, nach einem so durchprofessionalisierten Erscheinen der Landsleute von VALIENT THORR mit der vergleichsweise puristischen Musik aufzutreten? Mmh. Angeschaut bis zum Ende wurde es doch. Sicherheit geben ja ihre Platten.
Der nächste, ein Freitag. Der bange Blick nach Thüringens Wolken. Das geht gut insgesamt, unsere spießigen Seelen lassen uns unentwegt über das Wetter reden. Auffällig auch die beobachteten Selbstdarsteller, die zwischen den Zelten Gesprächsgemeinschaften suchen. Da gibt es "Max", der sich mit Gothic-Hemd und schwarzem Zylinder in der Nähe untergebracht hat. Zunächst göbelt er aber mitten in unser kleines Zeltdorf, um sich dann in Nachfragenähe niederzulassen und dem Instantkaffee lüsternd entgegenzublinzeln. Er schreckt die Aufstehenden mit penetranter Fragerei und eben Darstellerei, zieht sich dann zurück, um nun mit einem basslastigen Hochtechnologieabspielgerät bewaffnet umherzuziehen und Freunde zu wollen. Viel Glück, einsamer Mann.
MARANT aus der Schweiz eröffnen am frühen Abend diesen ersten "richtigen" Festivaltag - denn der Donnerstag war nämlich noch frei! Interesse weckt eben die Herkunft der Band, wir hören sehr klassisch stonerisch entworfene Liedlein, die zu unterhalten wissen. Genau das richtige, sich ins wieder trockene Gras zu hocken und auf den Unterschenkeln mitzuklopfen.
Exotisch rockig geht's weiter. THE EGOCENTRICS stammen aus Rumänien. Sind instrumental, ausufernd und sehr schüchtern. Es kann auch kaum verlangt werden, dass bei diesen Psychedeliken wilde Tänze vollführt werden. Ab und an sind im Publikum solcherlei Tendenzen zu beobachten, wie sich der ein oder andere herumwirbelt und gedankenfrei mit sich selbst auseinander setzt. Das dreiviertelstündige Paket des Trios jedenfalls hält die Masse des Publikums am Platze fest und wird trotz oder gerade wegen der Anti-Show eine lange Reihe neuer Freunde produziert haben.
Ein längerer Umbau erfolgt. Und die Sonne hat definitiv gewonnen, die Wolkenstränge sind immer dünner und schlaffer geworden und haben sich endgültig verzogen. Dort, wo sich gestern noch Pfütze an Schlammloch reihte, hat sich der Staub durchgesetzt und beginnt an den nackten Waden der Vorbeischlürfenden zu kleben. Morgen wird er sich zu dem ein oder anderen Bodenwölkchen erheben. COOGANS BLUFF aus Rostock haben auch schon nicht wenige Vorschusslorbeeren geerntet und sind für den "Blick über den Tellerrand" bekannt, den sie nach einer reinen Stoner-Rock-Phase wagen. Bedeutet: Bläsersektion. Jams mit Zwischentönen und Vollwertkost sozusagen. Ein Rekord wird aufgestellt: Der Bassist hat die engste und kleinkürzeste Abschnittoberschenkeljeans des Festivals angezogen und weigert sich, sich von dem Eierschneider zu trennen, womit er auch noch am nächsten Tag lächelnd bei Kollegenschwätzchen gesichtet wird. Strikt der Junge, wie auch die Beschallung durch diesen "anderen" Sound durch die gesamte Ostseebrigade.
Auf eine gewisse Dauer hin aber erlischt mein Interesse an dem recht ähnlich klingenden Set, so dass der Hammer für die obligatorischen Siebenminutenbiere fällt. Typisch für den Zeitpunkt und das Level, welches wir bereits euphorisch erreicht scheinen. COOGANS BLUFF also bildet den Hintergrund für das ein und andere Gespräch am Getränkegefährt. Mit neuen Gefährten.
Nun wird eine reine Männer-Domäne angegriffen: Das einzige weibliche Wesen auf der Bühne dieses Begängnisses, wie sich herausstellt, überhaupt die einzige Musikerin, die diese Bühne hier betreten wird. JEX THOTH steht dem gleichnamigen Kollektiv vor, sie ist Mittelpunkt und Blickfang der Darbietung. Zunächst noch mit einem forstgrünen Filzmantel gemantelt, hat sie bald die Hitze des Tages gegriffen und so verfällt sie bald ohne dieses Accessoir in ganz eigene Zuckungen, die ihren Doom visuell eigenartig begleiten. Bald biegt sie sich, bald bückt sie sich, um mit Blitzeaugen die Mitwippenden zu verhexen.
Durch den Abendwind flattern und wabern Töne wie aus dem dunklen Progressivrock-Archiv der Siebziger, nur eben moderner aufbereitet. Und über dem allen schwebt effektvoll gesetzt die Stimme der Erscheinung dort oben, die - es ist genau zu erkennen - einige Angereiste gebannt eingesponnen hat.
Wie eine Firma, eine GbR vielleicht, wirken dagegen die darauffolgenden Belgier von COWBOYS & ALIENS. Eine seltsame Historie ist belegt. Nach einem wunderbaren Stoner-Rock-Album vor vielleicht acht oder neun Jahren, war das Nachgefolgte "Naja." Kaum einmal weitere Beschäftigung außer ab und zu 'Holy Stone' vom besagten Kracheralbum. Und dann tauchen die einfach wie aus der schnelllebigen Rockgeschichte herausgeklaubt hier als viel erwarteter Part auf. Auch wir in Anspannung. Die Vier hauen uns auch einen strikten Rocksong nach dem anderen um die roten Ohren, aber insgesamt ist das hier die wirklich erste "Show" (im wahrsten Sinne des Wortes) des bisherigen Festivals. Was beeindruckt, ist der Druck, den die Flamen da aufbauschen, auch bleibt die leibhaftig wie auf Konserve sehr einprägsame Sangesstimme in angenehmer Erinnerung. Später werden Teile des Quartetts, die wie gesagt insgesamt wie Leute auf einer Marketingtour wirken, des öfteren und immer öfter mit weiblichen Teilnehmerinnen gesprächsvertieft erblickt, was einen anderen schönen Aspekt eines solchen Sommerfestivals blitzeplötzlich in Erinnerung ruft: Hier kann mann und frau sich auch mal so richtig umkreisen und die offene Atmosphäre nutzen.
Neben den fast familiären Verhältnissen werden auch viele neue Gesichter gesichtet. Versuche, Separationen in Form vorher abgespannter Areale mit Aufbauausschließlichkeit scheitern kläglich an milde lächelnden Gästen, der Laptops betreibende Generator im Haferfeld (!) gibt glücklicherweise auch heute seinen nervenden Geist auf - auf dass in der Folge auch diese Teilnehmer sich nun auf sich und die Live-Musike konzentrieren müssen.
Die belgischen COWBOYS haben mit ihrem dahinflitzenden Auftritt nun die Basis geschaffen, dass die Vorfreude in der nun völlig gefüllten Bühnenvorfläche spürbar-greifbar wird. Denn die Urgetüme des Sludge, die nach Schlamm stinkenden Monster des Schleppnetz-Dooms betreten die Bühne. Und sind sichtlich bestens gelaunt. Oder besoffen. Was Mike, der kleinwüchsige Oberschrei mit Torkelgarantie bei EYEHATEGOD, gleich mal mit einer nur viertelvollen Flasche Whiskey in der Hand beweist. Aber was die Fünf da von der ersten Minute an abbrennen, ist als das Intensivste zu bestaunen, was bisher hier am Laufen war. Standesgemäß von Spielfilmsequenzen und Bildern von einer rottenden, verhitzten Welt begleitet, ballert die Combo aus dem sumpfnahen New Orleans eine Verfaulergranate nach der anderen in das Dunkel vor ihnen. Auffällig ist, dass aus dem gesamten Schaffen des Quintetts Stücke dargeboten werden, und auch die teilweise sehr schnellen, corigen Parts bevorzugt werden.
So wirkt das gemixt mit den turmschweren Mehrtonnern, die laaaaangsamst vor sich hinwälzen überaus attraktiv zum kollegialen Ausrasten. Was dann auch passiert. Spontan auch die Darbietung und der Zuwachs durch Anteile der japanischen CHURCH OF MISERY, welche sich sichtlich erregt gemeinsam mit den Südstaatlern durch zwei formidabel laute Songs krächzen. Nebenbei wird sich gedrückt, gedankt und liebevoll herumgeschubst, dass einem die magischen Freunde glatt zu Tränen rühren könnten. Viel später werden die selben Japaner milde lächelnd beim Schwatz in einem behimsten Sitz-Kreis gesichtet. Feiner Kontrast - feine Leute.
Die Überraschung, das berühmte I-Tüpfelchen kommt aber noch. Die Idee, etwas unbekannteren Bands nach den Sauriern der Szene eine Möglichkeit der größeren Präsentation zu geben, ist hiermit sehr mit Lob vollgesaugt und wird ausdrücklichst begrüßt. MY SLEEPING KARMA aus Aschaffenburg nutzen die Chance, haben es aufgrund ihrer versierten und mitreißenden Beiträge aber auch so etwas von verdient. Gebannt verfolgen die Betrachterhörer die Ausuferungen dieser Instrumentalisten. Das beste Ende. Sagen hernach viele viele Besucher.
- Redakteur:
- Mathias Freiesleben