SUICIDAL ANGELS und SEPULTURA Tourmeeting - München

09.03.2014 | 20:53

08.02.2014, Backstage

Tour-Crossover der besonderen Art!

Samstag, 08.02.2014! Ab halb vier ist ein kleines Schmankerl für geschätzt 1000 Thrasher im Zentrum der bayrischen Metalprovinz bereitet. Die Hallensaison hat den Fans schon einige Highlights geboten, aber der heutige Samstag ragt nochmals heraus. Das Backstage ist nämlich zum Austragungsort eines Tourmeetings der besonderen Art erkoren worden. Richtig, der gemütliche Klub am Münchner mittleren Ring lädt ein zum Crossover der SUICIDAL ANGELS- und der SEPULTURA-Tour. Für die erste bin ich jedenfalls akkreditiert, nehme aber auch Letzteres gerne mit. Über Gründe, warum beide Touren an diesem Samstag zusammengelegt worden sind, hüllen sich die Veranstalter in Schweigen (zumindest konnte ich nichts in Erfahrung bringen), jedoch bietet das Phänomen selbst natürlich Grund genug für unzählige Hypothesen und Spekulationen. Ungeachtet dessen bleibe ich auf dem knallharten Boden der Realität und sehe mit einem breiten Grinsen auf das Line Up der heutigen Show. EXARIS, MORTILLERY, LOST SOCIETY, FUELED BY FIRE, SUICIDAL ANGELS auf der einen Seite und FLOTSAM & JETSAM, LEGION OF THE DAMNED und SEPULTURA auf der Anderen. Bei einem solchen Billing bleibt einem natürlich die Spucke weg: Fiesta de Thrash!

Bevor ich meinen geballten Live-Erfahrungen sprachlichen Ausdruck verleihe, muss ich aber leider auf organisatorische Missstände im Backstage aufmerksam machen. Schon zum wiederholten Male ist meine Akkreditierung verloren gegangen. Nur mit einigem Verhandlungsgeschick kann ich trotz einer Bestätigung von Seiten des Veranstalters den Gästelistenplatz meines Begleiters retten. Unauffindbar bleibt jedenfalls der Fotopass und obwohl mir die nette, äußerst professionelle Dame (;-)) der Akkreditierung kurz angebunden versichert hat, in den Reportergraben zu dürfen, wird mir von ein paar freundlich-ruppigen Herren der Security-Firma (die ihren Job sehr gründlich machen) der Zutritt verwehrt. Deswegen begleiten den Bericht auch keine Fotos.

Nichtsdestotrotz lasse ich mir die Vorfreude nicht verderben, auch wenn ich aufgrund der Verhandlungen den Gig der ersten Band verpasse. Ich hab mir aber berichten lassen, dass EXARSIS eine absolut geniale Openershow hinlegte und der Basser mit Leib und Seele bei der Sache war.

MORTILLERY aus Edmonton ist die erste Band, von deren fetten Thrashklängen ich mich verwöhnen lassen darf.  Ihr leicht angepunkter Thrash/Speed-Verschnitt ist nicht nur auf Silberling unterhaltsam, sondern sorgt auch Live für geschätzte 30 Minuten Kurzweil. Cara McCutchens Stimme kommt durch die PA sogar noch aggressiver rüber als aus den Boxen des heimischen HiFi-Systems. Dafür sorgt nicht zuletzt der ordentlich gemischte, druckvolle Sound. Zwar etwas leise, aber durchaus differenziert und knackig lässt sich der Bass in der Stereomitte von der Gitarrenwand verprügeln. Live bieten MORTILLERY natürlich ein Best Of ihrer beiden Full Length-Scheiben, "Murder Death Kill" und "Origin Of Extinction", und ihrer selbstbetitelten Debüt-EP. 'Sacrifice' von der ersten Scheibe macht den Anfang. Darauf folgen 'Maniac' und 'Despised By Blood'! Mit 'No Way Out' drosseln die Kanadier nach den anfänglichen Thrash-Attacken etwas das Tempo. Eine Ballade, bevor die Fans mit 'I am Destruction' nochmals einen Faustschlag ins Gesicht bekommen.

Ich bin inzwischen ein echter LOST SOCIETY-Fan. Bei ihrer Livepräsenz ist das ja auch kein Wunder. Würde LOST SOCIETY Einzug in den reichen Fundus deutscher Wörterbücher erhalten, würde man sicherlich Adjektive wie lebhaft, spritzig und dynamisch daneben stehen sehen. Vielleicht sogar auch hyperaktiv. Ein wahrer Reigen von Thrash-Agilität , wobei doch eingeräumt werden muss, dass die Finnen auf dem Würzburger "Hell Inside"-Festival etwas wacher wirkten (erst Superlative, und dann irgendwas von "nicht so wach"? Was gab es denn da zu trinken? FJ). Vielleicht steckt auch eine Truppe von 18jährigen Jungspunden den harten Alltag des räudigen Tourlebens doch nicht so leicht weg wie man meinen könnte. Jedenfalls liefern sie trotz alledem eine gelungene Show ab, die vor Crosswalks, Gitarrenfights und durch die Luft fliegende Haarbüschel nur so strotzt. Wer bei einer solch energiegeladenen Bühnenpräsenz dann noch sein Instrument technisch nahezu perfekt bedienen kann, hat Respekt verdient. Der anfangs etwas verwaschene Sound wird gegen Ende der Show sogar richtig glasklar. Nach dem zweiten Song bekommt der Mischer die ausbüxende Snare in den Griff und die Finnen steuern einem gelungenen Finale des Gigs entgegen. 'Kill', 'Toxic Avenger', 'Thrash All Over You' und das überragende 'Braindead Metalhead', das nach so kurzer Zeit fast schon Kultstatus hat, machen live richtig Spaß. Das Publikum quittiert die Show mit einem ordentlichen Circle Pit!  Fernab jeglicher Kritiker, die die Band in die Sparte NUCLEAR BLAST-Hype einreihen, muss ich sagen, das ist Thrash at its best! "Fast Loud Death" ist eines der Thrash 2.0-Releases mit Charakter und Profil. Auch der heutige Gig macht Lust auf mehr und ich bin total auf das zweite Album gespannt. Am 4. April soll "Terror Hungry" jedenfalls erscheinen!

LOST SOCIETY legt die Messlatte schon ziemlich hoch. FUELLED BY FIRE werden es da wohl schwer haben, mitzuhalten. Richtig gedacht, und doch wieder falsch! Viele der Fans können nach LOST SOCIETY wohl nicht mehr und verkriechen sich in die hinteren Reihen der Halle. Trotzdem hauen die Jungs aus L.A. richtig auf den Putz. Ich habe die Kalifornier noch von der 2012er KREATOR-Tour in Erinnerung, die sie zusammen mit NILE und MORBID ANGEL supporten durften. Damals schon machte die junge Band mit ihrem morbiden Rumpelthrash als Opener eine ziemlich gute Figur, allerdings packt der Vierer heute noch eine Schippe drauf. Mit dem dritten Release "Trapped In Perdition", das 2013 das Licht der Welt erblickte, bewaffnet knallen sie dem Münchener Metalheads eine ordentliche Ladung Old School Thrash vor den Latz. 'Catastrophe' und 'Obliteration' sind aber auch brutale Tracks. Ich ordne die Jungs irgendwo zwischen den frühen Tagen Hollands und Pottsound ein (und ich dachte, ich kenne mich da auch ein wenig aus, aber was du damit meinst, verstehe ich nicht. FJ). Rick Rangels Stimme ist echt ein mörderbrachiales Werkzeug, das jeder Kiddie-Thrash-Band den Schädel spaltet. Bei 'Thrash Is Back', dem Überhammer von der "Spread The Fire", hat es dann auch mich erwischt und ein breites Grinsen thront in meinem Gesicht. Bei 'Rising From Beneath' und 'Unidentified Remains' bleibt einem Old-School-Anhänger keine andere Wahl als seine Rübe kreisen zu lassen. Gegen Ende der Show entsteht sogar ein kleiner Pit.

Griechenland, Hellas und Thrash Metal. SUICIDAL ANGELS hat mich live schon des Öfteren überzeugt. Vor allem stachen sie (natürlich mit den Halbgöttern von MISERY INDEX) auf der 2012er Full Of Hate-Tour richtig deutlich heraus. Heute ist der griechische Exporthammer meiner Meinung nach eindeutig die beste Band des Abends. "Mann, oh Mann, das ist ja fast wie SLAYER" grummelt der redselige Zeitgenosse neben mir. Wahrlich, was die Griechen hier abliefern grenzt ernsthaft an Körperverletzung. Selbst die Nackenmuskulatur der letzten Reihe wird derbe strapaziert. Grund dafür ist sicherlich die überragende Arbeit des Mischers. Im Ernst, ein solch schön holzig-knackiger Basssound muss seinesgleichen erst suchen und ist in meinen Ohren ein wahres Kunstwerk. Dazu die krachende, leicht dominante Snare – phantastisch! Leider sind die Gitarrenamps von der Backline verdeckt, aber auch sie klingen wie es sich gehört: very british (Bahnhof? Wieso britisch? FJ)! Kommen wir aber zur Musik: Sicherlich ist SUICIDAL ANGELS mit "Divide an Conquer" (2014) nicht der große Wurf gelungen, aber 'Marching Over Blood' macht sich als Opener verdammt gut. Dafür zählen  "Bloodbath" und "Dead Again" im Moment zu meinen Top 10 der aktuellen Genrereleases und laufen auf Dauerrotation. Spätestens ab 'Bloodbath', dem Titeltrack des 2012er Silberlings, stellt sich bei mir das berühmt-berüchtigte Konzertfeeling mit Gänsehautfaktor ein. Ganz klar, SUICIDAL ANGELS rocken. Das Publikum reagiert heftig auf die Thrashsalven der Griechen. Wie der Rattenfänger von Hameln folgt es den Schlägen der Snare. Durch die Bank ist klar, SUICIDAL ANGELS dürfen getrost mit SLAYER verglichen werden, denn Nick Melissourgos kommt Tom Araya wirklich sehr, sehr nahe. Spätestens bei 'Reborn In Violence' von der "Dead Again" kann sich keiner der Anwesenden dem Bann der Griechen entziehen. Ein gewaltiger Pit entsteht und das Backstage kocht. Melissourgos hält das Publikum richtig gut bei Laune und belohnt das Lechzen der Fans mit dem flott-groovenden 'In The Grave', das auf die Frage "do you like it fast?" angezockt wird. Der Gig hat keine Schwächen. Wie denn auch, denn ein Brecher folgt dem nächsten. 'Moshing Crew' und natürlich 'Apokathilosis', der Vorschlaghammer von der "Sanctify The Darkness", sind hierbei wahrlich nur als I-Tüpfelchen zu bezeichnen. Thrashfaktor 10.0

Mit SUICIDAL ANGELS erreicht die Fiesta de Thrash sowohl ihren Höhe-, als auch ihren Wendepunkt. Leider merkt man deutlich eine Zäsur zwischen den Touren, die sich heute überkreuzen. Die SEPULTURA-Tour kann mit SUICIDAL ANGELS & Co. einfach nicht mithalten. High Standards! Schlecht ist deswegen der zweite Teil des Abends nicht, nur merkt man halt eben deutlich einen Abfall an Energie.  Im Gegensatz zu den SUICIDAL ANGELS wirken FLOTSAM & JETSAM sogar ziemlich müde. Man erhält sogar den Anschein, als würde sie die Band im Ruhm der vergangenen Tage suhlen. Ich würde sogar soweit gehen, dass die Jungs aus Phoenix ein klein wenig arrogant rüberkommen. Jedenfalls spulen sie ihre Speed/Thrash-Tracks in Überlänge komplett ohne Ansagen ab. Lustlos nenn ich sowas. Lediglich 'Hammerhead', der Opener der "Doomsday For The Deceiver", geht ein kleiner Kommentar von Eric A.K. voraus. Man kann übrigens auch darüber streiten, ob die Neuaufnahme von "No Place For Disgrace" wirklich sinnvoll ist. Sicher sind der Titeltrack und 'Hard On You' gute Nummern, aber FLOTSAM & JETSAM ist 2014 nichts Besonderes mehr, auch wenn Eric A.K. nach wie vor eine kräftige Stimme besitzt und der Gesamtsound sehr solide ist.

Etwas antriebslos wirken auch LEGION OF THE DAMNED. Vielleicht bin ich auch etwas zu sehr konzertverwöhnt, aber ich hab die Jungs schon wesentlich, wesentlich agiler gesehen. Der Auftritt beim Party San der letzten Festivalsaison ist kein Vergleich zu heute. Sind die Jungs in einem Formtief? Sicher, die Show ist solide und enthält auch alle Nummern, die zu einem LEGION-Gig dazugehören müssen. Es fehlt halt einfach das gewisse Etwas. Jenes Quäntchen an Elan, Aggressivität und Biss, das die Holländer von der breiten Masse abhebt. Liegt es am Fronter? Maurice Swinkles zeigt sich heute sogar noch wortkarger als üblich. Die Mikrospur ist in den Zwischenpausen so gut wie tot. Mit wenig Ansagen im Gepäck und auch sonst nicht gerade spritzig sitzen die Jungs ihre 45 Minuten schlichtweg ab. Klar, der Sound ist fett. LEGION OF THE DAMNED ist ja schließlich auch Co-Headliner. Die bis zum Exzess getriggerten Drums machen sich auch gut, aber es fehlt heute einfach etwas. Auch die Setlist bietet keinen Grund für metallische Wohlstandsprobleme. Angefangen von 'Ravenous Abnominations' und 'Summon All Hate' vom neuen Album "Ravenous Plague" zelebrieren die Herrschaften den Titeltrack der "Cult Of The Dead" und natürlich auch 'Pray And Suffer'. 'Night Of The Sabbath' von der 2012er "Descent Into Chaos" darf selbstverständlich auch nicht fehlen. Mit der Bandhymne 'Legion Of The Damned' beschließt der Fünfer einen in meinen Augen nicht mehr als durchschnittlichen Gig.

Die Band, die das Publikum am Meisten spaltet, ist natürlich SEPULTURA. Kein Wunder, denn kaum eine der großen Thrash-Bands der 80er hat in den 90ern einen solchen Stilbruch zu verzeichnen wie die Brasilianer. Ich selbst habe die "Max soll zurückkehren"-Phase schon längst überwunden und akzeptiere, dass die Band seit 20 Jahren nun einen Sound macht, der für mich schlichtweg gewöhnungsbedürftig ist. Zugegebenermaßen, ich bin in vielen Dingen recht engstirnig und hab es immer vermieden, mir SEPULTURA live zuzuführen. Es gibt halt für alles ein erstes Mal und ich gebe den Herrn eine faire Chance. Man soll ja nicht voreingenommen an Sachen herantreten. Deswegen habe ich mir auch im Vorfeld die "Kairos" und die "The Mediator Between Head And Hands Must Be Heart" gekauft, um mich auf den Gig vorzubereiten. Zur Show selbst: Schlecht machen es die Herrn um Paulo Jr. und Andreas Kisser nicht. Der Sound ist fett, ja sogar richtig fett. Der Mischer reißt den Volumen-Poti richtig hoch und kaschiert so recht gut, dass die Jungs nur mit einer Gitarre unterwegs sind. Wesentlich spannender als die Show finde ich allerdings die Frage nach den alten Songs. Wie hören sich alte Klassiker in einer Derrick Green-Interpretation an? Sicherlich darf man nicht 'From The Past Comes A Storm' erwarten, aber es kommen immerhin 'Dead Embryonic Cells', 'Inner Self' und 'Arise'. Von der "Chaos A.D.", dem Wendepunkt in der Karriere der Brasilianischen Thrash-Giganten, folgen 'Refuse/Resist', 'Territory' und natürlich 'Propaganda'. Zu meiner Überraschung steht auch das NEW MODEL ARMY-Cover 'The Hunt' mit im Programm. Ich mach's kurz und schmerzlos. Die alten Klassiker der Prä-Chaos-Zeit verlieren deutlich an Charme, weil sie mit einem Hauch Nu-Metal-Flair unterlegt werden. Ich kann es selbst kaum glauben, aber selbst 'Inner Self' lässt mich kalt. Trotzdem zocken die Herren eine fette Show, die viele der Fans mitzureißen scheint. Zumindest sorgen die Jungs für den wohl größten Pit des Abends. Auch der Unterhaltungswert ist wirklich sehr hoch, denn Derrick Green, der inzwischen wesentlich länger bei der Band ist, als Max es je war, hat eine beachtliche Bühnenpräsenz. Vor allem aber entpuppt sich der erst 23-jährige Eloy Casagrande, der seit 2011 bei Sepultura die Kessel bedient, als echter Ausnahmemusiker.  'Kairos', 'Spectrum', vom 2011er Album, und 'The Vatican', 'Trauma Of War', mit dem es losgeht, sowie 'Manipulation Of Tragedy' sind aber auch gute Livenummern, auch wenn sie meinen Geschmack nicht in ganzer Linie treffen.

Redakteur:
Michael Sommer

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