SÓLSTAFIR, ORANSSI PAZUZU und HELGA - Leipzig
23.12.2024 | 14:3308.12.2024, Täubchenthal
Stimmungsvoller Konzertabend mit nordischem Flair.
An diesem kalten Sonntagabend sich Musik aus Island (und Finnland) zu Gemüte zu führen, ist ja schon mal ziemlich passend, und anscheinend sehen das Viele ganz genauso und folgen dem Ruf, entsprechend gut besucht ist das Täubchenthal. Es ist der vorletzte Stop auf der Tour, die einen Tag später in Berlin zu Ende geht. Von Müdigkeit oder gar aufkeimender Überdrüssigkeit ob des Tourlebens ist aber keinem der beteiligten Musiker etwas anzumerken, obwohl man vier Wochen nonstop unterwegs gewesen ist. Nachdem HAMFERD die erste Hälfte der Tour als eröffnende Band des Dreierpacks begleitet hat, ist danach HELGA auf den Tross aufgesprungen und bestreitet somit auch hier und heute den Auftakt.
Und es ist ein Auftakt nach Maß, da die Band nicht nur mit einem interessanten musikalischen Mix aufwartet, sondern zudem eine Sängerin in ihren Reihen hat, die stimmlich super und sehr charakteristisch agiert und die zudem sehr ausdrucksstark ihren mal klaren, mal keifenden Gesang mit Mimik und Gestik untermalt. Demgegenüber wirken die beiden Bandmitglieder auf der rechten Bühnenseite schon fast zu ernst, was auch angesichts der mehr als wohlwollenden Publikumsreaktionen eigentlich gar nicht nötig wäre. Der progressive bis postrockige Metal des britischen Fünfers hat sowohl eingängige, sphärische als auch einige härtere Headbang-Parts zu bieten, und hinterlässt einen sehr guten Eindruck beim bereits zahlreich vor der Bühne versammelten Publikum.
Danach bedarf es eigentlich einer Triggerwarnung, denn blitzendes Stroboskoplicht, das immer schneller blinkt, blendet mitten in die Gesichter der Zuschauenden und läutet so in Form des Songs 'Bioalkemisti' den Auftritt von ORANSSI PAZUZU ein - dieser kaum kategorisierbaren, wild und originell agierenden Band aus Finnland. Ich muss gestehen, dass ich zu dem chaotischen musikalischen Treiben keinen Zugang finde, lediglich der erste und der letzte Song packen mich etwas, was vielleicht auch einfach an der etwas nachvollziehbareren Struktur liegt. Dazwischen wirkt das Ganze auf mich eher zerfasert und auch irgendwie seltsam distanziert. Andere Anwesende schaffen es aber offenbar, komplett in der Musik aufzugehen - selbiges gilt nicht zuletzt auch für den Drummer, der sich häufig mit geschlossenen Augen durch die Songs trommelt.
Das Set endet dann wie es begonnen hat, mit einer Stroboskoplicht-Attacke, und ich bin ganz froh, dass jetzt mit SÓLSTAFIR noch eine deutlich zugänglichere Band auf dem Programm steht. Nach dem Intro 'Náttfari' gibt es von den vier Isländern erstmal kommentarlos einen Dreierpack bestehend aus dem Instrumental '78 Days In The Desert', 'Silfur-Refur' und schließlich 'Blakkrakki'. Damit ist man also in der Gegenwart angekommen und Sänger Aðalbjörn hat zunächst erstmal nichts besseres zu tun, als vor Reisen nach Island abzuraten, denn in seiner Heimat gäbe es nichts weiter als "schwart schand", also schwarzen Sand ('Svartir Sandar') und damit Tristesse pur.
Mit Tristesse hat die Band im weiteren Verlauf der Show aber absolut nichts am Hut, vielmehr entpuppt sich vor allem Aðalbjörn als Einheizer und echter Entertainer, der das Publikum voll im Griff hat und insbesondere auch die Leute auf den Emporen links und rechts oberhalb von der Bühne immer wieder mit Gesten und Grimassen in seine Darbietung einbezieht. Das macht schon echt Spaß, ihm bei seiner Bühnenperformance zuzusehen, während die beiden anderen Saitenhexer Sæþór und Svavar sich eher auf ihr Spiel konzentrieren und kaum (Bassist Svavar) bis gar nicht (Gitarrist Sæþór, der erst zur Verabschiedung etwas auftaut) in größere Bühnenaktivität verfallen.
Das macht aber rein gar nichts, denn zum einen sind die Rollen eben verteilt und zum anderen gibt es einen tollen musikalischen Querschnitt, der trotz der teilweise sehr langen Songs alle Phasen des Bandschaffens umfasst (bis auf das Debüt und auch das Vorgängeralbum "Endless Twilight Of Codependent Love", das interessanterweise ausgespart wird). Von den drei Stücken des neuen Albums ist vor allem 'Hún Andar' live eine echte Wucht und schlägt voll ein, während der Titeltrack 'Hin Helga Kvöl' trotz der knackigen schwarzmetallischen Riffs für mich live nicht so richtig funktionieren will. Allerdings straft mich der begeisterte Applaus nach dieser Nummer schon etwas Lügen, so ehrlich muss ich sein.
Zwischen diesen beiden Songs kommt mit 'Fjara' ein etwas ruhigeres Stück zum Tragen, das aber von den Zuschauern ebenfalls goutiert wird, natürlich eher mit verträumtem Hin- und Herwiegen als mit zappeligen Bewegungen. Für mich allerdings ist die Nummer in der Livesituation etwas zu ausladend beziehungsweise zu lang geraten. Nach dem letzten, bereits erwähnten Ausflug zum neuen Album mit eben dem Titeltrack, räumt im Anschluss der Publikumsliebling 'Ritual Of Fire', vom Zweitwerk und damit der älteste Song im heutigen Set, nochmal richtig ab.
Wir nähern uns, das muss man trotz der bis hierhin bereits einwandfreien Vorstellung der Isländer, dem Höhepunkt der Show. Ist 'Rituals Of Fire' schon eine absolut geniale Reise durch die Klangwelt SÓLSTAFIRs, so ist es nun an 'Ótta' mit dieser wundervollen Melodie und dem sich behutsam aufbauenden Flow des Songs die Anwesenden restlos zu euphorisieren.
Dafür sorgt aber nicht nur die Musik, denn, wie schon erwähnt, während, aber noch mehr zwischen den Songs gibt Sänger Aðalbjörn den absoluten Entertainer - bei ihm werden selbst die üblichen Mitsingspielchen zu einem einzigartigen Erlebnis. Ein begnadeter Sänger wird aus ihm sicherlich nicht mehr, aber das macht er durch Inbrunst und Charisma seiner Darbietung mehr als wett und ist damit ein echtes Original seiner Zunft.
Bei 'Ótta' jedenfalls, der letzten Nummer des regulären Sets, ist die Bühne in sehr stimmungsvolles Licht getaucht und plötzlich ist auch noch ein Luftzug im Rücken zu spüren (endlich, in der bis dato doch recht stickigen Halle), was für eine unvergleichliche Atmosphäre sorgt. Danach wird die Zugabe von der Band gleich selbst eingefordert und so kommt dann als Abschluss auch noch die 'Goddess Of The Ages' zu Ehren. Womit man wieder bei "Köld" angekommen ist, der Scheibe, mit der man den heutigen Auftritt nach dem Intro auch begonnen hat. Und nach 'Ótta' erneut ein herrlich melodischer Song zum Schwelgen und Träumen und Hoffen, dass dieser Auftritt noch nicht enden möge.
Das tut er dann aber doch, nachdem Aðalbjörn noch auf der Absperrung über den empor gereckten Händen der Zuschauer in den ersten Publikumsreihen balanciert ist. Was für eine Vorstellung, hier kann man nur zufrieden und Endorphin-durchströmt nach Hause gehen. SÓLSTAFIR - das hat sich echt gelohnt!
Setliste: Náttfari; 78 Days In The Desert; Silfur-Refur; Blakkrakki; Svartir Sandar; Ljós í Stormi; Hún Andar; Fjara; Hin Helga Kvöl; Ritual Of Fire; Ótta; Goddess Of The Ages
Text und Fotocredit: Stephan Voigtländer
- Redakteur:
- Stephan Voigtländer