Safe At Höme – F***** Easter Feast - Grevenbroich

26.04.2020 | 10:58

10.04.2020, Balkon

Lasset die Spiele beginnen!

Die Sonne scheint, die Vöglein zwitschern, es ist Ostersonntag. Und während ich auf dem Balkon sehe, wie die Nachbarskinder die Ostereier im Garten suchen, wird es höchste Zeit für den ersten Akt des letzten Festivaltages.

JETHRO TULL

Ja, dieser Akt fehlt mir noch auf meiner Live-Liste und bevor ich dies ändern kann, muss eben ein audiovisuelles Zeugnis her. Hierfür reisen wir weit zurück in die Vergangenheit. Sehr weit, denn am 10. Februar 1977 – also vor über 40 Jahren – gab sich JETHRO TULL im Londoner Hippodrome die Ehre. "Songs From The Wood" war das aktuelle Album und ein passendes Beispiel dafür, wie genial Ian Anderson und seine Mannen Folklore, Klassik und Rock in eine mitreißende, spannende Reise verwandeln konnten.

JETHRO TULL war einzigartig, ist einzigartig, und darum auch mit diesem Auftritt in der englischen Hauptstadt ein gern gesehener Gast. Natürlich darf man von "Live At The London Hippodrom" in Sachen Bild- sowie Tonqualität kein Glanzstück nach heutigem Maßstab erwarten, aber dafür werden Magie und Geist dieses Genies wunderbar inszeniert. Leider haben es nur neun Stücke auf den vorliegenden Dreher geschafft, doch charmant wie eh und je sowie mit gewissem Hang zur Dramatik schafft es der gute Ian, Songs wie 'Thick As A Brick', 'Velvet Green' oder der damals aktuelle Titeltrack dem Londoner Publikum authentisch zu vermitteln. Oftmals und nicht nur auf "Live At The London Hippodrom" habe ich den lieben Onkel mit dem üppigen Märchenbuch vor dem inneren Auge und wir lauschen gespannt seinen Geschichten.

Vom beginnenden 'Skating Away On The Thin Ice Of A New Day' bis zum 'Locomotive Breath'-Abschluss zeigt sich die 1977er Version von JETHRO TULL von ihrer Schokoladenseite. Ganz nebenbei sorgt sie 43 Jahre für eine Stunde feinster Unterhaltung auf dem imaginären Festivalgelände.

Wir bleiben in Great Britain...

URIAH HEEP

Ein entsprechender Vertreter britischen Hardrocks darf natürlich nicht fehlen. Entschieden haben wir uns für URIAH HEEP und ihren Auftritt im Londoner Camden Palace, auch Koko genannt. Im März 2014 gaben sich Mick Box und Konsorten die Ehre und sollten wenig später auf einen wirklich starken und aussagekräftigen Live-Output zurückblicken. Bekanntlich geizen die Briten nicht mit solchen, doch "Live At Koko – London 2014" sollte auch noch einige Jahre später ob der Leistung und des Gesamteindrucks positiv herausragen.

Die Vorfreude im Koko ist spürbar, als URIAH HEEP angesagt wird. Wenn dann mit einer sehr geglückten Mixtur aus alten Gassenhauern ('Sunrise', 'Stealin''), Stücken neueren Datums ('Into The Wild', 'Nail On The Head') und damaligen "Outsider"-Überraschungen dem Publikum auch noch ein großer Mehrwert gegeben wird, dann hat nicht nur London, sondern auch Grevenbroich 2020 viel zu feiern. URIAH HEEP ist, wie sollte es anders sein, perfekt aufeinander eingestimmt: Box schüttelt die Jahrhundertriffs locker flockig aus dem Ärmel, Russell Gilbrook drischt energisch auf seine Schießbude ein, Davey Rimmers Bass sorgt für einen tollen Rhythmus und die Hammondorgel Phil Lanzons gibt dem Hardrock-Prozedere einen wohlig warmen Unterton.

Und was ist mit Bernie Shaw? Nun, wer URIAH HEEP schon einmal live sehen konnte, weiß, dass er als geborener Entertainer und begnadeter Sänger nichts falsch machen kann. Dazu sorgen Kamera und Licht für ein sehr hohes Maß an Authentizität. Diese DVD bietet auch am Osterwochenende 2020 den besten Beweis hierfür. Standesgemäß wird abschließend bei 'Lady In Black' noch einmal lautstark mitgesungen und mit 'Easy Livin'', einem Evergreen vor dem Herrn, das Konzert beendet. Das hat immens viel Spaß gemacht, speziell bei kühlem Dosenbierchen und heißem Grillfleisch.

Nun wird es Zeit für einen kleinen Schauer, auch wenn man am Himmel weiterhin keine einzige Wolke sieht.

KING DIAMOND

Der König ist zurück! 2020 soll im Zeichen KING DIAMONDs stehen. Die ersten Ankündigungen für ein neues Album wurden schon gemacht und um uns auf den großen Siegeszug des Dänen einzustellen, darf auch er mit einer audiovisuellen Darbietung seiner Horrorshow nicht fehlen. Die Wahl fiel auf "Songs For The Dead", Anfang 2019 mit dem Untertitel "Live At The Fillmore In Philadelphia" veröffentlicht. Entsprechend vorfreudig blicken wir auf das am 25. November stattgefundene Spektakel in Pennsylvania.

Wie nicht anders beim King zu erwarten, sind Bild- und Tondarbietung in hervorragender Qualität – nicht zu hektisch, nicht zu steril, angenehm häufig kommt auch die entsprechende Bühnendeko bestens zum Vorschein, und auch auf die Feinheiten – Rollstuhl, Sarg, Gitterfront – wurde geachtet. KING DIAMOND ist ein Meister seines Fachs und gerade dieser Hang zur Perfektion gemischt mit der unbändigen Attitüde des Heavy Metals und der angenehm schockierenden Fratze des Horror-Genres macht auch dieses Konzert zu einem absoluten Fest. Das Publikum ist von Beginn an Feuer und Flamme, feiert den King wie in seinen besten Zeiten.

Das hier soll in keine Vollrezension ausarten, doch Band, Schauspieler, das gotische Bühnenbild und absolute Schauer-Evergreens wie 'Melissa', 'Come To The Sabbath', 'The Family Ghost' oder 'The Possession' sind es einfach wert, dass man über sie spricht und schreibt. Hinzukommt die komplette Darbietung des "Abigail"-Klassikers. Zugegeben, ich hätte mir Mitschnitte wie diesen auch gerne aus den 1980er oder 90ern von KING DIAMOND sehnlichst gewünscht, gehöre ich doch leider einer Generation an, die damals noch nicht in seinen Grusel-Genuss kam.

Doch eigentlich hat KING DIAMOND – künstlerische Pause hin oder her – über all die Jahre nichts an Charme, Faszination und Macht einbüßen müssen, er ist und bleibt ein Meister seines Fachs. "Songs For The Dead – Live At The Fillmore In Philadelphia" stellt dies in beeindruckender Art recht unverfälscht zur Schau und so wird nicht nur heiß diskutiert, mit welcher Gruselgeschichte KING DIAMOND uns den größten Unbehagen verursacht, sondern sind auch voller Vorfreude ob des kommenden, neuen Albums "The Institute".

Doch nicht nur der King is rising, sondern auch,,,

JUDAS PRIEST

Da der britische Stahl Halfords eine meiner ersten Berührungen mit der etwas härteren, musikalischen Gangart war, ist es eine Ehre für mich, JUDAS PRIEST einen Slot am Osterwochenende verleihen zu dürfen. Natürlich hätte ich mich auch für etwas klassischeres Gut der Marke "Live Vengance '82", "Electric Eye" oder "Priest Live" entscheiden können, doch all dem Vergangenheitsglanz zum Trotz demonstriert "Rising In The East" in meinen Augen am gelungensten den Bandspagat aus nostalgischer, legendärer Vergangenheit und der Wucht der Moderne. Aufgenommen live in Budokan 2005 dokumentiert der Tokyo-Auftritt nicht nur Halfords Rückkehr, sondern JUDAS PRIEST wieder als geschlossene Gemeinschaft.

Mit "Angel Of Retribution" gelang den Briten ein tolles Comeback-Album. Entsprechend gibt es auch mit 'Judas Rising', 'Revolution', 'Worth Fighting For', 'Hellrider' und 'Deal With The Devil' exquisit neues Material zu bestaunen, das hervorragend mit Brechern wie 'A Touch Of Evil', der Balladenversion von 'Diamonds And Rust' oder 'Turbo Lover' und 'Exciter' harmoniert.

Zwar fehlt 'The Green Manalishi', doch bei all den anderen Gassenhauern kommt man eigentlich nur ins Staunen. Besser als mit 'The Hellion'/'The Electric Eye' kann kein PRIEST-Konzert starten und gleich zu Beginn stellt man beim Bild und Ton eine auch 15 Jahre später noch immer recht hohe Qualität fest. K.K. und Glenn bilden im Weiteren eine perfekte Riffeinheit, Scott und Ian sorgen für den so typischen PRIEST-Rhythmus und Rob zeigt damals wie heute eine beeindruckende Leistung am Mikro.

Nach 'Living After Midnight' und 'You've Got Another Thing Coming' ist der Spaß auch leider schon vorbei, doch blicken wir auf einen aufregenden und höhepunktreichen Auftritt zurück. 23 Songs über wird die stählerne Flagge des britischen Heavy Metals in den japanischen Nachthimmel gehievt, 23 Songs über feiert das Publikum dieses Flaggschiff so laut es nur kann, 23 Songs über demonstriert die Band auf gesamter Linie, warum bei dem Begriff "British Steel" nur eine einzige Band in Frage kommen kann: JUDAS PRIEST!

Was kann eigentlich noch folgen? Welche Hoheit darf mein Festival gebührend abschließen?

MOTÖRHEAD

Wir lassen eine weitere Legende auferstehen. Aber vorab: Gibt es eigentlich das perfekte MOTÖRHEAD-Konzert? Oh ja, denn das, was Lemmy und Co. im Dezember 2004 in der Düsseldorfer Phillipshalle zum Besten gaben, zeigt MOTÖRHEAD nicht nur in beeindruckender Form, sondern wurde Gott sei Dank auch mitgefilmt und später als "Stage Fright" veröffentlicht. Zum damaligen Monsteralbum "Inferno" gab es natürlich eine passende Tour und so beehrten Kilmister, Campbell und Dee auch das Rheinland.

Zunächst zur Playliste: Klar fehlten mit 'Orgasmatron' oder 'Bomber' einige Gassenhauer, doch in Anbetracht der riesigen Flut an ultimativen MOTÖRHEAD-Hits musste das Trio Infernale auch damals Abstriche machen. Trotzdem spuckt die Band auf dieser DVD Hit für Hit in die Zuschauermenge. In jeder Sekunde schwitzt diese Veröffentlichung das Adrenalin, die Power und den Rock 'n' Roll literweise aus. Doch auch die Rahmenbedingungen hätten auf "Stage Fright" nicht besser sein können.

Bei schnelleren Songs wie 'Sacrifice' oder 'In The Name Of Tragedy' geht die Kamera wunderbar mit und sorgt für noch mehr Geschwindigkeit, bei langsameren Gassenhauern wie 'Dancing On Your Grave' oder dem Akustiksong 'Whorehouse Blues' nimmt sie dann passenderweise ein wenig Tempo raus. Hier passen viele Fäuste auf die Augen. Und in Sachen Ton- und Bildqualität kann ich mir auch 16 Jahre nach dem eigentlichen Konzert nichts Besseres vorstellen. Die Lichtshow ist bockstark, das Rheinländer Publikum geht gut ab und Mickey sowie Phil reißen die Bude ab.

Und Lemmy? Nun, kommen Außerirdische zu Besuch und fragen nach Rock 'n' Roll, zeige ich heute Abend auf meine Flimmerkiste und überlasse Großmeister Kilmister das Wort. Und wenn bei 'Overkill' selbst Campbell zu einem kleinen Tänzchen ansetzt, dann sollte eigentlich alles zur einstigen Stimmung am 07. Dezember 2004 in der Philipshalle gesagt sein. Standesgemäß schließen unheimlich viele Pommesgabeln und triefender Schweiß auch dieses MOTÖRHEAD-Konzert würdig ab. Für mich persönlich spricht "Stage Fright" Bände und ist ein unterbewerteter, aber lichterloh brennender, eisenharter und anbetungswürdiger Höhepunkt meiner gesamten Sammlung und somit auch ein mehr als folgerichtiger Abschluss eines denkwürdigen Tages und Wochenendes.

 

Eine sehr schöne und denkwürdige Erfahrung geht zu Ende. Selbstverständlich hätten auch viele andere Bands an diesem Wochenende auf der Flimmerkiste ihren berechtigten Platz gehabt. Es sind zu viele, um sie noch nennen zu können. Ich hoffe, ich konnte euch – liebe Leser – ein wenig anregen, eurer Fantasie freien Lauf und euch von der Corona-Krise nicht allzu weit runterziehen zu lassen. Genießt die Dinge, die ihr habt, denn speziell in diesen harten Zeiten zeigt sich, wie wichtig Kunst und speziell Musik und noch mehr "unsere" Musik doch wirklich ist. Ich freue mich, wenn ich euch mit diesem doch recht außergewöhnlichen Artikel ein wenig zum Lächeln gebracht habe und ihr nun vor eurem inneren Auge euer eigenes Festival kreieren könnt. Vielen Dank und ein großes Dankeschön an Stefanie Büttner für die Bilder, die Arbeit und die kreative Hilfe.

Redakteur:
Marcel Rapp

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