Saxon/Iced Earth - Herford

21.02.2009 | 12:41

07.02.2009, X

Der verlorene Sohn, dessen odysseeische Heimkehr und seine Gefolgschaft. Hier gab's traditionellen Metal at its best!

Besonders Extreme-Metalheads wundern sich aufs Flagranteste, warum sich das traditionalistisch orientierte Gebräu wie der Old School Heavy Metal oder der Power Metal in Deutschland nach wie vor ungebrochener Beliebtheit erfreuen. Eindrucksvoll wird beispielsweise auf SATYRICONs "Roadkill Extravaganza" von Songwriter Satyr bei der Inaugenscheinnahme deutscher Monumentalmonumente pauschal geschlussfolgert, dass es auch kein Wunder sei, dass die Deutschen gleichzeitig Angst einflößende, den Menschen klein machende Prachtbauten errichten und auf Power Metal stehen. Sind wir Deutschen wirklich so? Vielleicht. Zweifelsohne stehen wir hier auf kraftmetallische Zunft, denn ansonsten würden Bands wie MANOWAR nicht die höchsten Verkaufszahlen gerade in deutschen Landen verbuchen können. Da ist schon was dran.

Wenn man nunmehr die Qualität einer Band wie ICED EARTH zum Maßstab der näheren Analyse einer solchen Präferenz nimmt, erscheint dies in zunehmenden Maße kaum verwunderlich. Heute laden besagte unter dem Banner des X in Herford mitsamt den NWoBHM-Urgesteinen SAXON. Eigentlich sind SAXON Headliner, doch ob des einfach von mir ganz intuitiv kalkulierten höheren Beliebtheitsgrades der vereisten Erde werde ich mich wohlweislich (und dies aller Wahrscheinlichkeit mehr subliminal, denn kategorisch erwählt) mehr ihrer erderschütternden, programmatischen Macht annehmen, denn der betagteren Legende. Das hat weniger etwas mit der schlichten Leugnung der Bedeutung des weitaus älteren Headliners zu tun, sondern ist viel mehr der Tatsache zu schulden, dass die Band um John Schaffer und Co. letztes Jahr beim Rock Hard Festival nahezu alles abräumte, was abzuräumen war, und eine berückende Glanzperformance hinlegte, die Tränen und brunftschreiartige Ovationen und Jubellaute evozierte und die Relevanz sowie schiere Unverzichtbarkeit einer Königsstimme und Persönlichkeit im Formate Matt Barlows aufs Offensichtlichste unterstrich. Der Schreiberling weiß, wovon er redet, denn er war höchstpersönlich zugegen letztes Jahr. Mein Nacken ist damals fast abgefallen, mein innerer kleiner Thrasher ist ausgetickt vor Glückseligkeit, und meine Augen wurden so glasig, als ob sich Reste vom Bühnenlicht auf ihnen absetzten (für mich nach AT THE GATES im selbigen Jahr das wohl intensivste Konzerterlebnis, dem ich je beiwohnen durfte). Besonders interessant war außerdem das Gespräch mit einem anscheinend total entgeistert-beeindruckten Fan, der die Band sage und schreibe schon siebzehn Mal erleben durfte und stolz behauptete, an besagtem Abend hätte die Band ihre allerbeste Performance hingelegt. Das soll schon was heißen – will man meinen. Ob das Publikum etwas in der Richtung ohne weiteres heute Abend erleben wird, wagt der Schreiber zu bezweifeln, denn einen verloren geglaubten Sohn besingt man bekannterweise nur am Tage seiner Rückkehr, danach wird von ihm zumeist die gleiche Bieneneifrigkeit und Charakterfestigkeit abverlangt, wie man es von ihm aus alten Tagen gewohnt ist. Widmen wir uns also nunmehr dem eigentlichen Geschehen [vielen Dank! - d. Red.].

Das X, welches ich im Grunde genommen regelmäßig zu besuchen pflege, war noch nie so rappelvoll! Ich hab's zumindest noch nie erlebt. Man hat in den hinteren Reihen zwar ausreichend Platz zum Stehen, und zerquetscht wird man auch nicht gerade, jedoch kann ich mich nicht im Geringsten entsinnen, jemals eine so große Menschenansammlung hier angetroffen zu haben. Selbst bei Konzerten von modemäßig angesagten, begierig konsumierten und von Anhängern verschiedener modernistischer Strömungen angebeteten Acts wie TRIVIUM, AS I LAY DYING oder KILLSWITCH ENGAGE war daselbst noch lange nicht so viel los wie eben an dem heutigen Abend! Geil!

Schön zu sehen, wie der monumentale Bühnenaufbau die Augen blendet. Das, was ICED EARTH dem Publikum bieten, ist zwar weniger ein IRON MAIDEN-Set der Superlative, doch für die Gepflogenheiten im X ist das mehr als üblich. Das Drumset pachtet das komplette Podest, der Hintergrund ist nett illuminiert, dick, aber nicht zu fett aufgetragen. Cool. Es wird still. Und dunkel. In der Dunkelheit: Begierig wartende Schrebbelköpfe und ein Hauch von nacktem Suchtschweiß. In den hinteren Reihen geht's zwar etwas verzagter zu, aber die abgeklärten "Oldies" haben sich die Band sicherlich schon auf der Tour mit JUDAS PRIEST oder auf eben erwähntem Rock Hard Festival gegeben. Oder die haben einfach nur einen Stock im Arsch, oder sie wollen sich das Spektakel wie eine aus der Videothek ausgeliehene, verkratzte DVD ansehen. Solche Leute werde ich nie verstehen (zumal bei solchen Konzerten, wo keine Band eine bodensprengende Neuheit und Überraschung darstellt eigentlich Party angesagt sein müsste!).

Schon geht's los mit einem Six-, äh, Doppelpack! 'In Sacred Names' und 'Behold The Wicked Child' vom Barlow-Comeback "The Crucible Of Man (Something Wicked Part 2)". Und egal, was Neider behaupten mögen, ich stelle mich ganz auf die Seite von Herrn Kühnemund: Diese Scheibe ist definitiv das Barlow-Comeback und keine notdürftige Rotlichtmilieu-Befriedigung. Live merkt man zumindest kaum den Unterschied zu den ganz großen Hymnen dieser Riffpriester. Barlow wirkt frisch und erstarkt. Sein Polizeijob und sein amerikanisches Familienleben scheinen ihm echt gut zu tun. Hinzu kommt, dass man ihm Reife und Verantwortungsbewusstsein gepaart mit beinhartem Metalfeeling anmerkt. Alles strotzt voller Kraft: seine Ausstrahlung, seine Gestik, Mimik und zu guter Letzt seine Freude, wieder zu Hause auf der Bühne zu sein. Die Ansagen sind zwar bezüglich der Klassiker unverändert (in wesentlichen Zügen hören wir die gleichen wie bei "Alive In Athens"), aber stereotyp ist seine Performance und die der restlichen Mannschaft mitnichten. Im Gegenteil: Die ersten Reihen lassen die Matten schwingen, fisten und brüllen. Betrunkene Gäste geben mir zu verstehen, dass sie die Band "arschgeil" finden – solange ich mein Diktiergerät zurückhalte, denn immer wenn ich's ihnen förmlich unter die Nase reibe, schrecken sie hasenfußartig scheu zurück. Zu Hymnen wie 'Burning Times', 'Vengeance Is Mine', Pure Evil' oder auch 'Dracula' wird gesungen und das gestiefelte Bein auf den Boden gedonnert. Ich halte mich hier bewusst an keine Chronologie, denn das Bündel aus Impressionen und Emotionen der Gesamtatmosphäre sind hier meines Erachtens das Wesentliche – und dieses Bündel ist wie eine Mischung aus Euphorischem und nachträglich Beglücktem bzw. Beglückendem. Bei 'Violate' oder 'My Own Saviour' geht so richtig die Post ab, und das ergraute Haupt von John Schaffer scheint wie mit Jungbrunnenwasser gewaschen worden zu sein. Überhaupt: Jeder werkelt bolzenartig und haut in die richtige Kerbe. Fett.

Abschließend lässt sich noch sagen, dass sich das hiesige icedearthsche Set sehr dem des Rock Hard Festivals ähnelt, doch tut das der Show keinerlei Abbruch. Mal ehrlich: Wer will schon (obschon die Neuinterpretation von beispielsweise 'Ten Thousand Strong' echt gut geworden ist) das Ripper-Owens-Zeug hören? Bestimmt keiner. Der verloren geglaubte Sohn ist immer die erste Wahl. Die prickelnde Brisanz vom Rock Hard Festival mag zwar einem neu entdeckten Aufeinander-eingespielt-Sein gewichen sein, nichtsdestotrotz sind ICED EARTH mit Matt Barlow einfach die ICED EARTH, die jeder von uns hören und sehen will. Und schließlich heute sehen wollte. Klasse!

Zu SAXON – ja, es tut mir Leid, liebe schwermetallisch Gebildete und Veteranen – vermag ich nicht viel zu sagen, denn die Band ist mir bis auf wenige "Hitausnahmen" kaum vertraut. Die New Wave Of British Heavy Metal weiß ich in ihrer Wirkungsmächtigkeit mehr als nur zu schätzen, doch gerade mit SAXON habe ich mich zu meinem eigenen Leidwesen noch nie ausgiebiger beschäftigt. Vertrautheiten in dem Sektor tragen da "metallographisch" eher die Namen IRON MAIDEN, JUDAS PRIEST, WHITESNAKE oder auch TYGERS OF PAN TANG, aber leider nicht SAXON. Vielleicht sorgt aber gerade diese jungfräuliche Herangehensweise und Unvorbelastetheit für eine frische und unverblümte Beobachtungsgabe, die freier von Erwartungshaltungen und stilisierten Vergleichen ist, als es "bei bereits bekannten und gesehenen Fällen der Fall wäre". Und ich muss sagen: Die Grauhaarigen beeindrucken mein "Herz aus Stahl" und wissen es mit Classic Metal bester britischer Schule zu umgarnen. Besonders fällt mir die akute und scheinbar besonders verinnerlichte Melodiebetontheit der Gentlemen auf. Und natürlich gefällt es einem zu sehen, dass auch diese Veteranen es scheinbar mühelos über die Jahre bewerkstelligt haben, sich selbst treu zu bleiben – aber vielleicht befinde ich mich auch im eklatanten Irrtum, denn über saxonsche Line-up-Wechsel bin ich nur wenig informiert.

Nichtsdestotrotz macht immerhin der Herr Byford eine echt gute Figur: kein übertriebenes Posing, für sein Alter sehr angenehme Ansagen, beachtliche Gesangsleistung und durchdachtes Auftreten. Sex and Rock 'n' Roll. Die Drogen bleiben da scheinbar weg – bis auf ein paar obligatorische Bierchen. Und das ist auch gut so. Man merkt mehr etwas von professioneller Begeisterungsfähigkeit und gesundem Spaß. Sollte man mehr erwarten von solchen Veteranen? Von IRON MAIDEN als Headliner auf dem Wacken Open Air 2008 sicherlich, doch weniger von SAXON. Letzten Endes bereue ich es nicht im Geringsten, nunmehr auch diese Prototypen einmal erlebt zu haben.

Die "mentalen Umgebungsgeräusche" verklingen in der Nacht, und man beobachtet mit Bedauern, wie die langhaarigen Bombenleger einer Schar neumodischer Dark-Wave-Fetischisten weichen, die sich wie (im wahrsten Sinne des Wortes) Untote auf die Tanzfläche quälen. Nicht, dass ich gänzlich der Gruftikultur abgeneigt wäre, doch der Kulturschock trifft mich heute besonders hart. Besser schnell zurück ins Auto und ICED EARTH anschmeißen! Prost!

Redakteur:
Markus Sievers

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