Sleepytime Gorilla Museum - New York

20.08.2007 | 13:04

17.08.2007, Highline Ballroom

Eine Parade zieht durch das Publikum, welches schlagartig verstummt. Trommeln, einige merkwürdige Instrumente, eine Posaune und Chor-Gesang erklingen, während SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM sich den Weg durch die Menge bahnen und schließlich die Bühne betreten. Musikalisch gesehen erhielt die Artrock-Band aus Kalifornien von mir bisher bestenfalls das Prädikat "anstrengend", zumindest was das Debüt "Grand Opening And Closing" betrifft. Auf dem neuen Album "In Glorious Times" lassen sich hingegen vergleichsweise fast konventionelle Prog-Songs ausmachen, die auch ohne die vorherige Einnahme einer "Medizin, bestehend aus Joghurt mit Lachsgeschmack, Moltofill, Lebertran und 'Cillit Bang'" (vielen Dank an Kollege Oliver für das großartige Zitat ) genießbar sind. Doch vor allem live soll das "globale künstlerische Konzept" volles Geschütz auffahren, und das kann ich mir heute unmöglich entgehen lassen.

Auch die Support-Acts bewegen sich stilistisch jenseits der Normalität. Bei meinem Eintreffen im Highline Ballroom, einem mittelgroßen und zum Glück weitgehend unbestuhlten Club im so genannten West Village von Manhattan, stehen MADE OUT OF BABIES schon seit ca. zehn Minuten auf der Bühne. Und nachdem man sich erst mal an den viel zu lauten Gesang von Front-Sirene Julie XMas gewöhnt hat, macht der Mix aus MADDER MORTEM, BJÖRK und einem Schuss depressiven Deathcores der Marke DISBELIEF richtig Laune. Ich kann mich nicht so ganz entscheiden, ob der im "Kleinen Schwarzen" sehr hübsch anzuschauende Weihnachts-Engel einfach nur einen absoluten Sockenschuss hat oder eine der begnadetsten Sängerinnen ist, die ich seit langem gesehen habe. Ihr Organ bewegt sich zwischen kräftig tief und quiekend hoch, sie schreit, sie flüstert, sie windet sich auf dem Boden, überquert die Bühne wie ein Tiger im Käfig, wirkt mal wie in Trance, mal wie von der Tarantel gestochen. Welche Drogen auch immer sie vor dem Gig genommen hat, sie ist auf ihre überdrehte Art einfach hinreißend, und ich bin hinterher enttäuscht, dass ich am Merchandising-Stand keine CD der New Yorker Formation abgreifen kann.

Auch TUB RING haben zunächst ihre Überraschungs-Momente, lassen allerdings im Laufe des 45-minütigen Auftritts ein wenig nach. Beim ersten Song haben SYSTEM OF A DOWN noch ganz klar Pate gestanden, auch wenn der Wechselgesang zwischen Kevin Gibson und Keyboarder Rob Kleiner nicht ganz so gegensätzlich ist. Da werden Reggae-, Folk-, Hardcore- und Pop-Elemente lustig unter die All-Styles-Of-Rock-Suppe gemixt, und wenn der Tastenmann sein Instrument dann noch mit Händen, Füßen oder schlichtweg größtmöglichem Ganzkörpereinsatz malträtiert, ist das Quintett aus Chicago hervorragend. Doch zuweilen geht es deutlich zahmer zu, was immer noch nett anzuhören, aber eben weniger spannend ist. Trotzdem zaubern mir TUB RING immer wieder das eine oder andere Grinsen ins Gesicht und sind insgesamt ein würdiger zweiter Support-Act für das, was noch bevorsteht.

Wie gesagt, es beginnt mit einer Parade ... Mein amerikanischer Begleiter ist völlig von den Socken, so was habe er noch nie zuvor gesehen. Ich muss hingegen ein wenig an die eine oder andere deutsche Mittelalter-Kapelle denken, ersetzt man den Dudelsack durch eine Posaune. Aber schön ist dieser Einstand allemal, und die dazugehörigen Gestalten haben mit ihren abenteuerlichen Frisuren, Bärten und Kostümen ohnehin etwas von Spielleuten. 'The Companions', der erste Song der aktuellen SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM-Scheibe "In Glorious Times", bildet den eigentlichen Opener, was mich überhaupt nicht überrascht. Das an PAIN OF SALVATION erinnernde Stück ist emotional, fesselnd. Genau wie alles, was danach kommt. Musikalische Vergleiche anzustellen hieße, das schier Unbeschreibliche in Worte zu fassen. Man vergisst Zeit und Raum, lässt sich gefangen nehmen von den unglaublichen Klangkollagen, wundervollen Gesängen, mystischen Melodien und wuchtigen Wutausbrüchen.

Das Quintett aus Oakland funktioniert als Kollektiv, jeder übernimmt einen gleich großen Teil der Arbeit. Sängerin Carla Kihlstedt, deren Organ auf "Grand Opening And Closing" meist ungenießbar war, begeistert durch sirenenhafte Töne, die einer BJÖRK alle Ehre machen würden. Nebenbei spielt sie Geige - und zwar so zauberhaft, dass alle Frau Schmidts der Mittelalter-Szene glatt einpacken können - oder trommelt auf irgendeinem Instrument aus dem bandeigenen Baukasten, dessen Zusammensetzung ich aus der Ferne nur erahnen kann. Gitarrist und Sänger Nils Frykdahl - der mit dem Gildenlöw'schen Timbre - erzählt zwischendurch Geschichten, die einer Spoken-Words-Performance würdig sind. Nichts scheint hier dem Zufall überlassen zu sein, alles ist Teil einer theatralischen, aber nie überkandidelten Show, die von zwei puppenhaften Tänzerinnen begleitet wird. Die Damen, deren Frisuren an Robert Smiths (THE CURE) Zu-tief-in-die-Steckdose-gegriffen-Mähne, nur in blond und mit pinkfarbenen Bändern abenteuerlich drapiert, erinnern, springen mal wie Gummibälle auf und ab, mal zelebrieren sie eine Art Pantomime, mal lassen sie Erinnerungen an alte Varieté-Zeiten wachwerden. Doch auch die anderen drei Protagonisten erheben ihre Stimmen, übernehmen mal die Lead-Vocals, mal den Background-Gesang, mal das gesprochene Wort, und spielen dazu ihre Instrumente zwischen "normal" und "was zum Geier ist das schon wieder?".

Es scheint, als ob SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM seit ihrem Debüt gelernt haben, ihre immer noch vorhandenen, mal merkwürdig-schrägen, mal positiv überraschenden Elemente stimmig in großartige Songs einzuarbeiten und dies auf der Bühne prächtig umzusetzen. Der Sound ist so gut, dass ich mich fast frage, ob vielleicht doch nicht alles live ist, was gerade meine Ohren umschmeichelt. Die Lichteffekte umrahmen das akustische und optische Geschehen zudem stimmungsvoll. Und wäre der Rausschmeißer nach knapp zwei Stunden Spielzeit nicht ausgerechnet 'Sleep Is Wrong' vom Debüt, ich hätte glatt vergessen, wie sehr mir diese Platte damals auf den Nerv ging. Aber nach diesem wirklich grandiosen Konzert wird so ein bisschen "rumms" und "schepper" gerne verziehen.

Redakteur:
Elke Huber

Login

Neu registrieren