Sonata Arctica - London

04.04.2011 | 08:06

25.03.2011, O2 Academy Islington

Sonata Arctica lassen Herzen bluten!

Da flattern doch die Herzkammern bereits Stunden vor Konzertbeginn schon vor Aufregung. Denn seien wir ehrlich, wenn man an die Kollegen aus Finnland - SONATA ARCTICA - denkt, weiß doch sofort ein Jeder Bescheid und packt ein Taschentuch mehr ins Handtäschchen ein. Nun ja, vielleicht bleiben die Äuglein in London doch heute trocken, wenn man sich das Publikum so anschaut. Vom Balkon aus erblickt man nur hüpfende Jungspunde mit bunten Haaren und geringelten Oberteilen. Wo sind die Lotentonies? Wo sind die Bierbäuche? Wo sind die grunzenden und übelriechenden Metaller? In London jedenfalls nicht.

Wie schon bei der vorherigen Tour startet Tony nach dem Intro mit dem Opener 'Flag in the Ground' seine Turnübungen - und alle nehmen daran teil. So ein Gehüpfe und fröhliches Gespringe hab ich bei einer Band mit so melancholischen Texten noch nicht erlebt. Eine bizarre Stimmung fängt an, sich über die heiligen Hallen zu erheben. Während Tony unschuldig auf dem Boden sitzt und die ersten Takte zum theatralischen 'Replica' anstimmt, rastet das Junggemüse aus. Jugendliche drehen sich knutschend im Kreis, während die hartgesottenen Gefühlskrüppel ihre Lederjacken zärtlich aneinander reiben - und wenn man sich etwas umschaut, findet man doch einige britische Exemplare der letztgenannten Kategorie. Nach dem rührenden 'As if the World Wasn't Ending' erzählt der traurige Spaßvogel Tony plötzlich von seinem allerersten fahrenden Untersatz, ein Corolla, mit dem er eines Tages fast das Zeitliche gesegnet hätte. Die Überleitung zu 'Paid in Full' (ich bin mir sicher, das Knacken einiger Herzen gehört zu haben) kann ich mir nur so erklären, dass der Sänger der finnischen Truppe nach dem Unfall etwas sauer zu sein schien.

Auf das folgende Unterwäsche-Gelaber seinerseits bricht plötzlich schallender Jubel aus. Was ist jetzt schon wieder mit dem englischen Volk los? Achso, 'Victoria's Secret' wird gerade eingeleitet, während Tony sich freut, dass er bei dem Unfall glücklicherweise ein Höschen trug und leicht vulgäre Pärchen sich gegenseitig an diesen nun herumgrabbeln. Davon zusehends ganz verstört hat Tony plötzlich seine Identität verloren und rappt und jodelt sich kurzerhand einen auf die Palme. Seine Erklärung: "I have a highly developed emotional intelligence" (Oder sollte es nicht eher "slightly" heißen?). Wurst, das Publikum feiert, Tony grinst wie ein bübischer Schelm, das Bier fließt in Pints und aus den Boxen donnert das wuchtige und seelenzerreißende 'Fullmoon'. Herzschmerz zum Sonderpreis, nach dem Motto der englischen Supermarktketten "buy one get two". Großartig!

Nanu, was ist das denn? Zum ersten Mal wird nach dem regulären Set nicht getrampelt? Sind denn heute nur Australier im O2 Islington? Doch glücklicherweise war dies nur die Ruhe vor dem Sturm und sofort folgt das erwartete Marschkonzert alias Zugabe-Tritte! Sich orientierend an der letzten Setlist ertönt als erste Zugabe 'Caleb'. Ein Lichtertunnel tut sich auf. Die Jungs auf der Bühne verschwinden plötzlich in einem dissoziativen Meer aus Lichtkegeln, visuellen Wahrnehmungsstörungen und akustischen Orgasmen, während sich einige Fans die Spuren vom Herzensblut von den Schuhen wischen, welches durch die Lokalität fließt. Inmitten dieses emotionalen Massakers animiert Tony wieder zu Aerobic Übungen - völlig unangebracht oder bewusst aus Schutz vor einem psychischen Kollaps? Darüber lässt sich wohl nur spekulieren. Mit animalischer Kraft und bodenloser Leidenschaft im Stimmorgan wird das nur noch zaghaft schlagende Lebenselixier aus dem Leib gerissen und in Ventilatoren zirkuliert, bis London in ein einziges Blutbad taucht.

Wem am Ende dieses Auftritts immer noch nicht nach Weinen zumute ist, der hat die Botschaft dieses Konzerts nicht verstanden.

Intro 
(Everything Fades To Gray)
Flag In The Ground 

The Last Amazing Grays 

Juliet 

Replica 

Blank File 

As If The World Wasn't Ending 

Paid in Full 

Victoria's Secret 

(solo) 

The Misery 

FullMoon

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In Black and White
Caleb 

Don't Say A Word 

Vodka (Hava Nagila) 

Outro

Redakteur:
Nadine Ahlig

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