Sonata Arctica - Stuttgart

09.12.2007 | 18:02

08.11.2007, Longhorn / LKA

Als langsam aber sicher alternder Metaller mit einem zwar vielseitigen, aber dennoch auf Originalität - und gewissermaßen auch Tradition - fixierten Musikgeschmack plagt den Rezensenten ein gehöriges Maß an Skepsis, als es heißt, dass er der Firma Abgesandter bei diesem Großereignis der am Zeitgeist orientierten metallischen Unterhaltung sei. Zu sehr sind ihm die Protagonisten als Chartstürmer, familienkompatible Entertainer und, ja, Schunkelmetaller im Gedächtnis verankert. Da jedoch zwei erheblich jüngere Kameraden sich begeistert bereit erklären, den Schreiberknecht gen Landeshauptstadt zu begleiten, gibt dieser sich einen Ruck, lässt sich fast ein wenig von der Euphorie anstecken und pilgert mit gemischtem Gefühlsbild los, um arktische Sonaten auf ihrem epischen Ritt durch das Firmament zu beobachten.

Da jedoch der Weg weit, der Verkehr um Stuttgart dicht und das LKA überpünktlich beim Startschuss zu sein pflegen, vermag die kleine Pilgerschar von RIDE THE SKY um den ehemaligen Trommelmeister von wegweisenden Truppen wie HELLOWEEN und HOLY MOSES nur noch kurz am Rande etwas zu erheischen. Es ist definitiv ein Ärgernis in Sachen LKA, dass trotz auf 20:00 Uhr terminierten Beginns zu diesem Zeitpunkt die erste Band oftmals schon gegessen ist. Dem Vernehmen nach seien RIDE THE SKY zwar ganz gut, jedoch nicht wirklich mitreißend gewesen, was in etwa dem entspricht, was der geneigte Hörer nach dem durchwachsenen Debüt erwarten durfte. Handwerklich gut umgesetzter, aber ansonsten reichlich unspektakulärer Metal zwischen Tradition und Moderne, von dem kaum etwas hängen bleibt. Näheres möge man bei denen erfahren, welche das Glück hatten, den Einlass rechtzeitig hinter sich gebracht zu haben.

Die sodann folgenden Niederländer von EPICA ernten hernach schon etliches mehr an Publikumszuspruch, was sicher nicht zuletzt auch daran liegen mag, dass manch männlicher Gast der oftmals wild headbangenden Frontdame Simone gewisse optische Reize attestieren dürfte. Dies möchte ich nicht kommentieren, sondern einfach mal so stehen lassen. Musikalisch begegnen wir einer gesunden aber dafür auch kaum originellen Mischung aus Elementen dezenter Epik, gepflegter Gotik und zahnloser Aggression. Zu sehr erinnern die Dame und die Herren aus unserem flachen Nachbarstaat an diverse Formationen ihrer eigenen Landsleute, deren Namen hinlänglich bekannt und gefürchtet sind. Nein, ich will die Band nicht als Plagiat hinstellen. Das ist sie nicht. Immerhin hat Bösewicht Mark an der Gitarre einiges garstiges Gebell beizusteuern, das wenigstens ansatzweise in der Lage ist, Großmütterchen am Kaffeetisch zu erschrecken. Doch das Genre an sich ist derart übersättigt und stilistisch limitiert, dass die Schmerzgrenze langsam aber sicher erreicht wird. Spätestens seit es "Female Fronted Metal"-Sampler gibt, steht die Stilrichtung am Punkt ohne Wiederkehr. Doch stopp! Bevor hier alles zu negativ wird, nur weil der kleine, bedeutungslose Wicht an der Tastatur nichts mit dem Geschwurbel anfangen kann, sei deutlich gesagt, dass EPICA beim Metal-Mainstream-orientierten Publikum wirklich ausgezeichnet ankommt. Weiß der Herr warum, doch es scheint, dass das Kitsch-Faible in metallischen Kreisen größer ist als je zuvor, und dass verliebte Paare und Ich-wäre-gerne-Verliebte sich an der Die-Schöne-und-das-Biest-Romantik höchst fürnehm ergötzen. Nun, engagiert und fähig sind die Musiker, und sie kommen auch sympathisch rüber, weshalb ich ihnen den Erfolg gerne gönne. Meine musikalische Sprache sprechen sie dennoch nicht, weshalb ich wenig böse bin, dass die stürmisch geforderte Zugabe nicht mehr gegeben wird.

Die unterhaltsamen Finnen von SONATA ARCTICA liegen mir da schon eher. Immerhin steckt da ein bisschen klassischer Melodic-Speed-Kürbisgeist mit drin. Auch wenn es die Jungs von den tausend Seen - ebenfalls ganz im Sinne des Zeitgeistes und der heimatlichen Tradition - blendend verstehen, das knackige Riff als solches in den Keyboard-Wattebausch zu packen, auf dass sich keiner an etwaigen Ecken und Kanten stoßen möge. Dabei bringt es auch nicht allzu viel, dass sich Henrik Klingenberg das Keyboard gelegentlich mal auf lässige Art und Weise umzuschnallen pflegt. Sei's drum, trotz des erklecklichen Schunkelfaktors fühlt sich der Rezensent heute halbwegs wohl im wabernden neoklassisch angehauchten und vorweihnachtlich sanftmütigen Tasten- und Saitenspiel. Woran liegt das? Nun, in erster Linie an der gut gelaunten, professionell aufgezogenen und dennoch ehrlich und sympathisch wirkenden Darbietung der Band, die es von der ersten bis zur letzten Sekunde hervorragend versteht, das Publikum mitzureißen. Tony Kakko hat sich zu einem tollen Frontmann gemausert, der weiß, wie er das Publikum an der Hand nehmen und durch einen gelungenen Abend führen kann. Seien es lockere Bemerkungen, die Vorstellung der Bandmitglieder, insbesondere des Gitarren-Neulings Elias Viljanen, oder Unterhaltung zum Mitmachen: So teilt der Frontmann zu Beginn des Zugabenblocks das Publikum in drei Teile, welche abwechselnd Bassdrum, Snare und Hi-Hat lautmalerisch imitieren dürfen, um sodann in eine a cappella Coverversion von QUEENs 'We Will Rock You' einzusteigen. Definitiv ein origineller Gag. Dazu passt auch die Setlist, selbst wenn es SONATA ARCTICA heute auch schon nicht mehr gelingt, sämtliche Fan-Favoriten an einem Abend unterzubringen. Dennoch ist die Mischung aus neuen Stücken vom aktuellen Langspieler "Unia" und Klassikern wie 'The Cage', 'Victoria's Secret', 'Gravenimage' oder natürlich 'FullMoon' so ausgewogen und gut abgestimmt, dass die Fans am Ende vollauf zufrieden sind und gerne noch mehr Zugaben gehört hätten. Auch dem Skeptiker hat es echt gut gefallen, doch der kann nach der auf den Namen eines russischen Getränks hörenden Abschiedsverballhornung eines jüdischen Volksliedes auch ganz gut damit leben, dass es nun an die Heimreise geht.

Nach alledem darf ich insbesondere SONATA ARCTICA attestieren, dass die Finnen zu einer wirklich tollen Liveband geworden sind. Sie wissen genau, was ihre Fans hören wollen, und zelebrieren ihre Gigs auf eindrucksvolle Weise. Auch die Holländer von EPICA geben sich keine Blöße, wenn auch noch auf deutlich weniger zwingendem Niveau als der Headliner. Dennoch hat mir der Abend auch eindringlich vor Augen geführt, dass die Musik, welche der Mainstream heute gemeinhin als Metal kauft und verkauft, doch relativ wenig mit meinem persönlichen metallischen Weltbild zu tun hat, und dass ich sehr froh bin, dass es den Metal abseits der großen Hallen und der Chartnotierungen gibt. Denn dort schlägt das Herz der Szene. Finde ich zumindest.

Bleibt zum Abschluss nur die Frage, warum das dankenswerterweise von unserer hoch geschätzten Landesregierung bereits eingeführte Rauchverbot anscheinend Ausnahmeregelungen für anwesende Label-Funktionäre zu enthalten scheint. Missfällt mir irgendwie.


Setlist SONATA ARCTICA (ohne Gewähr):
In Black And White
Paid In Full
Victoria's Secret
Broken
8th Commandment
Tallulah
FullMoon
Caleb
Black Sheep
It Won't Fade
Gravenimage
San Sebastian
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Mitmachspielchen: We Will Rock You (QUEEN)
My Land
Don't Say A Word
The Cage
Vodka

Redakteur:
Rüdiger Stehle

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