Spock's Beard/Enchant - Berlin
16.10.2003 | 12:0512.10.2003, Columbia Fritz
Obwohl SPOCK'S BEARD und ENCHANT zu meinen absoluten Favoriten im Bereich des Prog Rock gehören, hatte ich bei der Verkündung dieses Packages nicht sofort 'Prog-Konzert des Jahres' geschrieen. ENCHANT hatte ich zuletzt vor etwa fünf Jahren im Vorprogramm von THRESHOLD gesehen, wo sie mich nicht sonderlich überzeugen konnten. Tja, und SPOCK'S BEARD ohne Neal Morse auf der Bühne war für mich vor diesem Abend eigentlich auch völlig unvorstellbar. Eine Mischung aus Spannung und Skepsis war an diesem Abend im gut gefüllten Columbia Fritz also angesagt.
CALIFORNIA GUITAR TRIO
Den Anfang machten aber das CALIFORNIA GUITAR TRIO. Mit drei akustischen Gitarren bewaffnet, stellten sich Bert Lams, Hideyo Moriya und Paul Richards auf die Bühne und demonstrierten in 30 Minuten, was man alles auf dem Griffbrett anstellen kann. Dass bei einer solchen Band Dinge wie Stageacting und Bühnenoptik mal überhaupt keine Rolle spielen, dürfte wohl jedem klar sein. Den Typen schaute man auch besser auf die Finger als ins Gesicht (vor allem wegen der VoKuHiLa von Hideyo Moriya). Und so bekamen die mal atmosphärischen, mal frickeligen (so eine Art WATCHTOWER auf Akustikgitarre), aber immer stimmigen Nummern dann auch schon mehr als den üblichen Höflichkeitsapplaus und so mancher Gitarrero im Publikum dürfte aus dem Staunen nicht mehr raus gekommen sein. Kollege Lasse wollte seine Gitarre zumindest erst wegschmeißen, um nach dem Konzert zuzugeben, dass er den Dreien noch zwei Stunden hätte zuhören können. Definitiv ein gelungener Auftakt.
ENCHANT
Die Mannen um Doug A. Ott machten dann von der ersten Sekunde an wirklich alles richtig. Mit 'The Thirst' vom legendären Debüt "A Blueprint Of The World" legte man einen fulminanten Start hin und hatte die Meute vor der Bühne mit dem ersten Ton auf seiner Seite. Das lag aber nicht nur an der Klasse des Songs, sondern auch daran, dass – ganz im Gegensatz zu früher – alle auf der Bühne wirklich Gas gaben. Vor allem Sänger Ted bewegte sich unentwegt und sang dabei wie ein junger Gott. Und dass die restlichen Bandmitglieder ebenfalls Virtuosen an ihren Instrumenten sind, wurde spätestens beim zweiten Song 'Sinking Sand' klar, wo Doug mit wundervollen Soli bestach und auch Bassist Ed Platt glänzen durfte. Überhaupt stand dem Quintett der Spaß auf allen vorhandenen Backen geschrieben. Klar, dass es da nicht lange dauerte – um genau zu sein: zwei Takte! – bis der Funke auf das Publikum übersprang. Das größte Plus war allerdings die perfekt zusammengesetzte Setlist. Statt sich auf die letzten beiden Alben zu konzentrieren, gab es einen Querschnitt aus der (fast) kompletten Diskographie der Band. Bis auf "Juggling 9 Or Dropping 10" wurden alle Alben der Historie bedient. Und da ENCHANT noch keine wirklich schwache Alben, geschweige denn Songs, geschrieben haben, war auch jeder Song eine echte Perle. Und so verwunderte es nicht, dass das Columbia Fritz nach dem letzten Song 'Comatose' komplett aus dem Häuschen war und begeistert nach einer Zugabe verlangte. Und ENCHANT ließen sich nicht lange bitten und legten mit 'Oasis' vom Debüt noch einen echten Klassiker nach. Allerallerspätestens als Ted Leonard – der die Frauen nicht nur wegen seiner Stimme verzückt hatte – dabei ins Publikum stieg und von den ersten Reihen aus sang, war dann wirklich jeder davon überzeugt einem denkwürdigen ENCHANT-Gig gesehen zu haben. Nicht wenige waren sich sogar sicher, dass SPOCK'S BEARD diesen Auftritt nicht mehr toppen könnten. Ja, selbst ich, als überzeugter Live-Fan der Band, war nicht mehr 100% sicher.
SPOCK'S BEARD
Schon die Umbaupause zeigte erstaunliches: Das zweite aufgebaute Schlagzeug wurde gar nicht abgebaut. Damit wurde klar, dass Nick mal vor und mal hinter dem Drumkit agieren würde und sein Ersatzmann Jimmy den heiligen Stuhl nicht betreten durfte. Als dann endlich das Licht erlosch und das Intro begann, war die Stimmung gut, aber auch gespannt. Erst einmal war alles beim Alten: Ryo, Al und Dave sahen wie immer zum schießen aus. Doch merkte man auch, dass die verbliebenen 80% SPOCK'S BEARD allen beweisen wollten, dass es auch Neal Morse geht. Entsprechend überraschend begannen sie ihren Set mit dem 20-minütigen "Feel Euphoria"-Opus 'A Guy Named Sid'. Das Hauptaugenmerk galt dabei natürlich Nick und wie er seine Rolle als Frontmann ausfüllen würde. Nun habe ich schon bei vergangenen Konzertreviews angemerkt, dass er auch ein guter Frontmann wäre und dass bewies er dann auch vom ersten Ton an. Vor allem in den tiefen Lagen machte er eine richtig gute Figur und war dazu auch noch wieselflink auf der Bühne unterwegs. Die erste echte Feuertaufe in Form des a-capella-Satzgesangs in 'Sid Boy's Choir' war dann zwar gut, aber nicht vollständig überzeugend. Ganz klar, dass war der Augenblick, wo Neal als Stimme gefehlt hat. Drummer Jimmy machte seinen Part zwar ordentlich, doch da Al erkältet (laut Nick war er 'Sick as hell') war, klangen seine Vocals verständlicherweise ziemlich dünn. Doch letztlich war das völlig egal, denn auf der Bühne regierte der Spaß. Vor allem Ryo kasperte die ganze Zeit rum, fragte das Publikum nach Kondomen und hielt sich eine Digicam in die Hose. Der Typ ist immer noch Entertainment pur. Dem stand ausgerechnet Jimmy in kaum etwas nach. Mal abgesehen davon, dass er die sicher nicht leichten Drumparts mit beängstigender Präzision spielte, poste er dabei auch noch wie ein Wilder, sang gelungene Backingvocals und hampelte grinsend wie ein Honigkuchenpferd als Luftgitarrist vorne rum, wenn er gerade mal nix zu tun hatte. Klasse!
Und mit dem zweiten Song 'Thoughts' wurden dann wirklich alle Zweifler eines besseren belehrt. Ja, es geht auch ohne Neal. Und zwar richtig gut. Mit diesem Wissen im Rücken, konnte man dann auch ganz getrost ausgiebig das neue Album vorstellen. Die zauberhafte Ballade 'Shining Star' wurde von Nick superb wiedergegeben und sowohl 'East Of Eden, West Of Memphis' als auch 'The Bottom Line' überzeugten vor allem durch das Drum-Duo Jimmy/Nick, die gerne mal zusammen spielten.
Weil man bekanntlich zu "Snow" gar nicht touren konnte, nahmen die Fünf auch gleich die Gelegenheit war auch dieses Album ausreichend vorzustellen. Ein etwa 35-minütiges Medley fand seinen Höhepunkt in einer Jamsession, die in einem faszinierenden Drum-Duett/Duell endete. Mal spielten Nick und Jimmy gegen, dann wieder miteinander. Die Halle tobte. Logisch, oder?
Nach 90 Minuten war dann erst mal Schluss. Doch natürlich mussten die Jungs noch mal zurück auf die Bühne. Eine exzellente Version von 'The Doorway' und das Debüthäppchen 'Go The Way You Go' bildeten vor allem für die Altfans einen perfekten Abschluss. Klasse.
Nach knapp zwei Stunden war dann endgültig Schicht im Schacht und SPOCK'S BEARD haben bewiesen, dass der Bart noch lange nicht ab ist. Klar, mit den Gigs mit Neal konnte man das nicht wirklich vergleichen. Was aber auffällig war, ist die Tatsache, dass vor allem Nick und Ryo viel gelöster wirkten und noch mehr Spaß als bisher an den Shows hatte. Das Einzige, was mir neben dem Neal'schen Charisma wirklich fehlte, war das kultige Ryo-Solo. Aber ich will ja nicht meckern.
Am Ende dieses langen Abends war wohl nicht nur ich sicher, das bisher beste Prog-Konzert des Jahres gesehen zu haben. Absolute Spitzenklasse!
Setlist ENCHANT
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The Thirst
Sinking Sand
My Gavel Hand
Follow The Sun
Under The Sun
Under Fire
Comatose
Oasis
Setlist SPOCK'S BEARD
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A Guy Named Sid
Thoughts
Shining Star
East Of Eden, West Of Memphis
The Bottom Line
Snow-Medley
- Overture
- I'm The Guy
- Carrie
- Freak Boy
- Devil's Got My Throat
- Jamsession
- Drum Duett/Duell
- Devil's Got My Throat (Reprise)
The Doorway
Go The Way You Go
- Redakteur:
- Peter Kubaschk