System Of A Down (Listening Session) - Berlin

12.11.2005 | 20:39

07.11.2005, Magnet Club

SYSTEM OF A DOWN haben Angst. Oder ihre Plattenfirma. Oder beide. Zur Vorstellung ihres neuen Albums "Hypnotize" im Berliner Magnet-Club müssen die Fans, die eine Karte für das Ereignis gewonnen haben, ihre Handys am Einlass abgeben - nicht schon vor der Veröffentlichung des Werks sollen Ausschnitte daraus ins Internet gelangen. Ist das Mobiltelefon abgegeben, geht der Abend stressfrei weiter - mit Stücken der alten Scheiben, wohl des Vergleichs wegen. Die Fans sitzen in dem runden Club auf den wenigen Stufen, die im Kreis auf die Tanzfläche führen, wippen ihre Köpfe im Klang der schon bekannten Lieder von "Mezmerize". Eine Videoleinwand sorgt für die passende Optik, dort laufen die Videos von SYSTEM OF A DOWN, jene Filmchen zwischen wilder Konzertatmosphäre und plakativer Amerika-George W. Bush-Kritik. Doch die rund 200 Gäste interessieren sich kaum für die alten Sachen, ihre Gesichtern zeigen gespanntes Warten auf die neue Scheibe. Endlich kommt der Moderator des Abends und verkündet, dass es losgeht - und Bassist Shavo und Schlagzeuger John danach noch zu den Fans kommen. Die Play-Taste wird gedrückt.
[Henri Kramer]

"Mezmerize", das zur Einstimmung auf die neuen Songs ja in voller Länge davor im Hintergrund läuft, war bei seinem Erscheinen eine nahezu perfekte Mischung aus dem typischen SYSTEM OF A DOWN-Irrsinn, angereichert mit sehr viel mehr einschmeichelnden Melodien und gegossen in eine etwas rundere, aber dennoch sehr flexible Form. Setzt das gleichzeitig eingespielte "Hypnotize" diese Linie konsequent fort? Hier die spontanen Eindrücke zu den einzelnen Songs:

1. Attack
Ein typischer SOAD-Song mit aggressiven Doublebass-Parts und den hymnischen Gesangspassagen von Daron, hin und wieder etwas vertrackt, aber insgesamt recht straight - gut, aber wenig überraschend.

2. Dreaming
Wieder kommt die Doublebass zum Einsatz. Die zunächst etwas wirre Songstruktur mit galoppierendem Rhythmus entwickelt sich jedoch langfristig zu einer Hymne mit Wunderkerzen-Flair, mehrstimmigem klaren Gesang und "Lalala"-Part, so dass insgesamt ein ruhiger Gesamteindruck hängen bleibt.

3. Kill Rock'n'Roll
Eine Gute-Laune-Partynummer mit leichtem Punk-Einschlag, gemischt mit BEATLES-ähnlichem Singalong und Funk-Elementen.

4. Hypnotize
Eine echte Powerballade mit leicht südländischem Flair.

5. Stealing Society
"Yeah" und "alright" sind die ersten Worte. Zunächst wechselt ca. alle fünf Sekunden der Takt, später wird ein echter Punk'n'Roll-Song daraus. Bei dieser musikalisch gesehen recht niveaulosen Spaß-Nummer ist anzunehmen, dass der Text eine deutlich ernstere Richtung einschlägt.

6. Tentative
Die perfekte Stadion-Hymne! Pendelt zwischen Pathos, unterschwelligem Kitsch und Rock. Dramatische, fast chorale und melancholische Gesangsparts herrschen gegenüber den nur kurzen Wutausbrüchen deutlich vor.

7. U-Fig
Eine potentielle Abgeh-Nummer für die Clubs, zumindest zu Anfang. Pogo-Elemente mit kurzen Ausruh-Passagen dürften für Stimmung sorgen. Allerdings wird es später leicht süßlich-kitschig - fast hört man das Christkind mit dem Glöckchen läuten.

8. Holy Mountains
Eher ein typischer US-Rock- als ein SOAD-Song. Sehr sanfter Gesang, hymnische Elemente, nur kurze, rockige Passagen. So langsam dürfte eigentlich wieder mal ein Kracher kommen...

9. Vicinity of Obscenity
Und er kommt! Endlich wieder ein paar abgefahrene Effekte mit Serjs Geschrei, dazu ein paar sehr relaxte Bar-Musik-Elemente. Na also, geht doch!

10. She's Like Heroin
Ein schräger Rhythmus lässt hoffen, der Wahnsinn gibt der Melodie die Hand. Gegen Ende hin jedoch etwas unspektakulär.

11. Lonely Day
Noch ein trauriger Ami-Rocker mit hohem Balladen-Anteil und Schunkel-Faktor.

12. Soldier Side
Das Intro von "Mezmerize" als kompletter und letzter Song - quasi das Bindeglied zwischen beiden Alben. Das fast schon powermetallische Gitarrensolo verstärkt den erneuten Stadion-Rock-Charakter.

Fazit:
Lieferte "Mezmerize" den Soundtrack für eine ausgelassene Sommernacht, so dürfte "Hypnotize" eher das Weihnachtsfest musikalisch untermalen. Sehr viel kuscheliges "wir haben uns alle lieb"-Feeling mit nur kurzen Meinungsverschiedenheiten. Darons Gesangsrolle fällt noch größer aus, Serjs verrücktes Geschrei ist noch seltener auszumachen. Nach diesem ersten, nicht unbedingt finalen Eindruck tut "Hypnotize" weniger weh und ist daher massenkompatibler als alles bisher. Nehmt euch in die Arme, schunkelt und holt die Wunderkerzen raus. Tanzt auf den Tischen, aber nicht zu wild, sondern labt euch lieber an den süßen Melodien. Mehr hymnischer Stadion-Rock und weniger SYSTEM OF A DOWN. Schade eigentlich.
[Elke Huber]

Tja, warum so zahm? Vielleicht liegt es daran, dass das Material zur neuen CD parallel zu "Mezmerize" entstand - und "Hypnotize" als Folgewerk - wie der Name schon sagt - hypnotisieren soll. Komisch, aber keiner der Fans fragt danach, als sich die beiden SOAD-Musiker John und Shavo vor ihre zumeist jugendlichen Anhänger setzen. Die dicht gedrängte Schar will lieber wissen, wie die Backstage-Party nach dem Gewinn des MTV Music Awards war oder wie die Musiker das deutsche Bier so finden. Antwort: Beides natürlich "gut". Wichtigere Erkenntnisse sind, dass sich Shavo seinen langen Kinnbart schon seit zehn Jahren wachsen lässt. Außerdem erfahren die Fans, dass er sehr gerne auch mal einen richtigen Film drehen würde, aber dafür keine wirkliche Zeit hat - immerhin hat er aber schon ein paar Videos für SOAD aus dem Boden gestampft. Und wie gehen sie damit um, dass trotz aller Sicherheitsbestimmungen ihre Lieder wahrscheinlich trotzdem bald wieder im Netz landen? Shavo antwortet: "Wir machen extra schöne Booklets für die CDs, keine 08/15-Sachen. Wir hoffen, dass sich die Leute auch deswegen gern unsere Platten kaufen und nicht einfach herunterladen." Nach gut 20 Gesprächsminuten folgt für die Fans der längste Teil des Abends: Schlange stehen, warten, warten, warten - die beiden Musiker sitzen an einem Tisch und signieren alles, was sie vor ihre Finger bekommen - und werden dabei hundertfach geknippst. Und wenn ihr euch nun fragt, warum bei POWERMETAL.de keine Bilder dieser eigentlich recht spaßigen Aktion stehen - fragt den Arsch, der mir auf dem Nachhauseweg in der S-Bahn meine Kamera geklaut hat. Tod und Verderben für ihn. Und für die sich sehr locker gebenenden Musiker von SYSTEM OF A DOWN weiterhin viel Kreativität - ab einem gewissen Qualitätslevel lässt sich nämlich kaum noch eine Steigerung finden, "Hypnotize" scheint nach "Mezmerize" solch ein Fall zu werden, dass ein geiles Album gegenüber seinem noch geileren Vorgänger etwas wegbricht...
[Henri Kramer]

Redakteur:
Henri Kramer

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