TEAM SCHEISSE und H.I.T. - Hamburg
23.04.2025 | 15:1810.04.2025, Große Freiheit 36
NDW meets Deutsch Fun Punk. Cooler und energiegeladener Abriss in der "Freiheit".
Die Bremer Deutschpunk-Kombo TEAM SCHEISSE feiert derzeit "40 Jahre Drehorgel" und ihr neues Album gleichen Namens mit einer ausgedehnten Tournee durch die Republik. Diese läuft augenscheinlich so gut, dass man die Große Freiheit zu Hamburg am heutigen Tag gleich ein zweites Mal nacheinander beehrt. Auch am heutigen Abend schafft man es, die altehrwürdige Hütte nahe der "geilen Meile" Reeperbahn ein weiteres Mal restlos auszuverkaufen. Das sagt eigentlich schon viel aus über den derzeitigen Status der heiter-amüsanten Spaß-Kombo mit den verteufelt guten Texten. Vielleicht liegt es aber auch mit an der derzeitig etwas gedrückten und verunsicherten Stimmung im Lande sowie dem Erstarken von rechtspopulistischen und faschistischen Hohlkräften, dass Punk-Bands mit klarer und unmissverständlicher Kante derzeit wieder Hochkonjunktur haben. Mir und auch anderen um uns herum soll es mehr als recht sein.
Als Anheizer fungiert heute H.I.T., die wie der Hauptact auch bei Soulforce Records unter Vertrag stehen. Die drei Herren und die Dame vermischen fluffigen Punkrock mit ein wenig NDW-Feeling und einer Brise Indie Rock zu einer ganz eigenständigen Mélange, die sofort richtig gut durch die Gehörgänge zischt und verstehen es dabei ebenfalls ganz hervorragend, diese mit humorvollen und intelligenten Texten zu schmücken. Somit passt die Band ins Programm wie der berühmte Arsch auf Eimer. Das sehen auch die hier heute Anwesenden ähnlich, die Songs wie 'Polizei', 'Kiosk' oder 'Silver Surfer' dann auch entsprechend gut und frenetisch abfeiern. Interessante Beobachtung: Während sich beim alljährlichen Hamburger SLIME-Gig vor einigen Monaten auch verhältnismäßig viele ältere Semester noch eingefunden haben, so dürfte der Altersdurchschnitt hier heute mindestens knappe zehn Jahre darunter liegen. Der Punk-Nachwuchs lebt also! Sänger Tightill kann hier heute durchgehend mit süffisanten und witzigen Ansagen auftrumpfen und sendet mit einem Augenzwinkern überdies nützliche Ratschläge, unter anderem in Sachen Yoga und Geldvermehrung, während auch die sehr bewegungsfreudige (MIDI-)Keyboarderin Makrele (unter anderem auch bekannt als DJane bei den Hamburgern POWER SUFF GIRLS) das eine oder andere Mal sehr beherzt ins Mikro zu brüllen imstande ist.
Erinnert sich noch jemand an den Fremdschäm-Auftritt der jungen und ausländerfeindlichen Schnösel-Schickeria auf Sylt, die auf Mamas und Papas Kosten dort auf dicke Hose gemacht hat? Hier wird der dort vor laufenden Handykameras gesungene Schandtext kurzerhand einfach mal in die richtige Reihenfolge gebracht. Nach einer guten halben Stunde ist nach einer bockstarken Performance dann auch finito und ich denke ernsthaft darüber nach, mir hier zeitnah doch auch mal den aktuellen Tonträger der Band zuzulegen. Auch wenn sie aller Voraussicht nach nicht durch die Decke gehen werden wie die gleich folgende Kapelle, von H.I.T. werden wir auch in Zukunft noch das eine oder andere hören.
In der Umbaupause entscheiden wir uns kurzerhand, in der Raucher-Lounge einen schnellen Glimmstengel durchzuziehen. Keine gute Idee natürlich, denn auch anderen Anwesenden kommt, man mag es nicht für möglich halten, derselbe Gedanke zur selben Zeit. Ich erinnere kurz lange vergangene Momente in schlecht belüfteten Flughafen-Qualmkabinen und trete bereits nach zwei bis drei Zügen wieder den Rückzug an. Ist aber auch gut so, da wir uns nun einen etwas bequemeren Platz mit etwas mehr Bein- und Armfreiheit suchen möchten und im vorderen rechten Bereich tatsächlich auch gleich fündig werden.Das TEAM SCHEISSE-Bühnenbild ist bereits fertig dekoriert und orientiert sich grob an dem Cover der aktuellen Platte. Heißt: Die auf dem Plattencover die Gesichter verdeckenden Schwarz-Weiß-Smileys dekorieren hier heute in überlebensgroßen Papp-Konterfeis die Bühne. In rein musikalischer Hinsicht folgen nun zweiundzwanzig "kämpferische Lieder für jung und alt" von allen vier bisher erschienenen Longplayern, die es in sich haben und im weiteren Verlauf für einen lupenreinen Konzert-Abriss sorgen werden.
Bereits beim Opener 'Schmetterling' folgt die Meute der Band blind und kommt so gleich von null auf hundert auf die nötige Betriebstemperatur. Nach der Getränkepfand-Gedächtnishymne 'Rein ins Loch' verweist Basser Thomas Tegethoff auf das nicht nur heute, sondern bei allen Konzerten der Band anwesende "Awareness"-Team, welches neben einer hier erstaunlich lässigen und entspannten Security dafür sorgen soll, dass sich Männlein, Weiblein, alle dazwischen und außerhalb, hier maximalst wohlfühlen sollen. Chapeau!Es folgen weitere Kracher, von welchen sowohl "Klassiker" wie 'Karstadtdetektiv' und 'FA', sowie Songs neueren Kalibers wie 'Mittelfinger' und 'Lok' hier nach allen Regeln der Kunst abgefeiert werden. Es fliegen die halbleeren Bierbecher durch die Luft, Richtung Bühne und mitunter auch gleich direkt auf die Bretter, gelegentlich gleitet dabei ein verschwitzter Körper über die noch glitschigeren Hände der Punk-Jüngerinnen und -jünger gen Fotograben. Maximale Entspannung und Zerstreuung allerorten, warum kann das Leben bloß nicht immer so unbeschwert daherkommen?
Eine weitere Premiere für mich, der nun schon seit über dreißig Jahren Livekonzerte besucht: von der Band angekündigte Songs mit separatem only FLINTA*-Pit. FLINTA steht hier als Abkürzung für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen. Ok, why not? Tut ja schließlich niemandem weh, oder?A propos Geschlechterrollen. Ich wundere mich schon die ganze Zeit, warum an der Gitarre nicht wie gewohnt Mello Kanone über die Bühne stampft, sondern ein mir gänzlich unbekannter Dude. Der stets wie ein ganzes Buddhisten-Kloster in sich ruhende Sänger Timo Warkus löst hier schließlich auf: Irgendwas hat sich die etatmäßige Klampferin beim gestrigen Gig hier wohl eingefangen, so dass kurzerhand ein gewisser Henri für sie eingesprungen ist. "Der spielt sowieso viel besser Gitarre als Mello" merkt Basser Thomas noch kurz süffisant an. Überhaupt hat man zwischen den Songs mitunter das Gefühl, den Jungs hier beim chilligen Rumhängen im Proberaum beizuwohnen, wenn man mal all die Frotzeleien, die man hier so untereinander austauscht, berücksichtigt. Mitunter wird, wie nach 'Kaffee die Tage', auch so locker und unbefangen miteinander geplaudert, dass man zuweilen das Gefühl hat, dass die Band dort oben die knapp 1000 anwesenden Nasen unter sich einfach vergessen hat. Grundsympathisch. Es folgen weitere Granatennummern aus dem schier unerschöpflichen Song-Fundus, bevor mit 'Frank' der reguläre Teil des Abends beendet wird.
Die knapp eintausend adrenalindurchströmten Körper lassen sich aber natürlich nicht so einfach mir nichts dir nichts in die Nacht schicken, so dass mit der ersten Zugabe 'Verjubel all mein Cash' dem Mob gleich noch ein entsprechend hilfreicher Ratschlag für den weiteren Nachtverlauf mit auf den Weg gegeben wird. Da man sich dann untereinander nicht so einig ist, welchen Song man denn als nächstes spielen soll, gibt man mangels spontaner Ideen einfach noch ein zweites Mal den 'Karstadtdetektiv'. Dass die Stimmung gegenüber der ersten Fassung nachgelassen hat, kann ich überhaupt nicht behaupten. Ich habe selten im kühlen Norden hier ein solch tosendes und leidenschaftliches Publikum erleben dürfen. Irre. Da wir, ganz vorne stehend, nach dem Konzert nicht unbedingt mit der ganzen Masse im Schneckentempo die Venue verlassen möchten, entscheiden wir uns kurzerhand, bereits während den 'Raucherpausenvibes' stressfrei dem Geschehen den Rücken zu kehren. Ob die Band dort dann noch eine Polonaise durch die verschwitzte Menge gelaufen ist, entzieht sich unserer Kenntnis, aber getoppt werden konnte die Laune sicherlich auch hier nicht mehr.
Unterm Strich: Richtig, richtig geiler Konzert-Abriss. Punkt!
Setliste: Schmetterling; Rein ins Loch; Karstadtdetektiv; FA; Beige; Gucci; Mittelfinger; Altbauwohnung; Lok; Vorratskammer; Kaffee die Tage; Cop Killer von Body Count; Die Wirtschaft; Erwachsenencosplay; Cobratattoo; Erfurt; EDK; Panzerquartett; Frank; Zugaben: Verjubel all mein Cash; Karstadtdetektiv; Raucherpausenvibes
Text: Stephan Lenze, Fotocredit: Thomas Ertmer
- Redakteur:
- Stephan Lenze