THE BABOON SHOW, SPIDERS - Karlsruhe
13.10.2023 | 23:1101.10.2023, Substage
"Mehr geht nicht."
Zu dieser ebenso lapidaren, wie eigentlich nicht mehr steigerbaren, Aussage ließ sich mein Beifahrer, nennen wir ihn so, wie ihn jeder kennt, einfach "Kessel", zu Beginn unserer Rückfahrt nach Württemberg allen Ernstes hinreißen, nachdem wir die schwedische Punkrock-Formation THE BABOON SHOW beide zum ersten Mal livehaftig im Karlsruher Substage erlebt hatten. "Allen Ernstes" deshalb, weil er Bands in bester bierseliger Feierlaune normalerweise mit einem markerschütternden "Do gat no Oiniges!" anzufeuern pflegt.
Doch der Reihe nach. Nach einem kleinen Abendspaziergang durch die immer noch laue Abendluft des 1. Oktobers zu einem netten, qualitativ ordentlichen und vor allem geöffneten Dönerladen, sowie dem logischerweise folgenden Verdauungsspaziergang zurück zum Substage, betreten wir sehr gespannt die Konzertlocation, vor der schon etliche Konzertbesucher noch die letzten Frischluft-Atemzüge genießen, bevor sie die stickige Halle betreten.
Kessel und ich waren beide durch gehörige Vorschusslorbeeren auf die Band aufmerksam geworden: Er durch lobende Worte eines bekannten Print-Magazins und ich durch die enorme T-Shirt-Dichte mit THE BABOON SHOW-Motiven auf dem diesjährigen "Mission Ready"-Festival in Giebelstadt bei Würzburg. Schließlich gefiel uns sehr, was wir beim Streamingdienst unseres Vertrauens hörten, und beschlossen, zunächst getrennt voneinander, ein Konzert der Schweden zu besuchen. Daraus wurde schließlich der gemeinschaftliche Ausflug nach Karlsruhe. Bei zudem in den letzten Wochen erfolgter Recherche, stolperte ich dann mehrfach über das in eine Floskel gepackte "goldene Kritikerkrönchen 'Beste Liveband Schwedens' ", was meine Neugier zusätzlich noch steigerte. Ich schaute aus Zeitgründen und um noch ein Überraschungsmoment zu erleben jedoch keine Videos an.
Im Konzertsaal selbst ist es bereits wohlig warm, was uns sogleich zu einem Getränkekauf veranlasst. Die übliche Inspektion der von den Bands mitgebrachten Pretiosen (u. a. viel Vinyl und CDs; einige recht schicke, aber relativ teure Patches) stellt uns sehr zufrieden und regt die inneren Überlegungen an, für was und wieviel Geld man denn nach dem Konzert überhaupt ausgeben möchte.
Das Publikum ist sehr gemischt: Vom Teenager bis hin zu kampf- und konzerterprobten "Silberrücken" mit DEAD KENNEDYS-Shirt, über "Haste-mal-ne Mark"-Punker, DIE TOTEN HOSEN-Klientel und THE OFFSPRING-Shirt-Trägerinnen und Trägern ist jede erdenkliche Publikumsschicht unter den geschätzten ca. 800 bis 1200 Besuchern vertreten. Sogar einige Familien, mit teils in Hawaii-Hemden gewandeten Familienoberhäuptern sind zugegen, um den Abend vor dem Brückentag einmal für eine nicht ganz alltägliche Abendgestaltung zu nutzen, wie es scheint.
Ziemlich pünktlich, um etwa 20:00 Uhr, betreten dann die SPIDERS, ebenfalls aus Schweden, die Bühne. Von denen hatte ich noch nicht übermäßig viel wahrgenommen, Musik schon gar nicht. Google informiert uns noch rechtzeitig, dass die musikalischen Inspirationen Punkrock im Allgemeinen und DEAD MOON sind, die Band sich selbst dem Classic Rock zuordnet und bereits drei Alben aufgenommen hat. Die Medien hören bei der einst von GRAVEYARD-Schlagwerker Axel Sjöberg mitbegründeten Gruppe wohl Einflüsse von JEFFERSON AIRPLANE, MOTÖRHEAD, GIRLSCHOOL und MC5 heraus.
Ein karges, schwarzes Backdrop, mit in grünlichen 80er PC-3D-Lettern geschriebenem Bandlogo, schmückt die Bühne. Schließlich kommt die vierköpfige Mannschaft um das Ehepaar John und Ann-Sofie Hoyles auf die Bühne gestürmt, die Dame mit ALICE COOPER-Rasseln bewaffnet, und sogleich ins Mikro röhrend. Allerdings röhrt sie mir etwas zu leise, klar und unscheinbar. Ihre Stimme passt aber dennoch gut zum wohlklingenden, wenn auch mir nicht richtig ins Blut, beziehungsweise ins Gehör, gehenden Rock-Allerlei der anderen Musiker. Trotzdem kommt Ann-Sofie Hoyles auf der Bühne als Frontfrau, in ihrer engen Spandexhose mit lässig nebenher ab und an aufgeblasenem Kaugummi im Mund, äußerst stylish rüber und macht ihre Sache gut, auch wenn ihre Rotzigkeit mir etwas aufgesetzt und bemüht erscheint. Olle Griphammar am Bass und Ricard Harryson am Schlagzeug verstehen ihr Handwerk ebenfalls.
Allerdings wirkt die Band nicht wie ein Classic-Rock-Quartett auf mich, sondern vielmehr als Alternative-Rockband mit klassischen (Rock-) Elementen. Die Stimmung bleibt eher verhalten, auch wenn die Grenze vom Höflichkeitsapplaus hin zum begeisterten Beifall ab der Hälfte des etwa vierzigminütigen Gigs doch ein wenig überschritten wird. Kessel gefiel der Gig, mich konnte die Kapelle trotz sehr ordentlichem Auftritt nicht wirklich emotional aus der Reserve locken. Und DEAD MOON oder gar MOTÖRHEAD-Vibes konnte ich schon gar nicht ausmachen. Ab an die frische Luft!
Nachdem wir nach etwa einer Viertelstunde das Substage wieder betreten und uns zum nahezu selben Platz wie vor der Pause durchgekämpft haben, dauert es noch etwa 5 Minuten, bis das Licht erlischt. Inzwischen war vor der Bühne ein weißes Backdrop mit braun-orangenem Logo von THE BABOON SHOW gespannt worden, das nun fällt, während zeitgleich ein leicht pathetisches, aber auf mich eher langweilig wirkendes Intro ertönt.
Nun kommen nacheinander das Gründungsmitglied Niclas Svensson (Schlagzeug), Bassistin Frida Stahl, und der seit diesem Jahr ganz neue, aber ebenfalls wie sein Vorgänger Hakan Sörle schnurrbärtige Gitarrist Simon Dahlberg auf die Bühne. Sörle ist ebenfalls Mitglied bei MANDO DIAO und hat beschlossen sich nun ausschließlich auf jene Band zu konzentrieren. Als die drei vor einem schicken, den Bühnenhintergrund vollständig ausfüllenden Backdrop mit dem Cover des neuen Albums "God Bless You All", den Opener 'Made Up My Mind' desselben anspielen, wartet alles gespannt auf die Sängerin.
An dieser Stelle des Berichts darf ich nun endlich meine aufgestaute und nur schwer im Zaum zu haltende Begeisterung von der Kette lassen … (und wie in einigen meiner Berichte bereits durchschimmerte, ist meine Begeisterungsfähigkeit groß!)! Das im Folgenden beschriebene Konzert von THE BABOON SHOW, liebe Leser, müsst ihr euch wie weihnachtlich präsentierte Fernsehwerbung vorstellen, mit Glitzerfilter, glänzendem Funkeln und verklärendem Weichzeichner: Denn das, was die nun wie ein warmes Sommergewitter mit Sturmböen über das Publikum hereinbrechende Frontfrau Cecilia Boström und ihre dreiköpfige Mannschaft heute abbrennen werden, ist ganz, ganz große Rock-, von mir aus Punkrock-Live-Kunst!
Ganz im Ernst und meine oftmals ungenügend eingebremste Neigung zu Superlativen bewusst reflektierend: Was Cecilia Boström heute Abend leistet, ist die Essenz dessen, weshalb die meisten von uns leidenschaftliche, mitreißende, schweißtreibende und in Ekstase ausartende Konzerte lieben und jedes Mal aufs Neue hoffen, so etwas wieder zu erleben (was meist nicht passiert…).
Mit anderen Worten: Die drahtige, lockenköpfige Frau aus Schweden, die täglich joggt, in ihrer Freizeit Marathonläufe absolviert und aktive Feministin ist, spielt in der absoluten Oberliga der Frontfrauen und -männer im Rock-, Punkrock- und Metalbereich! Von ihren ersten Schritten auf die Bühne an ist sie ein Eyecatcher, gekleidet in einen durchsichtigen schwarzen Body mit kreuzweise sichtbar abgeklebten Brustwarzen, passender Gymnastik-Hose und schwarzen Pumps.
Wie auf den Studioaufnahmen rotzt Cecilia B. die Band stimmlich nach vorne, und bevor nach kurzer Zeit flächendeckend Pogo getanzt wird, scheinen Teile des Publikums Augenblicke lang zu erstarren, ungläubig bezweifelnd, was sie da erblicken und hören. 'The Shame' groovt mit Piano-Line und Boström tigert in unnachahmlicher Weise und genauso energiestrotzend, wie ihre Begleitmusik, die Bühnenkante entlang. Nebenbei wirft sie sich den anderen Musikern auf dem Bühnenboden entgegen, tanzt, rennt, rutscht, keift, tobt, steigt auf die Monitorboxen, post und springt, dass es eine lange nicht mehr gesehene Augenweide ist. Im Laufe des Abends verschwindet sie sogar einige Male urplötzlich. Wie ich auf Instagram-Fotos im Kanal der Band nach dem Konzert sehe, ist sie dann vor der Bühne im Publikum und singt teils von dort aus. Dieses Leistungssport-Spektakel wird das gesamte Konzert hindurch anhalten. Ich muss in der Nachbetrachtung mehrfach an SKIN von SKUNK ANANSIE denken, die mich in den 90ern völlig geflasht hatte. Cecilia hält dabei ständig Blickkontakt mit einzelnen Personen im Publikum. An dritter Stelle donnert dann 'Oddball' vom neuen Album fett groovend ins Auditorium, gefolgt vom etwas ruhigeren und sehr melodischen Titeltrack 'God Bless You All'.
'Me, Myself And I' röhrt krachig in aufgepimpter Neo-70er-Punkrock-Manier in die bereits gut angeschwitzte Meute vor der Bühne. Vor allem Cecilias einzigartige, krächzende und dennoch jeden Ton treffende Brüllstimme, zu der mir noch kein vergleichbares, gut klingendes weibliches Pendant eingefallen ist, beeindruckt quasi das gesamte Konzert durchgängig und lässt "Neukunden" wie mich, immer mal wieder mit offenem Mund fassungslos gucken. Hier passt allerhöchstens Wendy O'Williams ansatzweise als Vergleich, deren Stimme war jedoch viel tiefer und nicht so variabel. Cecilias unvergleichliches Organ ist live, wie auch aus der Tonkonserve, ein hochgradig süchtig machender Genuss! Eine flottere Nummer folgt noch mit 'Straight From The Heart', bevor Cecilia das sehr nachdenkliche 'The History' mit einer Ansage zur Bekämpfung von Armut in unserer Gesellschaft einleitet. Diesem folgt das ebenfalls für TBS-Verhältnisse ruhige 'Gold'. Danach schaltet THE BABOON SHOW 3 Gänge hoch und klatscht dem Publikum vier Klassiker am Stück um die Ohren: Das völlig genial überdrehte 'Boredom, Boredom Go Away' lässt auch Simon und Fridas Bewegungsradius anwachsen. Beide geben sich insgesamt ebenfalls recht sportlich, vor allem Frida lässt häufig ihre langen, rosaroten Haare kreisen und bangt amtlich in ihrer Ecke der Bühne. Simon muss teils sehr konzentriert auf sein durchaus filigranes Gitarrenspiel achten, ist jedoch meilenweit vom "Griffbrettglotzertum" entfernt.
Irgendwann springt Cecilia Kopf voraus aufs Publikum und zeigt mit ausgestrecktem Mikrofon die Richtung an, in die sie surfen will. Sie dreht eine Runde auf dem Publikum und lässt sich dann auf die linke Seite des Substage schieben, wo sie auf die Bar springt und dort zu einem Lied hin und her tänzelt und tigert. Das Publikum geht dabei natürlich völlig steil, mittlerweile ist jeder durchgeschwitzt, auch wer nur dasteht, wie zum Beispiel Kessel und ich. Es herrschen also tropische Temperaturen, als 'It's A Sin', 'Queen Of The Dagger' und das komplett irrwitzige 'We Fight In The Night In The Bushes' den erwähnten Klassikerpack vollmachen. Vor letzterem schnauft sogar Cecilia, die inzwischen zurück zur Bühne gesurft ist, vor dem Schlagzeug sitzend hörbar durch und meint, dass das folgende Lied jetzt doch auch schon 12 Jahre alt wäre…
'Hurray' ist eine weitere power-punkende Groovebombe, die dabei auch ziemlich an AC/DC denken lässt, diesmal vom "Radio Rebelde"–Album, gefolgt von einem weiteren Klassiker: 'Class War'. In diesem Teil des Konzerts kommt Ann-Sofie Hoyles nochmals auf die Bühne und unterstützt Celia gesanglich und mit ihren Rasseln. Eine Musikervorstellung erfolgt ebenfalls an etwa dieser Stelle des Gigs, die ich als sehr originell und ausführlich, warmherzig und charmant empfinde. Jeder Musiker wird mit einigen Sätzen von Cecilia gewürdigt und steht kurz im Mittelpunkt. Cecilia selbst wird von einer eingeblendeten Pilotenstimme vorgestellt.
Ein Melodic-Rocker namens 'Same Old Story' schließt sich an und überzeugt auch durch den pathetischen a cappella-Schluss, den alle vier Musiker gemeinsam singen, bevor das bekannteste Lied der BABOON SHOW das Publikum durchdrehen lässt: 'You Got A Problem Without Knowing It', das mit einem langsamen Akustik-Teil kurz eingeleitet wird. Wer nicht pogt oder grölt, schwitzt begeistert und freut sich über das Wahnsinns-Konzert. Im Mittelteil verharrt Niclas im Beat des Liedes. Nach einigen Takten steigt die Band dann in 'Run To The Hills' von IRON MAIDEN ein, und mir stehen fast Freudentränen in den Augen, auch wenn Cecilia die Melodie leider, absichtlich oder unabsichtlich in Moll singt, den Ton also nicht genau trifft. Das Publikum grölt sich dazu, wie man annehmen kann, nahezu ins Nirvana, bevor die Band ihren Hit beendet. 'No Afterglow', erneut vom vorletzten Album "Radio Rebelde", beschließt nun den Hauptteil des Konzerts und die Band geht zunächst von der Bühne.
Jesper Binzer (D-A-D) Lookalike Niclas Svensson, stets in eine Uniform gewandet, entert nach kurzer Zeit wieder sein Schlagzeug und steigt mit seinen beiden instrumentalen Mitstreitern in 'Tonight' ein. Cecilia kommt erneut etwas später und trägt nun ein golden glänzendes 70er Jahre Outfit, das mich wahlweise an ABBA-Klamotten oder an "Raumpatrouille Orion", "Star Trek" et cetera erinnert. Ihre Haare hat sie dabei wie Gene Simmons zusammengerafft. Das wunderschöne Lied lässt das Publikum verklärt weitertanzen. Der Monster-Groover 'Rolling' von der aktuellen Scheibe "God Bless You All" schließt sich an. Die herrliche, kaum zu toppende Party-Stimmung im Substage wird durch 'Playing With Fire' vom "Punkrock Harbour"–Durchbruchsalbum noch etwas verlängert, bevor mit der absoluten, jedoch noch relativ neuen Band-Hymne, dem Titeltrack von "Radio Rebelde", der Rausschmeißer ertönt, zu dessen Schlussteil Cecilia sich abermals auf das Publikum legt und noch eine Schleife surft. Als "Simply The Best" von Tina Turner ertönt, erreicht sie gerade noch wieder die Bühne.
Ich glaube, mit diesem Bericht konnte ich alles Wichtige vermitteln: Leute, guckt euch diese tolle Band unbedingt live an! Kessel und ich werden das alsbald wieder tun. Es müsste schon noch ganz viel passieren, damit in meinen "Perlen 23" eine andere Kapelle meinen persönlichen "Live-Thron" erklimmt!
Setliste THE BABOON SHOW: Made Up My Mind; The Shame; Oddball; Goc Bless You All; Me, Myself and I; Straight From The Heart; The History; Gold; Boredom Boredom Go Away; It's A Sin; Queen Of The Dagger; We Fight In The Night In The Bushes; Hurray; Class War; Same Old Story; You Got A Problem Without Knowing It; No Afterglow; Zugabe: Tonight; Rolling; Playing With Fire; Radio Rebelde
Pics: Kessel; T. Reiser
- Redakteur:
- Timo Reiser