THE HALO EFFECT, PAIN und BLOODRED HOURGLASS - Leipzig

10.02.2025 | 21:08

05.02.2025, Hellraiser

Ausverkaufte Geschichtsstunde.

Das neue Jahr ist noch im Anfangsstadium und es ist die Hochsaison der Clubshows, in denen die neuen Alben und Konzepte vorgestellt werden. Wenn nun noch drei Hochkaräter aus Skandinavien, THE HALO EFFECT, PAIN und BLOODRED HOURGLASS, einladen eine melodische Metal-Messe zu zelebrieren, dann sollten schon triftige Gründe vorliegen, um sich das entgehen zu lassen. Einer dieser Gründe könnte sein, dass viele Shows ausverkauft sind, was ganz klar für den großen Anklang in der Metal-Szene spricht. Stefan und mich führt die Reise nach Leipzig ins Hellraiser, welches schon des Öfteren Schauplatz grandioser Konzerte war. Zumindest das Line-up verspricht abermals einen Konzertabend mit memorablen Eindrücken zu werden. Trotz kleiner Startschwierigkeiten wird uns Einlass gewährt, da scheinbar nicht immer alle Zahnräder der komplexen Akkreditierungsmaschinerie ineinandergreifen. Sei es drum, wir sind drin und echt überrascht, dass dreißig Minuten vor Beginn der Saal schon so voll ist. Kurze Absprache: "Ich gehe vor zum Fotograben und du suchst dir ein schönes Plätzchen mit guter Sicht und feinem Sound." - "Alles klar, also wie immer." Vorn angekommen trifft man auch wieder Bekannte der visuellen Konzertreportage. Die Kameras sind abschussbereit, es kann also losgehen.

Pünktlich um neunzehn Uhr beginnt BLOODRED HOURGLASS und darf das noch frische Publikum als erstes begrüßen. Mittlerweile platzt auch das Hellraiser aus allen Nähten, was ich durchaus verstehen kann, denn die sechs Finnen haben sich im Melodic Death Metal einen Namen gemacht. Auf der Bühne wird es auch recht kuschelig, da die Truppe um Frontmann Jarkko Koukonen nur einen Teil der Stage nutzen kann. Geschuldet ist dies dem reservierten Platz für das bereits aufgebaute Schlagzeug von PAIN. Ein weiteres schweres Los des Openers ist auch die wirklich miserable Lichtshow. Hier wird gefühlt nur die Notbeleuchtung eingeschaltet und die Kameras kommen schon wieder an ihre Grenzen.

Die Band startet jedoch professionell mit ihrer Show und versucht, das Hellraiser auf Temperatur zu bringen. So richtig gelingen will das aber erstmal nicht und die Masse hat Probleme sich auf das Dargebotene einzulassen. Auch die Band als solche will nicht recht aus sich herauskommen und hemmt das Überspringen des Funkens. Song für Song werden aber auf der Bühne die Ketten abgelegt und es entsteht eine ansehnliche Performance, die dem Publikum die Türen öffnet. Diese ist bisher auch die Einzige, die gefehlt hat, da sowohl instrumental als auch am Mikrofon alles passt. Ungefähr zur Hälfte des Sets ist die Band auch komplett da und schafft es das Hellraiser einzufangen. Ein Package aus 'Drag Me The Rain', 'Nightmares Are Dreams Too' und 'Veritas' verfehlt hier keinesfalls seine Wirkung und zeigt sowohl, was die Band im Repertoire hat, als auch, was sie imstande ist umzusetzen. Alles auf den Punkt und sauber abgeliefert. Ob Shredsolo bei 'Veritas' oder Harmonieparade bei 'Drag Me The Rain', BLOODRED HOURGLASS ist da. Nach nur vierzig Minuten ist das Melo-Death-Spektakel vorbei und ich bin froh, dass die Band noch die Kurve gekriegt hat.

Setliste: The Sun Still In Me; In Lieu Of Flowers; Leaves; The End We Start From; Waves Of Black; Drag Me The Rain; Nightmares Are Dreams Too; Veritas; Where The Sinners Crawl

Nun gebe ich das Wort an Stefan und frage mich, ob er das ähnlich sieht und wie es ihm ein paar Reihen weiter hinten ergangen ist.

(Norman Wernicke)

Ich kann Norman nur recht geben, wenn er von leichten Startschwierigkeiten bei BLOODRED HOURGLASS spricht. Bei mir kommt dazu noch, dass ich bisher kaum Berührungspunkte mit der Truppe hatte und somit mit dem Songmaterial auch eher semi vertraut bin. Dabei ist das wirklich herrlich Old-School runtergezockter Melo-Death vom Fass. Song für Song macht mir das Gebräu mehr Spaß und insbesondere im letzten Drittel überzeugen mich die Jungs dann komplett. Die haben ja richtig kleine Hits am Start ('Veritas') und passen somit als Opener vor THE HALO EFFECT nahezu perfekt. Positiv erwähnen möchte ich auch noch den Sound, welcher zwar ziemlich laut und massiv rüberkommt, aber immer noch genug Luft zum Atmen lässt. Glückwunsch nach Finnland für eine echt starke Show.

Mit der nächsten Band habe ich zwar keine Schmerzen (oh - ist das schlecht) – aber echte Begeisterung sieht anders aus. PAIN verfolgt mich quasi mein halbes musikalisches Leben, da das Debüt und insbesondere "Rebirth" den Start meiner Entdeckungsreise in der Welt der härteren Musik begleitet haben, aber überzeugen können Peter Tägtgren und seine Mitstreiter mich zu keinem Moment. Das ist durchaus überraschend, da ich für diese Art von Party-Metal doch eigentlich ein offenes Ohr haben müsste. Aber es ist nun mal so: Man muss Party nicht nur machen wollen, man muss es auch können. Ich möchte halt nicht mit BWL-Julius beim Käse-Fondue rhythmisch zu DR. ALBAN klatschen, sondern beim Spring-Break beim Beer-Pong vom Balkon fallen. Das ist mir auch heute wieder viel zu handzahm, unnötig vertrackt und falsch fokussiert.

Ständig lese ich irgendwo, dass Peter es leid ist so kommerziell erfolglos zu sein und er sich eingestehen muss, dass LINDEMANN nicht wegen ihm erfolgreich war. Dabei denke ich schon, dass sein Projekt mit Till ein Türöffner war und viele neue Hörer mit PAIN konfrontiert hat. Die Wahrheit ist allerdings, dass es bei den meisten Fans bis auf ein paar Testdurchläufe nicht gereicht hat. Das liegt neben dem Gespür für echte Hits und dem falschen Fokus in den einzelnen Tracks eben auch an seiner Stimme. Auch heute ist er für mich der falsche Sänger für Songs wie 'Call Me', 'Go With The Flow' oder 'Same Old Song'. Was insbesondere bei HYPOCRISY eine echte Stärke ist, kehrt sich hier zu einem negativen Attribut um.

Einzige Ausnahme bildet für mich 'Zombie Slam' welches durch seinen Text und dem Halloween-Playlist-Sound auch mit seinen Vocals ziemlich cool reinläuft. Das klingt vielleicht jetzt etwas fies, aber ich glaube Peter ist sich dieser Tatsache selbst bewusst. Da es sein Projekt ist, wird er sicherlich nie den Sängerposten aufgeben, aber an den anderen Baustellen scheint er zu arbeiten. Nicht nur ist "I Am" deutlich zielstrebiger als seine Vorgänger, sondern hat mit 'Party in My Head' den Song in petto, der genau der Fingerzeig in Richtung Zukunft sein sollte.

Mir sind die NEIL YOUNG-Referenzen ('Rockin' In The Free World') zwar zu direkt, aber damit trifft der Track auch beim ersten Mal hören direkt ins Bulls-Eye. Somit ist er auch heute Abend von den Publikumsresonanzen das absolute Highlight und diese Erfahrung darf Peter ruhig mit ins Studio nehmen. Mehr davon und dann klappt es auch mit dem Stefan.

Setliste: It's Only Them; Don't Wake The Dead; Call Me; Zombie Slam; Suicide Machine; I'm Going In; Go With The Flow; Same Old Song; The Great Pretender; Party In My Head; Have A Drink On Me; Let Me Out; Shut Your Mouth

Aber Hand aufs Herz. Den Weg nach Leipzig haben wir ja auch für THE HALO EFFECT auf uns genommen. Auch wenn ich beim Debüt nicht so überschwänglich reagiert habe wie ein paar meiner Kollegen und auch bei uns im Podcast meine Kritikpunkte an "March Of The Unheard" aufzeigen durfte, so ändert es nichts an der Tatsache, dass ich richtig Bock habe, die aktuell beste, reinrassige Melodic-Death-Metal-Band des Planeten abzufeiern. Eigentlich habe ich den Ausführungen von Tobias in seinem Live-Bericht nichts hinzuzufügen. Der Sound ist von der ersten Minute an glasklar und trotzdem so druckvoll, dass es nicht an Härte mangelt. Jedes einzelne Instrument ist wunderbar hörbar und selbst Peter Iwers kann richtig Akzente setzten. Der Fokus liegt natürlich auf Jesper und Niclas und was die beiden abfeuern, ist halt einfach Benchmark. Ich habe lange nicht mehr so viele Menschen um mich herum gesehen, die jede melodische Göttergabe mit geschlossenen Augen wie ein Schwamm aufnehmen und teilweise komplett im eigenen Luftgitarrenspiel versinken.

Auch wenn der Gesang bei dieser Art von Musik eher weniger im Zentrum steht, braucht man sich bei jemanden wie Mikael Stanne keine Gedanken zu machen, dass er nur Halbgas tritt. Auch er veredelt die einzelnen Nummern live mit einer fast schon frechen Lässigkeit und zeigt dem ganzen Hellraiser, wer hier Chef im Ring ist. Ich habe in seinem Zusammenhang erst vor kurzem vom "Nutella-Effekt" gesprochen, aber heute Abend habe ich echt Bock auf Schoko-Creme. Wenn ihr ein Beispiel für perfekten Fan-Service und das genaue Erkennen der Bedürfnisse einer Fangruppe sehen wollt, dann ist THE HALO EFFECT meine Empfehlung.  Das ist schon eine kleine Zeitreise und die perfekte 1990er/2000er Boyband für alle die, die damals schon lieber IN FLAMES statt TAKE THAT oder BACKSTREET BOYS hören wollten. Nur leider bin ich kein reiner Genre-Fan und hatte auch damals schon auf der Selbstgebrannten eine Mischung mit 'Back For Good', 'Resin', 'Everybody' und 'Episode 666'. Somit bin ich auch heute Abend zwar begeistert und im gleichen Moment auch gelangweilt aufgrund der engen stilistischen Grenzen des Konzerts. Mehr als eine Stunde reiner Melo-Death, egal wie fantastisch er auch umgesetzt ist, kann mich auf Dauer dann nicht genug fesseln, um vollständig freizudrehen. Das soll und darf natürlich kein Kritikpunkt einer ansonsten makellosen Veranstaltung sein. Wer diese Musik liebt, muss diese Band sehen.

Setliste: March Of The Unheard; Feel What I Believe; In Broken Trust; The Needless End; Detonate; Conditional; Cruel Perception; A Truth Worth Lying For; Become Surrender; What We Become; Gateways; Last Of Our Kind; Days Of The Lost; Zugabe: Shadowminds

Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster legen, aber ich glaube, dass mein Kollege Norman noch eine deutlich stärke Leidenschaft für schwedischen Todesstahl aufbringt. Ist doch so, oder?

(Stefan Rosenthal)

Ja Stefan, da habe ich tatsächlich eine höhere Affinität zum Melo-Death und werde auch nach einer ordentlichen Spielzeit nicht müde, dem Genre zu frönen. Das liegt auch zu einem recht hohen Grad daran, dass ich mit IN FLAMES meinen Großteil der musikalischen Jugend verbracht habe und der Meinung bin, dass THE HALO EFFECT die Musikrichtung einschlägt, an der die Ur-Göteborger 2014 falsch abgebogen sind. Die Halos haben heute durch ihr Songmaterial und Bühnenperformance, welche durchweg von Spielfreude und Charisma geprägt war, für mich gezeigt, dass sie zurecht den Headliner Posten innehaben.

Also wenn du mich fragst, ist der heutige Abend eine runde Sache, die Bands haben alle abgeliefert und ein durchweg stimmiges Konzept vorgestellt. Auch wenn es stilistisch nicht ganz in eine einheitliche Richtung geht, bekommt das Publikum im Hellraiser viel geboten. Ob es jetzt musikalisch immer unseren Nerv getroffen hat, darüber können wir gern noch einmal diskutieren aber wir haben schließlich gewusst, was uns erwartet. Für mich ist dann doch entscheidend, wie und ob es Künstler schaffen, etwas von der Bühne aus zu transportieren. Und daran gibt es heute definit nichts zu meckern .

(Norman Wernicke)

Fotocredit: Norman Wernicke

Redakteur:
Stefan Rosenthal

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