THE HALO EFFECT, PAIN und BLOODRED HOURGLASS - Köln
20.01.2025 | 13:0618.01.2025, Essigfabrik
Die Halos erobern die Melodic-Death-Welt im Sturm!
Der Begriff Supergroup wird heuer ja gerne inflationär genutzt, auch weil aktuell ein regelrechter Trend zum Zusammenschluss bekannter Musiker in neuen Nebenprojekten ausgebrochen ist. Selten werden die großen Erwartungen, welche die Namen der Beteiligten wecken, vollends erfüllt, wobei es natürlich auch wohltuende Ausnahmen geben muss wie THE HALO EFFECT. Als sich während der Corona-Pandemie DARK TRANQUILLITY-Fronter Mikael Stanne mit den Ex-IN FLAMES-Mitgliedern Peter Iwers (Bass), Daniel Svensson (Schlagzeug), Jesper Strömblad (Gitarre) und Niclas Engelin (Gitarre) zusammenschloß, erschuf das Quintett einen Melodic-Death-Koloss, der seither den Gothenburg Sound mit Traditionsbewusstsein und modernem Touch auf zwei unheimlich packenden Alben zelebriert hat.
Dass wir uns angesichts der tollen Musik aus der Konserve natürlich auch eine livehaftige Qualitätsprüfung bei der ersten Headliner-Tour namens "Halos Over Europe" nicht entgehen lassen konnten, versteht sich da schon fast von selbst. Insbesondere, wenn das Tour-Package sogar noch mit den Industral-Rock-Metal-Grenzgängern PAIN und BLOODRED HOURGLASS ziemlich hochkarätig aufgefüllt wird.
Der Opener BLOODRED HOURGLASS hat sein Set allerdings leider bereits beendet, als wir zur immer noch frühen Stunde nach längerer Parkplatzsuche die Essigfabrik in Köln erreichen. In Teilen ist die Verspätung auch der Tatsache geschuldet, dass meine Frau Jule Dahs, die euch übrigens heute mit den visuellen Eindrücken versorgt, und ich typisch für die Jahreszeit von einer Erkältung geplagt werden und unsere Kräfte für den langen Abend etwas einteilen müssen. Entsprechend geht eine Entschuldigung an die finnischen Groove-Metaller und das Versprechen, ihre Show das nächste Mal zu erwischen, wenn die Band in der Region Halt macht. Dass unser Haushalten mit den Kräften aber durchaus angebracht war, zeigt sich bereits beim Betreten der Halle, denn in der restlos ausverkauften Essigfabrik ist es schon kurz vor Beginn des PAIN-Sets ordentlich gefüllt, stickig und reichlich schweißtreibend, sodass der dezent kühle Luftzug, der immer am Eingang zum Fotograben von der Klimaanlage spendiert wird, eine wohltuende Abwechslung ist. Ohne Zweifel hätte auch durchaus eine der noch größeren Locations in Köln gefüllt werden können, denn die Nachfrage nach Tickets ist auch noch Stunden vor dem Konzert in den entsprechenden Veranstaltungen in den sozialen Medien ungebrochen. Ich würde sagen, der Hype um THE HALO EFFECT ist mehr als real! Aber auch gerechtfertigt?
Nun, auf diese Antwort müssen wir noch mehr als eine Stunde warten, denn PAIN ist heute mit einem 60-minütigen Set weit mehr als nur eine Supportband, sondern wird mehr als ebenbürtiger Co-Headliner behandelt. Da Peter Tägtgren und seine Mitstreiter im unmittelbaren Anschluss an die Tour mit den schwedischen Melodic-Deathern auch noch einige Headliner-Shows in Europa einstreuen, ist auch das mitgebrachte Equipment mehr einer Hauptband würdig. Das durchsichtige Plexiglas-Schlagzeug ist wie gewohnt mit LEDs ausgeleutet, die in die pompöse Lichtshow integriert werden, die von zwei Aufbauten an beiden Bühnenseiten mit Flutlichtern, Suchern und LED-Röhren komplettiert wird. Doch nicht nur visuell schöpfen die Schweden aus dem Vollen, auch musikalisch brennt der Vierer von Beginn an ein wahres Feuerwerk ab, wobei die Eröffnung klar von 'Call Me' dominiert wird, bei dem die Band in der zweiten Strophe kurzerhand stoppt, um das Fehlen von Joakim Brodén scherzhaft zu beklagen, der in der Studioversion ja hier den Gesang übernimmt. Gitarrist Svalle erklärt sich aber natürlich bereit, Joakim zu mimen und klingt dem SABBATON-Fronter im Anschluss so zum Verwechseln ähnlich, dass er sich durchaus für einen Einsatz als Ersatz empfiehlt, sollte der Schwede einmal mit Stimmproblemen bei seiner Hauptband ausfallen. Svalle sorgt auch direkt danach für einen Hingucker, als er kurze Zeit später auf eine komplett mit Plüsch überzogene Gitarre wechselt, die selbst ZZ TOPs Billy Gibbons den Neid in die Augen treiben würde.
Generell sind Gimmicks und Verkleidungen heute bei PAIN neben einem schwungvollen Abarbeiten der Hits des eigenen Backkatalogs das große Thema. So steht die gesamte Mannschaft in Regen-Overalls zu 'Go With The Flow' auf der Bühne, während das Outfit zum frenetisch vom Publikum mitgesungenen 'Party In My Head' von Peters Bademantel, Plüsch-Jacken bei Gitarrist Sebastian Svalland und Basser Jonathan Olsson abgerundet wird. Den ganz großen Applaus ernten aber natürlich die Klassiker im Set, wobei der grandiose Refrain von 'Same Old Song' und 'The Great Pretender' am lautesten vom Kölner Publikum geschmettert werden. Da wirkt 'Have A Drink On Me', für das Peter und seine Mistreiter auf Barhockern Platz nehmen und sogar ein Cowboyhut ausgegraben wird, als vorletzter Song fast etwas unglücklich, denn die zuvor doch ordentlich kochende Stimmung wird so kurz vorm Konzertende etwas unnötig abgekühlt. Doch keine Sorge, mit 'Shut Your Mouth' haben die Schweden natürlich noch einen Kracher in petto, mit dem das Set zu einem ordentlichen und nochmals schweißtreibenden Abschluss geführt wird. Das Fazit bleibt dann am Ende identisch zu meinen beiden letzten Konzerterfahrungen mit PAIN: Wer live hervorragende Unterhaltung erleben und Party machen möchte, ohne dabei direkt in peinliche Kitsch-Gefilde abzudriften wie bei manchen Kollegen, der ist bei PAIN weiterhin an der richtigen Adresse.
Doch egal, wie toll die Show von Tägtgren und Co. auch war, mit dem was THE HALO EFFECT hier im Anschluss abbrennen wird, kann kaum eine andere Band mithalten. Dabei fährt der Fünfer visuell deutlich weniger auf. Ein wunderschönes Backdrop, das im typisch abstrakten Stil der Band gehalten ist, ein paar LED-Sucher und Strahler, welche die Bühne hauptsächlich ins stilprägende Grün der bisherigen beiden Alben tauchen werden, und oben drauf schlichte schwarze Jeans und Hemden mit dem coolen THE HALO EFFECT-Logo darauf, fertig ist das Bühnenbild für den Headliner des heutigen Abends. Mehr braucht es aber auch nicht, denn um die Essigfabrik gegen 20:50 Uhr so richtig auf Temperatur zu bringen, reicht allein schon die Musik des Fünfers, die, wie angesichts der Bandbesetzung zu vermuten ist, die besten Seiten von DARK TRANQUILLITY und dem IN FLAMES-Werk bis zu "Reroute To Remain" in sich vereint. Und so klatscht das Publikum schon zum Intro "This Curse Of Silence" begeistert mit, zu dem zuerst Niclas Engelin und Patrik Jensen, der weiterhin auf der Bühne Jesper Strömblad vertritt, die Bühnenbretter entern und in die Saiten greifen, bevor der Rest der Band im weiteren Verlauf nach und nach dazu kommt. Eine perfekte Umsetzung dieses Intros, das wie auf dem Studioalbum prompt in den Titeltrack von "March Of The Unheard" übergeht. Ohne Verschnaufpause legt der Fünfer im Anschluss mit einem starken Dreierpack vom Debüt "Days Of The Lost" nach, das aus 'In Broken Trust', 'The Needless End' und dem von der Essigfabrik besonders laut bejubelten 'Feel What I Believe' besteht. Ein überaus starker Einstand, bei dem schnell klar wird, dass die Anwesenden heute hier sind, um so richtig abzufeiern und die Matte zu feinstem Göteborg-Stahl zu schütteln.
Der großartigen Atmosphäre in der Halle ist mit Sicherheit auch die pure Freude zuträglich, die sämtliche Protagonisten die gesamte Show über ausstrahlen. Gerade die Herren Engelin und Stanne werfen sich in eine Pose nach der anderen und auch Basser Peter Iwers oder Patrik Jensen müssen nur kurz einmal die Hand heben und das Publikum stimmt mit rhythmischem Klatschen oder gehobenen Fäusten ein. Mitunter wirkt die Band dabei sogar fast ein bisschen überrascht, wenn sich in der Essigfabrik Szenen abspielen, die man ansonsten nur von einem BLIND GUARDIAN-Konzert her kennt. Gemeint ist, dass die Zuschauer auch noch nach Verklingen eines Songs die Melodie lauthals singen und sich kurzerhand selbst mit Klatschen den Takt vorgeben. Genau das passiert heute mehrfach und ist selbst für einen regelmäßigen Konzertbesucher wie mich etwas, das mir ein wenig Gänsehaut auf den Nacken treibt. Wo wir bereits von den Publikumsreaktionen sprechen, muss 'Detonate' vom neuen Album erwähnt werden, das zur Mitte des Sets hin gemeinsam mit 'Cruel Perception' die beste Figur macht, wenn es um die Live-Umsetzung des Materials von "March Of The Unheard" geht. Komplettiert wird das schlagkräftige Song-Triple dann auch noch von 'Conditional' vom Debüt, bevor Mikael Stanne in 'A Truth Worth Lying For' und 'Become Surrender' nochmals seine großartige Gesangsstimme in der Vordergrund stellen darf, anstatt nur mit herben Growls zu überzeugen. Der letztgenannte Track demonstriert dabei vielleicht auch den größten Fehler der noch jungen Bandkarriere, denn dass 'Become Surrender', das auf der Bühne mit wuchtig groovenden Riffs, tollen Melodien und einem grandiosen Chorus eine absolute Macht ist, nur als Bonustrack und separat veröffentlichte Single erhältlich ist, kann ich jedenfalls in der Retrospektive nicht nachvollziehen.
Deutlich verständlicher ist da schon, dass sich die Schweden mit dem dynamisch ausgelegten Live-Hammer 'Gateways', dessen atmosphärische Strophen nochmal für Gänsehaut sorgen, 'Last Of Our Kind' und dem Titeltrack des Debüts "Days Of The Lost" drei absolute Volltreffer für den Schlussspurt des regulären Sets aufgehoben haben. Und das Kölner Publikum? Nun, das feiert THE HALO EFFECT weiterhin lautstark und hat natürlich nach etwas mehr als einer Stunde noch lange nicht genug. Gehen kann der Fünfer aber natürlich auch nicht, ohne seine großartige Debütsingle gespielt zu haben, und so liefert 'Shadowminds' schließlich die Zugabe, die sämtlichen Zuschauern und Zuschauerinnen nochmal die Gelegenheit verschafft, die Nackenmuskeln ordentlich in Bewegung zu versetzen. Selbst eine vereinzelte Crowdsurferin findet während der treibenden Riffs ihren Weg über die jubelnde Menge und stürmt anschließend mit breitem Grinsen am Ausgang des Fotograbens vorbei, nur um sich direkt wieder in die tobende Meute zu stürzen. Dass sich Mikael Stanne und Co. nach diesem fulminanten und ansteckend sympathischen Auftritt zum Outro-Track "Coda" noch mehrere Minuten feiern lassen und das inzwischen obligatorische Bild mit dem Publikum machen, versteht sich da schon fast von selbst. Doch selbst die Band wirkt erneut überrascht, als auch nach dem Verlassen der Bühne die gesamte Halle weiterhin die prägnante Melodie des Outros mitsingt und das Klatschen einfach nicht verstummen will. Und so kehren die Musiker nochmals auf die Bühne zurück, um sich für weitere zwei Minuten mit breitem Grinsen von den Fans feiern zu lassen, bevor dann wirklich endgültig Schluss ist für heute Abend.
Setliste THE HALO EFFECT: This Curse Of Silence; March Of The Unheard; Feel What I Believe; In Broken Trust; The Needless End; Detonate; Conditional; Cruel Perception; A Truth Worth Lying For; Become Surrender; What We Become; Gateways; Last Of Our Kind; Days Of The Lost; Shadowminds; Coda (Tape)
Und was ist mit meiner eingangs gestellten Frage, ob der Hype um THE HALO EFFECT gerechtfertigt ist? Nun, nach dem heutigen Abend kann die Antwort nur ein laut schallendes "JA!" sein. Ich hab schon oft erlebt, dass die Essigfabrik förmlich Kopf gestanden hat, etwa als Max und Igor Cavalera SEPULTURAs "Roots" in Gänze zelebriert oder die Schweden AT THE GATES hier auf der ersten Headliner-Tour nach der Reunion Halt gemacht haben, trotzdem würde ich behaupten, dass ich noch keine solch überbordende Stimmung in diesem kultigen Gemäuer erlebt habe. Die Schweden bedienen schlicht und ergreifend die Sehnsucht so vieler Melodic-Death-Fans nach dem klassischen Göteborg-Sound und haben obendrauf nach gerade einmal zwei Alben so viele starke Songs im Ärmel, dass die laufende Europa-Tour mit Sicherheit zu einem großen Erfolg wird. Ich würde sogar behaupten, dass das die einzige Gelegenheit sein könnte, die Band in so "kleinen" Hallen als Headliner zu erleben, denn bei der nächsten Runde würde ich wetten, dass THE HALO EFFECT schon mindestens auf die nächste Hallengröße wechseln muss, um der immensen Nachfrage nachzukommen. Und ich gönne den alten Hasen aus Göteborg diesen Erfolg von ganzem Herzen und empfehle euch als Fans des Genres, euch den Tour-Termin in eurer Nähe im Kalender zu notieren, falls es überhaupt noch Karten gibt.
Und unser Abend? Nun, der endet gut verschwitzt mit dem gewohnten Gang zum Merchstand, wo das Tourshirt in diversen Motiven für aktuell übliche 35€ zu haben ist. Ein besonderes Schmankerl für Sammler dürfte aber ein von der gesamten Band signiertes Poster sein, das es mit Datum und Ort für jeden Stop der Tour für humane und angesichts der Qualität durchaus angemessene 10€ zu erstehen gibt. Auch wir tüten ein solches Andenken an diesen tollen Abend ein und entschwinden schließlich breit grinsend und mehr als glücklich in die eisige Nacht an diesem Samstagabend im Januar.
Photocredit: Jule Dahs
- Redakteur:
- Tobias Dahs