THE OBSESSED - Hamburg

21.08.2024 | 13:16

16.08.2024, Hafenklang

Grundsolide Heavy Doom Rock-Performance in allerbester Lage.

Nachdem mich meine ersten drei Live-Reviews bereits in drei unterschiedliche Hamburger Locations gebracht haben, soll mich mein Weg auch heute wieder in eine andere Venue führen. Die süßen Vorteile des urbanen Lebens... es geht ins altehrwürdige "Hafenklang", in unmittelbarer Nähe zur wunderschönen Elbe und dem angrenzenden Fischmarkt. 1870 einst als Stallung für die armen Straßenbahnpferde genutzt und gute hundert Jahre später als Studio und Künstlertreff gegründet, in dem bereits illustre Gestalten wie Blixa Bargeld und Udo Lindenberg erste musikalische Gehversuche starteten, konnte man 1997 gegen die langsam beginnende Gentrifizierung in der Umgebung nur aufgrund massiven Protests den drohenden Abriss noch abwenden. Auch heute, knapp dreißig Jahre später, sind die Zeiten für die Betreiber des sympathisch abgerockten Liveclubs, in dem sich an konzertfreien Tagen das Punkpublikum zu Kicker-Abenden und anderen Anlässen die Klinke in die Hand drückt, nur unwesentlich ruhiger und entspannter geworden. Wie unzählige private Clubbesitzer auch plagen die Betreiber des Hafenklang seit Corona massive Geldprobleme, denen man derzeit durch das Starten einer Crowdfunding-Kampagne entschieden entgegentreten möchte. Wollen wir also hoffen, dass, wie in anderen Städten ja leider auch üblich, hier nicht der nächste kleine Konzertveranstalter Opfer der zunehmend auf den Markt drängenden Branchenriesen wird.

Aber noch ist ja glücklicherweise alles in Butter, so dass ich mich kurz vor Startschuss dort einfinde, gleich einem befreundeten Kollegen der schreibenden Zunft eines anderen Online-Magazins über den Weg laufe und wir erst einmal die eine oder andere Meinung über alles Wesentliche (also diverse Musikthemen) miteinander austauschen. Eigentlich hatte sich noch eine Band mit dem verheißungsvollen Namen JEVER LIVE als Support von THE OBSESSED angekündigt. Da ich aber vorab keinerlei Infos im world wide web finden konnte und ich insgeheim schon befürchtet hatte, es würde sich hier womöglich um einen friesischen Brauerei-eigenen Shanty Chor handeln, bin ich doch ganz froh darüber, dass der Support anscheinend kurzfristig abgesagt hat. So geht es mit gut zehn Minuten Verspätung dann gleich direkt mit Scott "Wino" Weinrich und seiner Mannschaft los.

Das Hafenklang ist für seinen ganz individuellen innenarchitektonischen Charme bekannt (kurz gesagt: wunderbar abgeranzter Punkerladen halt), aber in der Regel eben weniger für glasklaren und einwandfrei abgemischten Liveklang. Meinen letzten Besuch hier vor einigen Jahren bei THE SKULL (R.I.P. Eric Wagner) habe ich diesbezüglich noch als relativ matschepampig in soundklanglicher Erinnerung behalten. Heute hat der hauseigene Mischer offensichtlich aber definitiv einen besseren Tag erwischt. Grundsätzlich bin ich hier ja schon immer recht zufrieden, wenn die einzelnen Instrumente für sich genommen klar herauszuhören sind, das ist heute definitiv der Fall und auch darüber hinaus gibt es sonst wenig bis gar nichts zu meckern.

Bereits die ersten fünf Songs decken gleich alle bereits erschienenen fünf Studioalben songtechnisch ab, wobei es sich bei 'Hiding Mask', 'Sodden Jackal' und 'Tombstone Highway' genau genommen ja um alte Demoaufnahmen handelt, die erst Jahre später ihren verdienten Weg auf die späteren Alben finden sollten. Mit einem knappen "Everybody's cool?" erkundigt sich Wino bei seinen drei Mitmusikanten nach deren Wohlbefinden. Alles in bester Ordnung, denn die vier Herren sind bestens aufeinander eingespielt, die Bandchemie stimmt. Brian Costantino an der Schießbude hat es mir mit seinem druckvollen und präzisen Schlagzeugspiel hierbei besonders angetan. Eine wahre Wonne ist das, Winos ehemaligen Bandgenossen von SPIRIT CARAVAN beim Verprügeln der Felle und Becken zuzuschauen. Die knapp einhundert Nasen im versammelten Rund gehen den Parcour-Ritt durch die Bandgeschichte äußerst dankbar mit, was daran erkennbar ist, dass song by song immer mehr kühle Nordgemüter (mich inklusive) ihre anberaumte Standhaltung aufgeben und sukzessive Oberkörper, Nacken, Kopf und Haare in Bewegung und Wallung bringen. Man mag gar nicht glauben, dass es die Band ja nun mittlerweile schon seit 1978 gibt, auch wenn erst zwölf Jahre später das selbstbetitelte Debütalbum erscheinen sollte. Wobei das mit der "Band" ja auch eher mit Vorsicht zu genießen ist, stellt der mittlerweile angenehm ergraute Sänger und Gitarrist Wino doch das einzig verbliebene Urmitglied dar. Und nach kurzer Recherche im Vorfeld ist mir auch aufgefallen, dass sich bislang kein Line-Up länger als ein einziges Album halten konnte, so dass man hier, zumindest hinter vorgehaltener Hand, wohl durchaus von einem Soloprojekt sprechen darf. Aber letzten Endes geht es ja doch nur um schnöde Begrifflichkeiten, denn final entscheidend ist dann eben doch, dass uns hier durchweg ehrlicher, stark angedoomter und erdiger Heavy Rock/Metal vor den Latz geknallt wird, dem es an nichts fehlt.

Wino hingegen, gesanglich im Übrigen voll auf der Höhe, ist mit seinem Gitarrensound nicht wirklich zufrieden und macht seinen Unmut darüber auch das eine oder andere Mal Richtung Soundmischer Luft. Möglicherweise ist das auch mit ein Grund dafür, dass der gute Mann nicht allerbester Laune zu sein scheint und seine doch sparsamen Ansagen zwischen den Songs zumindest bei mir nur als unverständliches Gemurmel ankommen, obwohl ich keine zwei Meter von ihm entfernt stehe. Sei's drum. Es tut der Stimmung drumherum nämlich keinerlei Abbruch, und so geht es munter weiter durch den Albumkatalog. Der dritten und von mir leider lange verkannten Platte "The Church Within" aus dem Jahr 1994 wird daraufhin mit vier Songs angenehm viel Spielzeit eingeräumt, bevor der Song 'Punk Crusher' vom 2017er "Sacred"-Album dann eindrucksvoll unter Beweis stellt, warum der Band hier und da nicht ganz zu Unrecht der Spitzname "Amerika's Motörhead" anhaftet. Gegen Ende des Gigs wird der Fokus dann noch einmal verstärkt auf das aktuelle Album "Gilded Sorrow" gelegt, das ist auch gut so, handelt es sich hier doch um ein verdammt riff- und groovestarkes Album mit ganz ausgezeichneten Nummern, die natürlich auch hier teilweise zum Besten gegeben werden. Klar, dass ich die CD nach dem Konzert für faire 15 Steine einsacken muss, da es mir physisch bislang noch in der Sammlung fehlte. Bevor es allerdings so weit ist, kommen wir aber in Form der Zugabe noch in den Genuss eines alten Song von SPIRIT CARAVAN, ihres Zeichens eine Stoner Doom-Band, die Wino in den 90er Jahren gründete, die mittlerweile aber auch wieder der Vergangenheit angehört.

Somit entlassen uns eine alte Legende und deren Mitstreiter nach gut 90 Minuten voller geil-dreckiger und (schweiß)treibender Heavy-Doom-Rock-Musik wieder in die noch angenehm warme Sommernacht. Dort setze ich mein Gespräch mit dem eingangs bereits erwähnten Schreiberkollegen fort. Währenddessen wuchtet die Band das Bühnenequipment in den bereits vor der Tür stehenden Mini-Van ein und wir wundern uns, warum der Bandchef hier denn nicht auch selber Hand anlegt. Na, wer kann, der kann, denken wir uns. Als sich unsere Bierinhalte langsam dem Ende entgegen neigen, schlurft nun auch Wino höchstselbst mit zwei Metallkoffern in der Hand in den Kleinbus, der daraufhin in die Hamburger Nacht Richtung Kopenhagen verschwindet. Zeit also auch für uns, langsam den Heimweg anzutreten. Schön war's.

Setliste: Hiding Mask; Sodden Jackal; Mourning; Daughter Of An Echo; Tombstone Highway; Sacred; Streamlined; To Protect And To Serve; Brother Blue Steel; Blind Lightning; Streetside; Punk Crusher; Gilded Sorrow; The Way She Fly; Skybone; It's Not OK; Stoned Back To The Bomb Age; Zugabe: Lost Sun Dance (SPIRIT CARAVAN Cover)

 

 

 

 


Redakteur:
Stephan Lenze

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