THRESHOLD - Hamburg
26.07.2023 | 16:3520.04.2023, Markthalle
Die Prog-Götter geben sich die Ehre.
Was haben unser Redaktionspoll 2022 und der Leserpoll 2022 gemeinsam? Neben der Dominanz der Jungs aus Krefeld und einem starken Abschneiden der Multiseller GHOST durfte sich in beiden Auswertungen eine Band über einen saustarken vierten Platz freuen, welche mit Sicherheit nicht jeder auf dem Zettel hatte. Progressive Metal der alten Schule ist sicherlich nicht prädestiniert für den ganz großen Konsens, aber "Dividing Lines" von THRESHOLD ist ein Urvieh vor dem Herrn und schaffte es nicht nur (wie eigentlich fast immer) bei den Kritikern abzusahnen, sondern sorgte auch weit über die eigene (immer noch viel zu kleine) Fanschar für Begeisterung bei einer Vielzahl unser Leser. Umso erfreuter waren wir im Hause POWERMETAL.de e.V. als wir es tatsächlich geschafft hatten, die nun folgende Europatournee zu diesem musikalischen Brecher präsentieren zu dürfen. Und da mein letzter Live-Kontakt mit den Prog-Göttern aus Süd-England aus dem Jahre 2005 und dem damaligen ROCK-HARD-FESTIVAL datiert, war es mehr als an der Zeit, endlich wieder eine der stärksten Bands unserer Szene einen Besuch abzustatten. Also auf zum Tourauftakt nach Hamburg in die Markthalle.
Doch bevor ich die Live-Premiere der "Dividing Lines"-Songs zu hören bekomme, macht ODDLAND aus dem finnischen Turku den Auftakt. Im Gegensatz zu THRESHOLD ist hier der Prog-Metal-Ansatz deutlich moderner, verschachtelter und düsterer. Passend zum letzten Album "Vermilion" ist die Bühnenshow sehr reduziert und häufig in atmosphärisches rotes Licht getaucht. Das gelungene Video zu 'Feed The Void' ist ein guter Einblick in die Sound- und Farblandschaft, welche die vierköpfige Band auch an diesem Abend aufs Parkett bringt. Leider regiert die Markthalle doch etwas verhalten, was aber damit zu begründen ist, dass das Publikum zumindest heute eher wenig mit dem Songmaterial vertraut ist und sich womöglich eher auf das Zuhören fokussiert. Mir als alter OPETH-Maniac fällt der Zugang deutlich leichter und die verschlungenen Djent-Passagen, vereinzelten Growls und die immer mal wieder zu Tage tretende orientalische Rhythmik, verbuche ich als eine gelungene Abwechselung an diesem wunderbaren Abend. Neben dem beiden 'Vermillion'-Teilen 'Below' und 'Feel The Void', hat es mir besonderes der Abschluß 'Unity' angetan, welcher viele Vorzüge von ODDLAND nochmal auf den Punkt bringt. Definitiv der erste Daumen nach oben.
Setliste: Resonance; Vermilion Pt.2: Below; Vermilion Pt.4: Feel the Void; Ire; Skylines; Unity
Bevor nun Karl Groom und Co. zeigen dürfen, ob sie immer noch eine absolute Referenzklasse im Live-Sektor sind, gibt es aber noch eine zweite progressive Vorband zu bewundern. Die schweizerisch-italienische Formation VIRTUAL SYMMETRY bricht auch wie ein kleiner Orkan über das Publikum herein und sorgt ab der Minute 1 für Überforderung par excellence. Wenn VIRTUAL SYMMETRY eins nicht kann, dann ist das eine angenehme Zurückhaltung, denn was nun folgt ist Synapsen shreddern, als ginge es hier um das Leben aller Beteiligten. Das kann durchaus seinen Reiz haben, da ich im Gegensatz zu ODDLAND, hier aber nicht mit dem Songmaterial vertraut bin, wird es schwierig. Die Songs sind unfassbar hektisch und wild. Ohne Zweifel gibt es in der Markthalle einige, für die solche Frickelarien das Nonplusultra darstellen, aber auch durchaus eine beachtliche Zahl an Zuhörern, welche die Performance mit etwas Argwohn begutachten. Für mich sind Songs wie der heutige Opener unnötig sperrig und stolpern zu häufig zwischen Selbstbeweihräucherung und unerwartet kitschigen Momenten, die sich gar für kleine Mitsingspiele eigenen. Wenn Marco Pastorino dann sogar immer mal wieder italienische Gesangspassagen einstreut, dann ist das Pathoslevel erreicht, wo auch ich dann aussteige. Schade – mit etwas weniger Kitsch und etwas mehr Fokus aufs Wesentliche schlummert dort eine wirklich starke Truppe.
Setliste: The Paradise Of Lies; Safe; Exodus; My Story Unfolds; Fantasie di verità; Come Alive
Eins muss man der Markthalle auch heute wieder zugutehalten. Die Umbaupausen sind erfreulich kurz und der Sound bei allen drei Bands zwar nicht Weltklasse aber doch absolut in Ordnung. Das hat man in letzter Zeit leider schon zu häufig anders gehört. Und das wäre eine echte Katastrophe, wenn ein Juwel wie 'Haunted' nicht direkt den Raum verzaubern würde. THRESHOLD setzt direkt mit dem Opener des aktuellen Albums ein entsprechendes Ausrufezeichen und die Band ist wieder einmal eingespielt, dass es einfach bizarr ist, dass sie immer noch vor so einer vergleichsweise kleine Zuhörerschaft spielen muss. Zumal das doch echte Hits sind, oder nicht? Und die gibt es in diesem Genre nun mal nicht wie Sand am Meer. Auch der zweite Song von "Dividing Lines", 'The Domino Effect', ist mit seinen knapp 11 Minuten ein Musterbeispiel wie Prog klingen kann und trotzdem zum Headbangen und Mitsingen animiert. Zumindest bin ich und ein Großteil der Markthalle komplett in Feierlaune. Spätestens mit dem Doppel 'Slipstream' (die Growls kommen vom Band) und vor allem 'Let it Burn' kann man von den Resonanzen des Publikums das Konzert nicht mehr von einem Auftritt einer Band wie FOREIGNER unterscheiden. Was für eine Stimmung! Mit dem folgenden 'The Shire (Part2)' gibt es dann den Schulterschluss mit dem Vorgängeralbum und der Vorgängertour. 2018 hatte THRESHOLD nämlich das Konzeptalbum "Legends Of The Shire" komplett aufgeführt – 2023 soll dieser wunderbare Song auch nicht der einzige Ausflug zu diesem Karrierehighlight bleiben. Was nun folgt ist eine perfekte Mischung aus alten Klassikern und einem sehr starken Fokus auf das neuste Album. Sänger Glynn Morgan ist in Bestform und zeigt einmal mehr, dass der Schatten seiner gigantischen Vorgänger ihn eher beflügelt als ausbremst. Die Rhythmusfraktion um Steve Andersson und Johanne James ist so dermaßen tight, dass es fast schon an ein Wunder grenzt, dass Sympathikus Johanne noch ständig Kapazitäten für allerlei Späßchen hat. Naja, Richard West und Karl Groom sind eben Karl Groom und Richard West. Die DNA der Band brilliert auf ganzer Linie. Da ist es dann schon fast Realsatire als sich die Band bei 'Complex' kurz verspielt und das ganze mit einem süffisanten "der Song heißt nicht umsonst so…" kommentiert.
Das reguläre Set schließt dann mit 'Lost In Translation', der dritte Longtrack des Abends, und was soll ich noch sagen? Das ist einfach großartig – hier sitzt jeder Ton und man hat trotzdem nicht das Gefühl, man würde einer 1:1 Kopie der Studioversion lauschen. Keine Ahnung wie die das hinkriegen, aber ich kann ja nicht mal "alle meine Entchen" auf der Blockflöte spielen, wie soll ich das dann nachvollziehen können.
Die Zugabe besteht dann neben 'King Of Nothing', vom aktuellen Album, aus 'Small Dark Linies' vom Vorgänger. Beides wunderbare Songs ohne Zweifel, aber wenn ich mir nur eine kleine kritische Anmerkung erlauben darf, dann, dass ich vier Songs von einem Album, welches auf der letzten Tour komplett gespielt wurde, doch etwas viel finde. Da ich 2018 allerdings nicht dabei war, kann ich mit dieser Entscheidung gut leben, finde es nur grundsätzlich diskutabel. Mich persönlich trifft es eher hart, dass doch tatsächlich 'Hall Of Echos' nicht gezockt wurde. Sakrileg, meine Freunde. Aber es gibt ja eine Rückfahrt von Hamburg in den Harz und eine Repeat-Taste.
Setliste: Haunted; The Domino Effect; Slipstream; Let It Burn; The Shire (Part 2); Mission Profile; Defence Condition; Pressure; Silenced; Snowblind; Complex; Lost In Translation. Zugabe: King Of Nothing; Small Dark Lines
PS: Es sollte auf jeden Fall nicht unerwähnt bleiben, dass THRESHOLD das Tourshirt für 20 EUR an dem Abend verkauft. In einer Zeit, wo jeder (zu Recht?) über steigende Preise mosert, ist das ein deutliches Zeichen, dass es auch anders geht. Keine Frage, ob ich mir eins mitgenommen habe, oder?
- Redakteur:
- Stefan Rosenthal