Tool - Hamburg

09.08.2006 | 15:09

06.06.2006, Sporthalle

Hamburg, Anfang Juni: Nach einem sehr geilen RockHard-Festival gibt es keine Verschnaufpause. Eher im Gegenteil, denn genau zwei Tage danach stehen TOOL in der Hamburger Sporthalle auf dem Plan. Und was bietet sich da besser an, als zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und der an der Alster gelegenen Hafenstadt einen Besuch abzustatten? Eben, nichts. Und so genießen wir (neben meinem Kumpel Fuki und seiner Freundin Camille ist auch noch Maggi dabei) die ersten zaghaften Sonnenstrahlen. In naher Ferne ist da so ein Großereignis, das sich "WM 2006" schimpft und noch nicht allgegenwärtig nicht nur die Medienlandschaft dominiert, sondern alle Menschen in diesem Land. Wir befinden uns dabei in einem Stadium, das man im Nachhinein als "Ruhe vor dem Sturm" bezeichnen kann und genießen den ersten Tag in der Hansestadt in vollen Zügen.
Apropos volle Züge: Die U-Bahn zur Sporthalle ist nicht so voll wie befürchtet, und so trotten wir gemütlichen Schrittes zu einem Event, das - um mal mit ein bisschen Pathos diesen Bericht zu würzen - den Blickwinkel für eine perfekte Rockband in komplett neue Bahnen lenkt. Wer mich kennt, der weiß, dass ich mit Stimulanzien jeglicher Art so viel zu tun habe wie ein Zuhälter mit der Einhaltung des Zölibats. Es bedarf dabei absolut keiner Hilfsmittel, um sich von den vier Protagonisten, die sich TOOL nennen, in Sphären jenseits dieser Galaxie entführen zu lassen. Und das alles ausschließlich "nur" mit musikalischen Mitteln. Ihr glaubt mir nicht? Dann lest und erfahrt...

Die Location an sich ist - wie's der Name schon verrät - eine Sporthalle. Gleich im Eingangsbereich befindet sich der Merchstand, wo T-Shirts und andere Utensilien zu Mondpreisen verkauft werden. Die Halle an sich ist riesengroß und verfügt natürlich über eine Tribüne, vor der sich ebenfalls viele Fans aufhalten. Es dauert eine ganze Weile bis man sich zur Bühne vorgearbeitet hat. Ansonsten erinnert der Aufbau der Bühne an RUSH auf ihrer letzten "Feedback"-Tour im Miniaturformat. Auch hier sind Leinwände (drei Stück an der Zahl) im hinteren Teil der Bühne installiert, auf denen neben Videoclips ganz surreale Bildcollagen die ohnehin schon intensive Musik verstärken sollen.

Und dann ist es soweit: Um Punkt 20.30 wird's in der Halle zappenduster und die Bandmitglieder werden mit euphorischem Jubel empfangen. Beim Intro zu 'Wings For Marie (Part I)' kommen die einzelnen Bandmitglieder langsam auf die Bühne. Als Opener fungiert 'Rosetta Stoned', das auch irgendwie den Zustand der meisten Besucher gut umschreibt. Eine geradezu magische Stimmung hält Einzug in die Sporthalle und selten habe ich eine Band gesehen, die so blind aufeinander eingespielt ist. Das Bizarre dabei ist, dass die Jungs so gelangweilt gucken, als würden sie lediglich proben. Doch das ist keine Probe, das ist bitterer Ernst! Während Gitarrist Adam Jones die ersten Töne des Openers anspielt, wird er von Bassist Justin Chancellor und Drummer Danny Carey aufs Beste unterstützt. Alle zeichnen sich mit ihrer stoischen, ja fast schon neutralen Miene aus, wobei sich die Mundwinkel gen Himmel verirren. Doch so scheint es für die meisten Anwesenden heute zu sein: Als ob Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen. Spätestens als Maynard James Keenan mit freiem Oberkörper, Sonnenbrille und Walkie-Talkie bewaffnet die Bühne stürmt, gibt es kein Halten mehr. Eine emotionale Achterbahn ist gegen das, was das Quartett hier auf der Bühne zelebriert, Kindergeburtstag. Als ob das nicht genug wäre, sorgen die Leinwände für den letzten Kick, sich komplett durch die Musik aufsaugen zu lassen. Raum und Zeit sind nur noch Nebensächlichkeiten die parallel mitlaufen. Egal welche Superlative ich aus der Mottenkiste rauskrame, sie alle können nicht ansatzweise ausdrücken, was da auf und vor der Bühne vor sich geht. Eingebettet in einen zwar lauten aber glasklaren Sound, spielt sich die Band förmlich ins Nirvana, ohne auch nur für einen Augenblick den Eindruck zu verbreiten, dass das Ganze mit Arbeit zu tun hat. So locker und entspannt, ja fast schon gelangweilt wirken die Protagonisten, so dass man/frau nicht weiß, ob das nur gespielt ist, oder ob die Jungs wirklich aus einer fernen Galaxis auf der Erde gelandet sind, um uns Erdenbewohner mit so genialer Musik zu beglücken. Fast fühlt man sich schon an eine Messe erinnert, bei der die Jünger nach komplexen Sounds betteln und vor lauter Staunen den Mund nicht zubekommen. So ein ehrfürchtiges Publikum habe ich selten erlebt: Während der Songs ist das Knistern und der Respekt förmlich in der Luft, während in den Songpause mit frenetischem Jubel die dargebotene Show bejubelt wird. Zwischendurch wird improvisiert, dass sich die Balken biegen. Das Erstaunlichste daran ist, dass die Jungs ohne Blickkontakt in die Jams übergehen. So was hab ich persönlich nicht erlebt. Aufgrund dieser Show kann man sich nur ansatzweise vorstellen, wie LED ZEPPELIN in den Siebzigern die Menge kollektiv zum Ausrasten gebracht haben müssen.

Nach gerade mal 95 Minuten ist der Spaß vorbei. Dabei handelt die Band nach dem Motto: Lieber kurz und intensiv als episch und langatmig. Dazu kann man stehen wie man will, was man TOOL aber lassen muss, ist die Tatsache, dass wir allesamt Zeuge eines sehr ungewöhnlichen Konzertes waren, das nach dem Ende immer noch Wellen schlägt. Und diese lassen nicht mehr so lang auf sich warten, denn Ende des Jahres haben TOOL weitere Dates in Deutschland geplant. Wer sie auf dieser Tour verpasst hat, sollte auf keinen Fall die kommende Tournee verpassen. Es lohnt sich!

Setlist:
Rosetta Stoned
Stinkfist
46+2
Jambi
Schism
Right In Two
Sober
Lateralus
Vicarious
Aenima

Redakteur:
Tolga Karabagli

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