Unholy Alliance - Part II - Böblingen
02.11.2006 | 11:4328.10.2006, Sporthalle
Als traditionsbewusste Metalheads besuchen Herr K. aus M. und ich jedes Jahr ein SLAYER-Konzert. Dieses Mal geht die Reise ins baden-württembergische Böblingen. Die Sporthalle des Congress Centers Böblingen liegt in einem beschaulichen Wohngebiet. Als wir dort viel zu früh eintreffen, sind wir gleichwohl nicht die ersten. Der Parkplatz ist bereits belagert mit SLAYER-Fans aus allen Himmelsrichtungen, die ihre Campingstühlchen aufgestellt haben und sich bei Bier und Mucke aus dem Ghettoblaster die Zeit bis zum Konzertbeginn vertreiben.
Wir bevorzugen ein köstliches Mahl und landen im bürgerlichen "Wienerwald", dessen Tische ebenfalls mit Fans besetzt sind.
Pünktlich um 18.00 Uhr lassen wir uns dann, genudelt wie wir sind, auf einem Sitzplatz der Tribüne in der Sporthalle nieder, um in den nächsten fünf Stunden "The Unholy Alliance" über uns hinwegbrettern zu lassen. Hinter diesem eindrücklichen Tournamen verbergen sich außer SLAYER noch vier andere Bands, von denen die erste THINE EYES BLEED ist. Ihnen eilt der Ruf voraus, dass Tom Arayas Brüderchen dort den Bass spielen soll. Das hilft aber nichts. Das Interesse an den Melodic-Death-Metallern aus Kanada - so stellen sie sich zumindest vor - ist nur mäßig, die Halle nur halb gefüllt. Offenbar wollen auch andere die Kräfte sparen für das, was noch kommt. THINE EYES BLEED, die nicht schlecht sind, aber auch niemanden vom Stühlchen reißen, verlassen die Bühne nach rund einer halben Stunde, um für LAMB OF GOD Platz zu machen.
Jene sind schon etwas beliebter, und so füllt sich die Halle ein wenig mehr und die Stimmung beginnt zu steigen. LAMB OF GOD, die mir persönlich bisher unbekannt geblieben sind, bringen eine Mischung aus Metalcore und Death Metal. Ebenfalls eine satte halbe Stunde bolzen sie über die Fans hinweg und bringen sogar, so ist aus der Vogelperspektive zu beobachten, fast so etwas wie einen kleinen Moshpit vor der Bühne zustande. Wem die folgenden Ikonen des skandinavischen Melodic Death Metals zu melodiös und SLAYER schon zu altmodisch ist, der tobt sich offenbar schon hier aus.
Herr K. aus M. und ich fühlen uns erst von den nun folgenden CHILDREN OF BODOM dazu animiert, uns ins Gedränge zu stürzen. Inzwischen ist die Sporthalle schon fast voll, und ein Gang zum Getränkestand wird schon unerquicklich aussichtslos.
Unsere Erwartungen hinsichtlich des Gigs der finnischen Hatecrew sind hoch, gehören wir doch zu denjenigen, die angesichts der Erinnerungen an ihren Auftritt auf dem diesjährigen Wacken Open Air ins Schwärmen geraten.
Aber um es vorwegzunehmen: An den August-Gig kann die Hatecrew heute nicht anschließen. Irgendwie will so recht keine Stimmung aufkommen. Der Sound ist zwar nicht schlecht, das können aber nur diejenigen genießen, die direkt vor der Bühne stehen oder sitzen. Hier wird zum Nachteil, dass die Böblinger Sporthalle sich stark in die Breite zieht. Der Eröffnungstitel 'Silent Night Bodom Night' kommt an den Seitenrändern der Halle ziemlich verzerrt rüber, und Alexis Stimme klingt auch bei den folgenden Nummern etwas übersteuert. Als Bühnendekoration haben die Jungs diesmal das Cover ihres aktuellen Longplayers "Are You Dead Yet?" gewählt, und so stammt auch ein Großteil der dargebotenen Songs des Abends von dieser Scheibe. Das heißt, eigentlich kann man gar nicht wirklich sagen, ob hier heute eher älteres oder neueres Material die Überhand hat, denn ehe man sich versieht, ist der BODOM-Gig auch schon wieder vorbei. Müde 40 Minuten haben sie gespielt! Da sind wir aber anderes gewohnt! Dass die Hatecrew mit ihrer Show in eine derart nachrangige Position gedrängt wir, kann nicht zufrieden stellen. Zum ersten Mal an diesem Abend melden sich daher bei mir Zweifel am Konzept dieser Tour, fünf Bands auf einmal spielen zu lassen. Hätte man vielleicht besser Tom Arayas Brüderchen zu Hause gelassen und den Finnen dafür etwas mehr Zeit gegönnt?
Einen Ausgleich für diese etwas enttäuschende Episode bieten sodann in den folgenden 50 Minuten IN FLAMES aus Schweden. Hier kocht der Saal, und die angesagten Helden des Melodic Death Metals animieren ihre Fans wieder zu einem derartigen Sportprogramm, dass mir die Spielzeit hier völlig genügt.
Eröffnet wird die Show mal wieder mit 'Pinball Map', dann folgen überwiegend Titel der letzten drei Alben. Eine der Ausnahmen davon - und gleichzeitig sicher wieder einmal Höhepunkt des Abends - ist 'Only For The Weak', bei dem die bereits gut einstudierte Hüpfmaschinerie auch den letzten Schlaffi mitgezogen haben dürfte. Ohne Pause jagt uns Anders Friden durch das Programm, und ich bin so involviert, dass ich mich an die durchaus beeindruckende Bühnendeko später kaum erinnere. Herr K. aus M. ist fassungslos darüber und belehrt mich, dass IN FLAMES mit einer abwechslungsreichen Illumination in unterschiedlichen Farben ihre Show belebt haben. Insgesamt wurde hier sicher nichts Überraschendes geboten, aber das macht nicht die Bohne aus, wenn das Programm einfach stimmt. Auf IN FLAMES kann man sich verlassen. Ein letztlich noch gut durchmischtes Programm wurde mit fettem Sound transportiert und hat gute Stimmung verbreitet. Selbst der kurzfristige Ausfall von Gitarrist Jesper Strömblad konnte problemlos kompensiert werdern, und der neue Mann an der zweiten Axt machte seinen Job mehr als ordentlich. Mehr ist nicht zu wollen!
Um kurz vor zehn nähern wir uns dann der letzten Band des Abends. SLAYER.
Wer es noch nicht weiß, der kann es zumindest jetzt nicht mehr überhören, denn die üblichen "Slayer!"-Rufe schallen aus jeder Ecke. Nach einer vertretbaren Umbaupause geht es also endlich los. Im Gegensatz zu der sonst eher schlichten Bühnendekoration, bestehend aus einer Wand von Marshallboxen und sonst gar nichts, warten SLAYER diesmal mit einer Leinwandpräsentation auf. Passend zum ersten Song 'God Hates Us All' wirft ein Christus sein Auge auf uns, der uns im Laufe des Programmes in unterschiedlichsten Darbietungen immer wieder begleitet. Die ausgewählten Bildanimationen sind nichts für zarte Nerven oder für Menschen, deren religiöse Gefühle schnell erschüttert werden können. Aber es ist ja auch nicht anzunehmen, dass sich solcherlei Geschöpfe auf ein SLAYER-Konzert verirren. Es dürfte wohl keinem Interessierten entgangen sein, dass eine etwas amputierte Jesusgestalt auch die neueste CD der amerikanischen Thrash-Ikone ziert und dass man sich textlich mit Islamismus und dem 11. September 2001 auseinandersetzt. Gleich im vorderen Programmteil überrascht die Band mit aussagkräftigen Bildern als Untermalung eines Songs von der aktuellen Scheibe mit dem Titel 'Jihad'. Die amerikanische Flagge überblendet mit arabischen Schriftzeichen, Bilder von vermummten Bewaffneten, die nur als islamische Kämpfer identifiziert werden können und am Schluss tatsächlich jene Sequenzen, die seinerzeit als Fernsehbilder um die Welt gingen: Die brennenden Twin Towers nach dem Aufprall der Flugzeuge. Von den insgesamt drei neuen Songs, die am heutigen Abend gespielt werden, schließt 'Cult' gegen Ende der Show an die Darstellung von 'Jihad' an. Hier werden Bilder gewählt, die sich um das aktuelle CD-Cover drehen: Ein Jesus, dem eine Ikone auf die Brust gezeichnet ist, über der "Jihad" steht. Welche Intention die Band mit diesen Darstellungen verfolgt, ist letztlich nicht abschließend interpretierbar. Sollten SLAYER jedoch für sich in Anspruch nehmen, Kunst zu produzieren, darf der Rezipient sich auch zum kritischen Nachdenken eingeladen fühlen. Und so kommt zumindest mir bei diesen Bildern der Gedanke, dass sicher auch die Politik von Herrn Bush als einer Art "heiliger Krieg" interpretiert werden kann. Heute Abend ausgerechnet von SLAYER zu so tiefgründigen Gedankengängen animiert zu werden, halte ich für eine positive Überraschung. Ansonsten gibt es aber auch Bewährtes. Tom Araya, der sich mit altersgrauem Vollbart präsentiert, und seine Mitstreiter beglücken die Fans mit älterem Material der großen Alben: 'Hell Awaits', 'Dead Skin Mask', 'Raining Blood', 'South of Heaven' - alles, was das Herz des Fans begehrt, wird geboten. Mit seinen etwas standardisierten Ansagen hält Tom sich diesmal leicht zurück, so dass es trotz der üblichen kurzen Verschnaufpausen recht zügig durchs Programm geht. Bei 'Raining Blood' wird die Bühne in tiefrotes Licht getaucht und irgendwann bildet sich vorne sogar ein fetter Moshpit. Insgesamt stehe ich aber hier bedeutend entspannter als bei IN FLAMES. Scheinbar sind die SLAYER-Fans mit ihren Ikonen gealtert, da geht's schon mal ein bisschen ruhiger zu. Viel zu schnell ist die Zeit für 'Angel of Death' gekommen, und so müssen wir nach knapp 60 Minuten erdulden, dass sich die Musiker tatsächlich kurz und schmerzlos von der Bühne verdrücken. Eine Zugabe ist ihnen nicht abzuringen, obwohl es erst kurz vor 23 Uhr ist. Da hilft auch kein Protest. Sie kommen nicht mehr. Nicht sehr zufriedenstellend. Ein, zwei Nummern hätten schon noch drin sein können!
Trotz dieses kleinen Wermutstropfens am Ende lassen wir uns die Laune nach diesem insgesamt gelungenen Konzerterlebnis nicht kaputt machen. Das kommt erst ein wenig später, als wir schon auf dem Parkplatz vor der Halle in einem nicht erklärbaren Stau stecken bleiben. Die Ursache dafür ist eine überflüssige Verkehrskontrolle der baden-württembergischen Polizei, die einen Metalhead nach dem anderen herauswinkt und zu Alkohol- und Drogenkonsum interviewt. Davon ist man nicht so begeistert, wenn man nach fünf Stunden Stehparty noch eine zweistündige Nachtfahrt vor sich hat.
[Erika Becker]
- Redakteur:
- Frank Hameister