Unsoul - Potsdam
23.10.2006 | 16:0921.10.2006, Archiv
Das Potsdamer Archiv ist vermutlich einer der ranzigsten Konzertclubs in ganz Deutschland - zumindest der ranzigste, in welchen ich bisweilen meinen Fuß gesetzt habe. Und gut verstreckt ist er auch, denn den - soweit ich erkennen kann - nicht ausgeschilderten Eingang über den spärlich beleuchteten Innenhof zu finden bleibt nur Insidern vorbehalten. Zum Glück war meine Begleitung schon einmal dort, auch wenn ich ihr bestimmtes "Wir sind da!" erst dann für bare Münze nehme, als wir tatsächlich vor so etwas ähnlichem wie einer Abendkasse stehen. Dafür ist das Bier mit 1,50 Euro die große Flasche verdammt günstig. Die Möbel im Barbereich dürften von verschiedenen Haushaltsauflösungen zusammen getragen worden sein, die Spinnweben in der nicht abschließbaren Klokabine sehen so aus, als ob sie schon seit Jahren dort hingen, und eine Heizung ist nicht vorhanden, was die augenscheinlich ziemlich baufälligen Räumlichkeiten bei unserem Eintreffen gegen 21 Uhr noch sehr frostig wirken lässt.
Eine Stunde später sind endlich - abzüglich der anwesenden Bandmitglieder nebst Anhang - ca. ein Dutzend Gäste eingetrudelt und die erste Band des Abends beginnt mit dem Soundcheck, wobei die Unmutsäußerungen von UNSOUL-Gitarrist Moritz Bossmann ob des Monitorsounds auf der Bühne darauf schließen lassen, dass auch die Technik in diesem linksalternativen Laden eher subobtimal ist. Weitere dreißig Minuten später sind offenbar sämtliche Hoffnungen auf weitere Besucher begraben und die Berliner beginnen ihr ca. 45-minütiges Set.
Und meine Fresse, haben die Jungs sich entwickelt! Ich habe UNSOUL zu "Beyond The Concrete"-Zeiten bereits als leicht verspielte Progressive-Death-Metal-Band kennen und schätzen gelernt, wobei sie damals weniger durch allzu großes künstlerisches Talent, sondern vielmehr durch dieses augenzwinkernde Sich-selbst-nicht-ganz-ernst-nehmen positiv inmitten all der furchtbar harten und bösen Formationen der Hauptstadt hervorstachen. Auch heute setzt das erfrischend cheesige Keyboardspiel von Konstantin Frick noch einen eher untypischen Akzent in diesem Genre, und durch ihren originellen Stil haben UNSOUL es letztes Jahr sogar in das Halbfinale des W:O:A Metal Battle in Hamburg geschafft. Offensichtlich hat das die Jungs extrem motiviert, denn hier in Potsdam präsentieren sie außer zwei Tracks der letzten "Welcome To Annexia"-EP nur bisher unveröffentlichtes Material, das es in sich hat! Verstärkt um einen zweiten Gitarristen - Ramin von DEVIANT ARTS - kann sich Moritz voll und ganz auf die Leadgitarre konzentrieren und nutzt die neu gewonnene Freiheit für wesentlich detailverliebtere Soli und hübsche bis abgefahrene Soundcollagen, die hier und da sogar an Größen wie OPETH denken lassen. Doch trotz aller Raffinessen, Breaks und Rhythmuswechsel haben UNSOUL auch in Sachen Bühnenshow an sich gearbeitet. In jeder Ecke bewegt sich etwas, und auch wenn Bassist Chris Dobbertin ungeachtet zwischenzeitlicher Probleme mit seinem Instrument den Preis des besten Posers konkurrenzlos nach Hause tragen darf, zeigen sich auch die anderen Unseligen sehr agil. Was man vom Publikum nicht behaupten kann, denn das weigert sich trotz zahlreicher, ziemlich peinlicher Aufforderungen von Front-Grunzer Dennis Schröder (der in den neuen Songs auffällig wenig zu singen hat) beharrlich, weiter nach vorn zu kommen. Was ich aus einem anderen Grund aber ganz gut nachvollziehen kann, denn die Musik von UNSOUL lädt heute weniger denn je zum Headbangen, sondern vielmehr zum Staunen und Genießen ein. Das abschließende Instrumental hat sogar leicht chillig-jazzige Elemente.
Ich bin gespannt, wie das neue Material auf CD rüberkommt, aber selbst in diesem rumpeligen Sound des Archivs kann man erahnen, dass das Sextett mit seiner ersten richtigen CD viele Anhänger von progressivem Todesblei für sich einnehmen wird.
Ehrlich gesagt könnte ich jetzt wieder nach Hause fahren, denn ich habe wirklich nur wegen UNSOUL den Weg von Berlin nach Potsdam auf mich genommen. Aber wo man schon mal da ist ...
Als nächstes betreten RETARDED NOISE SQUAD die winzige Bühne. Die Hallenser wären vermutlich der ideale Rausschmeißer für das berühmt-berüchtigte Party.San-Zeltkonzert am letzten Festival-Tag, aber hier und heute bin ich einfach nicht betrunken genug, um mit ihrem sehr eigenartigen Humor etwas anfangen zu können. Oder was ist bitte schön an Männern in pastellrosa Outfits und mit Tampons (!) bestückten Patronengürteln witzig? Einige Anwesende gehen trotzdem ganz ordentlich zu der ebenso sicken Musik ab - entweder haben sie schon genug intus oder finden es tatsächlich geil, wer weiß.
Die Headliner GOLEM treiben schon seit ewigen Zeiten ihr Unwesen, und das letzte Album "Dreamweaver" wurde sogar bei Nuclear Blast veröffentlicht. Dass das Quartett trotzdem noch in solchen Kaschemmen wie dem Potsdamer Archiv spielt lässt vermuten, dass es mit dem großen Erfolg nie so recht geklappt hat. Ich persönlich bin bisher noch nicht mit dem sehr technischen Death Metal der Berliner in Berührung gekommen. Meine Begleitung erklärt mir, dass die Jungs musikalisch gesehen schon ordentlich was auf dem Kasten hätten, aber die Bühnenshow eben immer sehr statisch wirken würde. Aufgrund der sehr fortgeschrittenen Uhrzeit reicht mir ein kurzer Eindruck - wir haben ja noch eine Stunde Heimreise vor uns.
- Redakteur:
- Elke Huber