VERSENGOLD und REIS AGAINST THE SPÜLMACHINE - Leipzig
10.05.2024 | 12:1120.04.2024, Haus Auensee
Die grüne Insel wäre stolz.
Jaja, die Metal-Szene und ihr Argwohn. Es gibt mittlerweile viele Bands, welche von einem ganz bestimmten Personenkreis immer wieder für scheinbar mangelnde Authentizität und fehlenden Metal-Spirit verteufelt werden. Umso prominenter diese Vertreter im Booking auf einschlägigen Festivals platziert werden umso höher schlägt das Antipathie-Pendel aus. Dass dann aber meistens die beste Stimmung bei genau diesen Konzerten vorherrscht, ist dann pures Salz in die Wunden der Gatekeeper. Eine dieser vielen Bands ist VERSENGOLD. Deutschsprachiger Folk-Rock der völlig ungeniert mit Deutsch-Pop und Schlager flirtet, sorgt in der Sandwich-Position zwischen beispielweise traditionellen Metal-Riesen und den üblichen Black Metal-Geschwadern nicht nur für Begeisterung. Dabei haben die Bremer im Kern kein Interesse an irgendeiner Metal-Credibility, sondern ziehen vollkommen authentisch ihren Stiefel durch und dieser kann eben auf dem Summer-Breeze genauso gut funktionieren wie im ZDF-Fernsehgarten. Also "Butter bei die Fische" – jedes Mal wenn ich die Jungs gesehen habe, waren es in der Nachbetrachtung auch für mich die Highlights der jeweiligen Festivals. Somit ist es nur stringent, dass nun endlich auch der Besuch einer Tour auf der Agenda steht. Also schnell noch ein Guinness gekippt und ab nach Leipzig ins Haus Auensee um ein Teil der "Lauter Gedenken"-Tour 2024 zu werden.
Dass am heutigen Tage, alles etwas anders sein sollte als die letzten Male, ist schon vor Anreise klar. Mein Partner-In-Crime Norman, macht um Irish-Folk einen Bogen wie der Teufel ums Weihwasser, so dass er sich bei diesem Event mal eine Auszeit gönnen durfte. Das hat natürlich zur Folge, dass ich dieses Mal auf schöne Fotos verzichten muss und stattdessen meinen Bericht durch notdürftige Handy-Bilder versuche aufzuwerten. Sagen wir mal so – ausbaufähig. Auf der anderen Seite bekam ich heute Unterstützung von meiner Frau, welche von VERSENGOLD tatsächlich auch nur einen Song ('Der Tag, an dem die Götter sich betranken') "kennt". Da ich aber von den Live-Qualitäten von Malte und Co. überzeugt bin, und diese Art von Musik auch funktioniert, wenn man keine Vorkenntnisse des Songmaterials besitzt, dürfte es im Nachgang nochmal eine schöne andere Perspektive geben. Wer jetzt bei den vorangegangenen Worten vermutet, dass das Publikum im restlos ausverkauften Haus Auensee ziemlich divers aufgestellt sein müsste, liegt goldrichtig. Das stellt selbst Bands wie SANTIANO oder auch ALLIGATOAH nochmal deutlich in den Schatten. Vom Kuttenträger mit CIRITH UNGOL-Patch, über den Boomer, der "Rock Harz" erstmal googeln müsste, ist wirklich jede Schattierung vertreten. Eine Besonderheit ist allerdings der extrem hohe Anteil an kleinen Kindern und somit auch kompletten Familien. Außer bei HEAVYSAURUS und RANDALE dürfte es in unserer Bubble kaum eine Band geben, die so sehr die musikalische Früherziehung fördert und für glückliche Kinderaugen sorgt, wie dieses Nordlicht.
Die Stimmung ist sofort am Anschlag und das direkt ab Minute eins der Vorband. Wobei "Vorband" trifft den Nagel nicht so wirklich richtig. Bei REIS AGAINST THE SPÜLMACHINE handelt es sich um ein Musik-Comedy-Duo aus Oldenburg und Buxtehude, welches, rein mit Akustikgitarren bewaffnet, musikalische Evergreens performt und mit alternativen, lustigen Texten ausstattet. Ein Song, wie OTTO WAALKES 'Friesenjung' gibt einen guten Eindruck, wohin die Reise geht. Bei REIS AGAINST THE SPÜLMACHINE sind es dann Hits wie 'Flies ma das Bad' ('Feliz Navidad') oder 'In The Netto' ('In The Ghetto'). Auch wenn man sich über Humor köstlich streiten kann (ich selbst bin eigentlich auch kein Freund von solchem Klamauk) und sicherlich einige Besucher fast schon geschockt sind, kann man feststellen, dass die beiden Jungs prima ankommen. Es wird geklatscht, gejubelt und lauthals mitgesungen. Das kann nicht jeder Opener von sich behaupten. Besonders charmant finde ich, dass die einzelnen Elemente großteils nicht nur skizziert werden, sondern aus den Ideen tatsächlich vollwertige Songs entstehen. Das kennt man auch anders. Highlight für mich und sicherlich auch viele andere ist dann eine Coverversion von VERSENGOLD selbst. Aus dem Überhit 'Thekenmädchen' wird dann 'mimimi' und gibt Einblick in die vermeintlichen Trinkerqualitäten der Bremer. Süffisante Majestätsbeleidigung mit Stil würde ich sagen. So geht ein feiner "Roast". Somit kann man als Fazit festhalten – ein durchaus radikales Booking-Experiment, das aber in Summe aufgegangen sein müsste.
Der Kessel ist zumindest heiß, als VERSENGOLD, der Haupt-Act des Abends, mit dem Opener des neuen Albums 'Glimmer und Gloria' einsteigt. Der Sound ist top und die Band durch die Bank in einwandfreier Verfassung. Bereits mit den folgenden Klassikern ist der Abend im sicheren Hafen eingelaufen. Die Stimmung ist grandios und auch wenn jede Person nur gefühlte 0,47qm Platz hat, wird getanzt wo immer möglich. Die Metalheads bangen und grölen herrlich schief die bierseeligen Texte mit und das Team Fernsehgarten klatscht sich in einer höllischen Lautstärke die Handflächen zu Brei. Wer eine friedliche, familienfreundliche Ektase miterleben möchte, sollte sich diese Truppe unbedingt mal live gönnen. Auch meine Frau ist mittlerweile voll im Partymodus und ich ärgere mich, dass ich gerade keinen Vertrag für den nächsten Urlaub in Irland in der Tasche habe. Verflixt – Chance vertan.
Aber auch mein misanthropischer Black-Metal-Troll und der emotionslose Prog-Hörer in mir verlieren mal wieder den Kampf gegen die Horde kleiner Leprechauns, welche mich zwingen, das Tanzbein zu bewegen. Aufgeben kann so schön sein. Doch auch unabhängig von diesem Partyfaktor sind das einfach großartige Songs, welche so sehr eine, vielleicht aus unserem Blickwinkel auch etwas romantisierte, irische Mentalität widerspiegeln und das Prädikat "grüne Insel" 100%-ig erfüllen. Ein Song wie 'Sally O'Brien' ist absolut großartig und wird trotz weihnachtlichem Bezug auch heute Abend eine absolute Sternstunde. Apropos neue Songs. Wie schon häufig an dieser Stelle kundgetan bin ich ein Freund davon, wenn ich zu einer Album-Tour fahre, auch möglichst viele Songs von der neuen Veröffentlichung zu hören - VERSENGOLD liefert mit acht neuen Tracks hervorragend ab. Neben der Christmas-Perle ist das dynamische und mit Pyros gewürzte 'Labyrinth' das Highlight der frischeren Tracks. Das Ding knallt richtig. Ein Schelm, wer jetzt doch plötzlich an Metal-Credibility denkt. Aber natürlich will die Halle auch Hits haben und bekommt diese in wunderbaren Versionen geliefert. Das 'Thekenmädchen' wird so laut und euphorisch von der gesamten Halle performt, dass mich gerne mal eine dB-Auswertung interessiert hätte. Gerade beim letzten Drittel und den obligatorischen Krachern merkt man auch, wie begeistert die Kinder mit dabei sind, zu grölen und zu klatschen. Die Kleinen wirken wie ein Aufputschmittel für die Stimmung und sorgen somit bis zum Ende für absolute Eskalation. Dieses "Ende" hat es nochmal in sich. Zum einen kommt die gesellschaftskritische, politische Komponente der Band nochmal zum Vorschein und es gibt mit 'Braune Pfeifen' ein klares Statement gegen rechts und explizit gegen die AFD, zum andere trifft der Kinderlied-Charakter von 'Kobold im Kopp' den Familienfaktor, und das immer positive Lebensgefühl der Band landet auch am heutigen Abend einen Volltreffer. In diesem Rahmen wird der Bogen auch zurück zur Vorband gespannt, denn das Duo verstärkt VERSENGOLD am Ende mit zusätzlicher Gitarre und Bierflaschenflöte. Wenn dann sogar Eike noch eine Version von 'Bullet In Your Head' (RAGE AGAINST THE MACHINE) mit dem Namen 'Cobolds In Your Head' dem Haus Auensee schenkt, ist die Speerspitze dieser Gaga-Nummer erreicht. Unfassbar dämlich und unfassbar großartig zugleich.
Eine Zugabe darf aber auch nicht fehlen und dort bewegen wir uns wieder auf gewohntem Terrain. Malte und Eike nehmen auf einer kleinen Bühne mitten im Publikum Platz und eröffnen mit dem melancholischen 'Die letzte Runde' diesen Block, um dann mit dem energischen Folk-Rocker 'Butter bei die Fische' die letzten Reserven zu mobilisieren. Die wirklich letzten Töne werden dann wieder von der großen Bühne mit dem humorvollen 'Abgesang' zelebriert und setzen einen A-Cappella-Schlusspunkt für ein erneut fantastischen VERSENGOLD-Konzert. Jungs, die Insel wäre stolz auf euch. Auch wenn jedes Jahr die Hallen größer werden, fühle ich an allen Ecken und Enden diesen magische Pub-Flair, welcher so essenziell für diese Art von Musik ist. Einzig 'Der Tag, an dem die Götter sich betranken' hätte ich mir aus dramaturgischen Gründen etwas später im Set gewünscht und wenigstens einen instrumentalen Jig oder Reel. Aber auch so waren wir sehr begeistert von dem Konzert, auch wenn sich die Gattin eine kleine Spitze nicht verkneifen konnte und anmerkte, dass sie sich bei smoothen HipHop-Beats doch eher zuhause fühlt, als bei einer solchen Fiedel-Orgie ("schon cool – klingt aber alles sehr ähnlich"). Aber an so einem Abend war es dann auch für sie sehr spaßig. Ach – wären doch alle nur so open-minded in unserer Szene unterwegs.
Setliste: Glimmer und Gloria; Niemals sang- und klanglos; Verliebt in eine Insel; Der Tag, an dem die Götter sich betranken; Wir feiern den Norden; Labyrinth; Tod und Trommeln; Lautes Gedenken; Sally O'Brien; Hay Hanna; Flaschengeist; Haut mir kein' Stein; Thekenmädchen; Im Bier sind Dinge drin; Braune Pfeifen; Kobold im Kopp; Zugaben: Die letzte Runde; Butter bei die Fische; Abgesang
- Redakteur:
- Stefan Rosenthal