VOIVOD, BIO-CANCER, ERUPTION OF CORRUPTION - Hamburg

02.11.2018 | 17:30

13.10.2018, Logo

Die Ahorn-Thrasher auf ihrem Triumphzug!

Eine Band der 80er, die ich noch immer leidenschaftlich verfolge, hört auf den Namen VOIVOD. Die Franko-Kanadier haben in ihrer 35jährigen Laufbahn (fast) immer sensationelles Material abgeliefert, haben eine Progression hingelegt, die einzigartig ist, und haben Schicksalsschläge überwunden, die anderen Bands das Genick gebrochen hätte. Umso mehr freut es mich, dass das neue Album "The Wake" von allen Seiten abgefeiert wird und dass sogar die Widerspenstigen in meinem privaten Umfeld plötzlich VOIVOD mögen. Irgendwas machen die Vier offenbar sehr richtig. Dass einer der wenigen Deutschlanddates in Hamburg stattfindet, ist allein schon toll, dass es sich auch noch um einen Samstag handelt, ein gern genommener Bonus.

Das altehrwürdige Logo, wo ich vor Dekaden HELLOWEEN mit Hansen am Mikro sehen durfte, ist schon gut angefüllt als ich an ankomme. Nach kurzem Hallihallo eröffnet die lokale Truppe namens ERUPTION OF CORRUPTION. Ich hatte die Band kurz vorher im Netz getestet und für interessant befunden. Dieser Eindruck wird durch den Auftritt bestätigt. Der progressive Thrash der Band passt auf jeden Fall gut zum Headliner und der eindrucksvolle Gesang von Davide Casarano weckt auf jeden Fall mein Interesse an der bald erscheinenden EP "Unchained". Ob mich dort der wütende Gesang des Bassisten stören und mir der optische Bonus in Form von Schlagzeugerin Jasmin Blajecki fehlen wird, kann ich natürlich noch nicht beurteilen, live sind die beiden Faktoren aber feine Add-Ons, die sich zum formidablen Gitarrenspiel des Bandgründers Jan Radczuk wunderbar addieren. Schöner Auftakt!

Es folgen die Griechen BIO-CANCER, die uns ebenfalls mit Thrash verwöhnen wollen. Leider ist deren Version ebenjener liebgewonnenen Stilrichtung paradiagonal zu meinen Hörvorlieben ausgefallen. Sehr modern, sehr eindimensional und mit einem Sänger gefrontet, der mich permanent anzuschreien scheint. Wer mir jetzt erklären möchte, dass Thrash eben nicht von jodelnden Fistelstimmen vorgetragen werden sollte, dem stimme ich zu, aber ich mache ganz subjektiv eben einen Unterschied zwischen Anschreien und Herumbrüllen. Thrashiges Fachchinesisch? Meinetwegen. Ändert nichts an meinem Hörempfinden. Nach wenigen Songs, die sich alle gleich anhören, begebe ich mich, wie viele andere auch, an die frische Luft. Ein weiser Schachzug, wie sich etwas später heraus stellen soll.

Draußen erfahre ich auch, dass es heute tatsächlich ausverkauft ist. Das Ergebnis bekommen wir zu spüren, als wir während der knappen Umbaupause wieder hineingehen und uns vorkommen wie in einer Sauna mit Körperkontaktpflicht. Das Wasser tropft von der Decke wie in alten Zeiten und die Stimmung ist großartig. Schnell noch eine Gerstenknolle auf die Hand und ab in den Pit, der schon vor den ersten Tönen von 'Post Society' VOIVOD-Chöre anstimmt. Das Quartett ist offenbar ebenfalls allerbester Laune, denn die Jungs geben von Beginn an Vollgas. Zumindest das Shirt von Snake, der anfänglich sogar noch mit der guten, alten Gasmaske herumkaspert, lässt vermuten, dass er schwitzt. Weiter im Text geht es mit dem ollen Video-Smasher 'Ravenous Medicine' vom Alltime-Classic "Killing Technology". War das Gezappel beim aktuellen Song schon beängstigend, dreht die Meute nun endgültig frei. Der Heilige Bimbam hätte seine Freude gehabt. Nun folgt der erste Song des neuen Albums: 'Obsolete Beings' fügt sich ohne deutlichen Abfall des Stimmungsbarometers in den Set ein und man hat den Eindruck, die Band fühle sich mächtig wohl mit diesem Material. Der erstklassige Sound tut sein Übriges, um überall strahlende Gesichter zu erzeugen. Als wäre all' diese Glückseligkeit noch nicht genug, holen die breit grinsenden Musiker nun zur emotionalen Überraschungskeule aus und servieren uns 'Technocratic Manipulators'. Das Wasser fließt von der Decke, irgendwie auch unter meinem Tee-Shört. Wie schön kann Krawall sein, wenn der Spirit stimmt. Und da wir einmal feucht sind, kommt mit dem völlig unerwarteten 'Into My Hybercube' der nächste apokalyptische Schlüpferstürmer. Die Jungs wissen einfach, welche Songs aus der endlosen Diskographie Euphorie auslösen. Nämlich alle. Zum Abkühlen kommt nun netterweise eine weitere Nummer des tollen "Wake"-Albums, namentlich 'Iconspiracy'. Abkühlen? Au contraire! Die wilde Fahrt geht ungebremst weiter und wird beim poppigen 'The Prow' sogar noch gesteigert. Snakes' Frage "Do you wanna dance?" ist also rein rhetorischer Natur, denn die Meute geht ab wie die berühmte Katze der Schmidts. Oder Schmitts? Man weiß es nicht.

Zurück zum eigentlich Thema: Mit 'Order Of The Blackguards' kommt der nächste Knulzer vom grünen Album, bevor 'Fall' von der "Post Society"-EP wieder für eine minimale Verschnaufpause sorgt. Das fließende Wasser in meinen Schuhen scheint sich etwas zu beruhigen, ein Zustand, der beim programmatischen 'Always Moving' allerdings schwer zu halten ist. Unfassbar, wie toll sich die neuen Nummern in den Set einfügen. Daran merkt man erst einmal, wie gut sich das aktuelle Bandgefüge zusammengefunden hat und wie großartig die Arbeit von Chewy ist. Einen würdigeren "Ersatz" für Piggy konnte die Band wohl nicht finden. Chapeau. Aber auch der megasympathische Rocky scheint musikalisch wie auch menschlich zu den beiden Longtimerrröööaaarrrern zu passen. Auch wenn ich körperlich bereits leicht angeschlagen bin, gibt es bei 'The Lost Machine' vom persönlichen Favoriten "The Outer Limits", kein Halten mehr. Himbeerthrash.

Nun folgt laut Ansage der letzte Song des Abends. Welche andere Nummer außer der Bandhymne könnte dies sein? Richtig! Keiner. So rattert 'Voivod' über uns hinweg wie eine nukleare Dampframme und die ganze Halle singt mit. Wenn ich jetzt von einer Entenpelle reden würde, wäre das für diese Art von Musik wohl eine Spur zu plüschig. Nenne ich es halt Geierpelle. Ganz großes Kino jedenfalls. Die Band geht sichtlich ergriffen von der Bühne und alle denken, dies wäre es gewesen. Wenn man den Berichten im Netz Glauben schenkt, ist dies  auf fast allen anderen Konzerten der Tour auch so gewesen. Nicht in Hamburg. Hier kommt die Band tatsächlich noch einmal zurück und gibt uns mit 'Overreaction' den finalen Stoß.

So und nicht anders geht ein Konzert. Band und Publikum verschmelzen zu einer Einheit. Mehr davon. Ganz und bald bitte. Bitte, bitte.

Photos von; Thomas Ertmer

Redakteur:
Holger Andrae

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