VOIVOD und THE DJINGERBREAD EXPERIENCE - München
15.07.2025 | 11:1102.07.2025, Backstage
Eine wilde, intensive Show der unglaublichen Kanada-Thrasher, die auch nach dreiundvierzig Jahren kein bisschen leiser geworden sind!
"Das wird aber nicht voll." Ja, Rüdiger und ich blicken uns etwas deprimiert um. Wir sind gar nicht so früh, aber in der Halle im Backstage in München verlaufen sich vierzig, fünfzig Personen. Dabei spielt heute VOIVOD, feinster kanadischer Thrash. Letztes Mal, als wir die wilden Ahornrocker sehen wollten, fiel das Konzert leider aus, da die Band die Chance wahrnehmen wollte, lieber kurzfristig beim Rock Hard Festival auf der Bühne zu stehen als in einem kleinen Club in Ulm. Wenn ich mich so umsehe, muss ich ihnen leider recht geben.
Zuerst aber darf die bayrische Band THE DJINGERBREAD EXPERIENCE das Publikum einstimmen. Die Burschen stammen aus Erding und haben Heimspiel, aber zuerst trotzdem einen schweren Stand, denn das hier ist nicht uneingeschränkt ihr Publikum. Zwar ist es etwas voller geworden, ich schätze, etwa einhundert Zuschauer sind im Saal, aber der breaklastige Djent mit Growls und Gebrülle ist ganz sicher alles, aber nicht eingängig. Da macht es auch gar nichts, dass Sänger Adrian gleich mal als zweiten und dritten Song jeweils ein neues Stück ansagt. Das kennen wir genauso wenig wie die älteren Lieder, daher, nur zu.
Die Band ist zwar vertrackt und auf den ersten Hörgang wenig eingängig, aber was ich höre, klingt eigentlich sehr brauchbar. Etwas mehr Melodie wäre ab und zu ganz schön, um neben Djent-Geriffe, Drumeskapaden und Faxen an den Saiten ein bisschen Zusammenhalt für die Kompositionen zu liefern, aber ich bin proggestählt, da nicke ich locker mit. Zwischen den Liedern albert der Frontmann herum und bricht das Eis, das sich selbst im Hochsommer zwischen Publikum und Support unwillkürlich bildet. Mein Favorit ist "Könnt ihr rhythmisch schreien?", auf das sofort ein Fingerzeig zu jemandem im Publikum folgt und die Warnung "Schrei jetzt ja nicht "rhythmisch"!". Später im Set folgt noch eine Coverversion von 'Limit' von DEICHKND, das etwas mehr Struktur in den Auftritt bringt, aber ich bin nach dreiundvierzig Minuten recht angetan von der Truppe. THE DJINGERBREAD EXPERIENCE? Sollte man mal im Ohr behalten.
Eine halbe Stunde später ist es dann Zeit für den Headliner. Und, oh Wunder, es ist viel voller geworden. Ich würde jetzt mal auf etwa zweihundertfünfzig Anwesende tippen, aber Menschenmengen einschätzen gehört nicht direkt zu meinen größten Stärken. Auf jeden Fall ist es nicht die befürchtete Leere, später wird sich die Meute durchaus als Crowdsurfer-fähig erweisen.
Doch erstmal muss das Publikum warmgespielt werden. Gar nicht so einfach, wenn man wie VOIVOD die Angewohnheit hat, Lieder zu komponieren, die mit der Vorgruppe etwas gemein haben: Sie sind nicht direkt Popsongs und vermeiden auch gerne mal nachvollziehbare Refrains. Mitsingen? Ich bin froh, wenn ich die Songs erkenne. Heute gibt es vor allem von "Dimension Hatröss" einiges auf die Ohren, gemischt mit einem aktuellen Song und zwei Stücken, die sogar noch früher entstanden sind. Dabei ist Sänger Snake ein echter Hingucker, der Grimassen zieht, dass sich heute RAVENs Mark Gallagher glatt nur die Silbermedaille in der Kategorie Gesichtsmuskelverrenkungen geholt hätte!
Zuerst sehr viel zurückhaltender agieren die beiden Herren der Saiten, Gitarrist Daniel Mongrain und Bassist Dominic Laroche, die erst in der zweiten Hälfte des Auftrittes aus Anspannung Freude und später auch etwas Albernheit werden lassen. Klar, Snake lässt auch kaum Raum für andere, wenn er die Blicke auf sich zieht,dabei aber messerscharf die ungewöhnlichen Gesangslinien trifft. So langsam neigt sich das Set dem Ende entgegen. Einer der Kracher des Debütalbums, 'Nuclear War', wird mit Hinweis auf das gleichnamige Videogame angekündigt, das aber erst in einiger Zukunft wirklich das Licht der Welt erblicken wird. Aber immerhin, das Crowdfunding war erfolgreich, Videogamer dürfen sich schon mal freuen.
Interessanterweise folgen dann noch zwei neuere Stücke, bevor es ganz zurück geht in der Bandgeschichte mit 'Condemned To The Gallows'. Oh ja, "Metal Massacre 5", wann war das, 1984? Oder sogar 1983? Das ist ein unsterblicher Sampler und VOIVODs Stück war eines der Highlights. Die Menge tobt, die Füße fliegen, Crowdsurfer wagen sich trotz der nicht vollständig geschlossenen Reihen in Flugpose. Zeit, zu gehen, sagt die Band, aber wir wissen es besser. Nach etwas mehr als sechzig Minuten lassen wir sie nicht fort. Es folgt als Zugabe eine Coverversion, 'Astronomy Divine', PINK FLOYD. Ich bin kein Fan, aber durch den VOIVOD-Wolf gedreht wird es nicht nur erträglich, sondern gut. Dann bekommen wir natürlich noch die Bandhymne 'Voivod' auf die Ohren, alle Kehlen grölen mit, und dann ist nach fünfundsiebzig Minuten leider Schluss.
Das Publikum ist nass, aber glücklich. VOIVOD hat wirklich komplett geliefert. Die komplexe Musik, die nicht immer eingängigen Kompositionen, das ist normalerweise nicht gerade ein Garant für große Interaktion, aber die Vier haben heute gezeigt, wie man als Showman eine Halle zum Beben bringt. Dabei hat man jederzeit das Gefühl, dass die Musiker genauso viel Freude an dem Auftritt haben wie wir vor der Bühne, sodass die Musik nur die Hälfte des Erfolgs ist. Genauso wichtig sind die Menschen dort oben, von denen heute ein ganzes Funkenfeuerwerk auf das Publikum übergesprungen ist. Der allgemeine Tenor um uns herum ist: Das war das bisherige Konzert des Jahres.
Text: Frank Jäger
Fotocredit: Rüdiger Stehle
- Redakteur:
- Frank Jaeger