Vader (25th Anniversary-Show) - Warschau

04.09.2008 | 15:51

31.08.2008, Stodola

Am Ende ist aufgetischt. Nichts haben die polnischen Veranstalter ausgelassen, damit sich ihre neun Bands auch wohl fühlen. Denn an diesem Samstag ist ein besonderer Anlass zu feiern: Die Death-Metal-Institition VADER begeht ihren 25. Bandgeburtstag und hat sich ein paar ihrer Lieblingsbands als Anheizer gewünscht. Ein Plan, so viel steht nach den letzten Klängen des Abends fest, der bestens funktioniert hat. Und der nun gefeiert werden muss: Ein Raum, viele Biergarnituren, pro Tisch eine Band und mindestens eine große Flasche polnischer Wodka. GRAVE-Drummer Ronnie Bergerståhl stromert angetrunken herum, auch ROTTING CHRIST-Sänger Sakis Tolis sieht schon ein wenig mitgenommen aus. Hinten in der Ecke bei SAMAEL stehen ein paar Musiker für Bierreste an, weil die Schweizer nicht ganz so viel saufen wie der Rest. Dazwischen peilen noch einige Frauen durch das fröhliche Chaos, eine hat sich ihren sowieso schon großen Vorbau noch einmal extra hoch geschnürt und sieht damit aus wie ein lebendiges Tablett auf Beinen. Mit einem Satz: Einiges geht noch - und einiges gar nicht mehr.

Die Kein-Kinder-Geburtstagsfeier beginnt recht früh. So muss das Bier schon um 12 Uhr schmecken, als GRAVE die Bühne betreten und hoch motiviert ihren Gig beginnen. Der schon seit Monaten ausverkaufte Warschauer Studentenclub "Stodola" ist bereits jetzt gut gefüllt, mehrere hundert Leute drängen sich vor der Bühne. Und die GRAVE-Musiker legen los, lassen solche Klassiker wie 'Into The Grave' nebst viel neuem Material á la 'Bloodpath' in Richtung ihrer vielen polnischen Fans krachen. Das kommt gut an, ihr schwedischer Death Metal mit traditionellen Riffs und Rhythmen wird dankbar konsumiert, ein erster Moshpit ist auch mittags schon möglich. Und Zeit für ihren anspruchsvollen Krach haben GRAVE wie alle anderen Bands auch: Jedes Geschwader darf 40 Minuten ran. Genug Klänge sind in dieser Spanne möglich, zum Durchdrehen reicht es allemal.

Und die Contenance lässt sich bei diesem Billing sowieso nicht bewahren. Mit ROTTING CHRIST steht schon die nächste Elite-Band auf der Bühne, solche Klassiker wie 'Non Serviam' oder 'The Sign Of Evil Existence' rasen über die schwingenden Köpfe der Publikums hinweg, um schließlich doch noch heimtückisch von hinten in den Nacken zu fahren. Dazu hat Sänger Sakis Tolis einen verdammt guten Tag erwischt, seine Stimme klingt fies und böse. Dazu hat er noch genug Zeit, auch mal beim Posen auf einem Bein zu stehen. Und noch etwas ist bemerkenswert: In Polen kommen selbst die in Deutschland eher verhalten aufgenommenen Stücke der neueren ROTTING CHRIST-Historie super an, gerade 'In Domine Sathana' gleicht einem Triumphzug.

Unvergessliche Auftritte erlebt das Publikum im Anschluss aber auch bei DISMEMBER und GOREFEST: Die beiden Death-Metal-Institutionen der ersten Stunde passen perfekt ins Billing und lassen die nächsten Moshpits entstehen, weil polnische Fans ja sowieso unkaputtbar scheinen. Gerade DISMEMBER spielen mit einem Enthusiasmus ihre Klassiker des schwedischen Todesbleis herunter, als wären sie noch eine junge frische Schülerband und nicht ein fleischgewordenes Urgestein extremer Musik. So fällt auch die Songauswahl einfach nur formidabel aus, Klassiker wie 'Skinfather', 'Casket Garden' oder 'Dreaming In Red' lassen keinen Platz mehr für Gedanken jenseits des Haareschüttelns. Und auch GOREFEST danach machen keine Gefangenen. Ihr eher doomiger Death-Metal-Stil fährt wie ein Panzer in die Glieder - und da sie sich vor allem auf das Schlachter-Material ihrer ersten beiden Scheiben konzentrieren, kann sowieso nichts schief gehen. So trümmert sich die Truppe um Frontbrüller Jan-Chris de Koeyer durch Stücke wie 'The Glorious Dead' oder 'State Of Mind', flankiert von einzelnen neuen Tracks á la 'Revolt'. Doch gehen die dann doch ein wenig unter gegen so ein Stück wie 'Reality - When You Die', dass in seiner genialer Intensität schlussendlich klar macht, dass diese Band noch immer als beste holländische Formation aller Zeiten gelten darf. Da mag Jan-Chris noch so aussehen wie ein verhinderter Pop-Fan, seine Tattoos am Arm zumindest sagen: Metal! - und sein fürchterlich-geiles Brüll-Organ erst recht.

Mit MARDUK steht danach eine weitere Energie-Granate auf der Bühne, dieses Mal in typischer Black-Metal-Schminke. Die polnischen Freunde der ultraharten Gangart können aber auch auf Schwarzmetall-Basis durchdrehen, weswegen auch dieser Gig ein Fan-Fest der extremen Musik wird. Solche Stücke wie 'Wolves' oder 'Materialized In Stone' sind die Garanten dafür, und auch 'Warschau' darf natürlich nicht fehlen. Kriegerisch, so lässt sich das Gefühl dieses Auftritts beschreiben, den der immer sicherer wirkende MARDUK-Fronter Mortuus mit seiner bösartigen Kreisch-Stimme weiter veredelt. Nach so vielen geilen Konzerten setzt spätestens an dieser Stelle bei vielen Anwesenden der Hunger ein. Und die Achillessehne des Abends offenbart sich: Zwei Essenstände bei rund 1500 Gästen sind zu wenig. Viel zu wenig. So wachsen die Schlangen an den beiden Imbissen ins Unermessliche. Zum Glück schmeckt das polnische Bier so gut, dass es auch als Schnitzel-Ersatz durchgeht. Und wer wirklich nicht mehr kann, darf einen Weltpremiere-Trink genießen: Hertz Polska haben ihn kredenzt, Mädchen mit Kunstledermänteln servieren ihn auf Tabletts: "Vader" heißt das gute Stück, das wie Red Bull nach Gummibär-Saft schmeckt. Und zumindest temporär munter macht.

Das Gefühl von Wachheit ist auch wichtig. Denn mit NILE steht schon der nächste Kracher des Abends in den Startlöchern, die Dichte an großartigen Bands ist fast schon erschreckend. Die South-Carolina-Truppe wird dabei ihrem Anspruch, eine der innovativsten Todsblei-Bands der Gegenwart zu sein, mehr als gerecht. Mit unglaublicher Spielfreude werfen sie Diamanten wie 'Black Seeds Of Vengeance' in die durchdrehende Masse vor der Bühne. Denn in Polen ist ein Moshpit noch ein Moshpit und kein Ponyhof-Warmlaufen. Vor allem der unglaubliche Dreiergesang der Horus-Anbeter funktioniert wie geschmiert, Frontmann Karl Sanders ist in bester Laune. Dagegen fallen ENTOMBED im Anschluss fast ein wenig ab, obwohl auch die Schweden mit Songs wie 'Sinners Bleed', 'Stranger Aeon' oder ganz zum Schluss 'Left Hand Path' mehr als nur eine Breitseite zünden - und wie die anderen Bands auch derbe motiviert über die Bühne flitzen. Zudem klingt der Sound wie bei den meisten Darbietungen recht druckvoll, kann sich jede Basslinie einzeln im Nacken austoben. Und vielleicht ist es an dieser Stelle einfach die Masse der coolen Auftritte, die für einen Moment die Aufmerksamkeit etwas schwinden lässt - zumal das polnische Bier a) unglaublich lecker schmeckt, b) auch noch süffig ist und c) nur rund 2,60 Euro im Halbliter-Becher kostet.

Wieder da ist die Konzentration bei SAMAEL: Die schweizerische Band als dunkelste Großraumdisko der Welt weiß sich auch heute geschickt zu inszenieren. Und da ihre Fanbasis in Polen sowieso überdurchschnittlich groß ist, wird auch dieser Gig zu einem Erlebnis der besonders schönen Art. Mitgebracht haben SAMAEL unter anderem Propeller, die die Haare von Bass-Springball Mas und dem etwas weniger agilen Gitarristen Makro effektvoll wehen lassen. Auch Sänger Vorph hat sich zum Geburtstag seiner VADER-Kumpel extra schick gemacht und trägt einen rot-schwarzen Hosenrock, dessen Farbe nur nicht ganz mit dem blondierten Kurzzopf auf seinem Kopf korrespondieren will. Angesichts der grandiosen Songauswahl fällt das eigenwillige Modegespür aber nicht ins Gewicht: 'Baphomet's Throne' ist den alten Fans gewidmet, Songs wie 'Year Zero' oder 'Reign Of Light' den neuen Freaks. Und dann gibt es da ja auch noch so grandiose Stücke wie 'Rain' oder das zuletzt malmende 'My Saviour', alles getaucht in eine abwechslungsreiche und beeindruckende Lichtshow. Schon bei den Vorbands bis zu diesem Punkt lässt sich nur noch staunen, 45 Euro Eintritt scheinen nicht zu viel.

Doch es kommt noch wesentlich besser. Inzwischen sind gefühlte Tage vergangen, in Wirklichkeit ist es aber doch erst kurz nach 21 Uhr. Die Umbauzeit für VADER beginnt. Und damit die Zeit, ein wenig in der Vergangenheit zu schwelgen. Denn die Polen haben es als erste Band ihres Landes geschafft, international wirklich ernst genommen zu werden. Platten wie "De Profundiis" waren bei ihrem Erscheinen irgendwann Mitte der 90er mindestens genauso coole Todesblei-Scheibletten wie die von MORBID ANGEL oder CANNIBAL CORPSE, hatten die östlichen Nachbarn doch schon damals ein Gespür für ungemein brachiale Songs, die dennoch ins Ohr gingen. Nun so kurz vor dem Geburtstag hatten die Jungs noch ein Problem: Der langjährige Bassist Novy alias Marcin Nowak verließ VADER, zwar in aller Freundschaft, aber dennoch kurz vor einer wichtigen Tour in den USA. Sein Ersatz, auch für die Geburtstagsfeier in Warschau, stellt sich aber mindestens als ebenbürtig heraus: Martin als Ex-Bassist von DECAPITATED kann ja auch gar keine schlechte Wahl sein und hat in Warschau die Ehre, auf der kommenden Live-DVD der Band dabei zu sein, die VADER während der Show aufnehmen. Entsprechend konzentriert fällt kurz vor 22 Uhr der Beginn des Konzerts aus, bei dem die polnischen Die-Hard-Fans noch einmal ihre letzten Kraftreserven aktivieren. Zwei Stunden (!) lang. Entsprechend umfangreich und schmerzhaft-schön liest sich die Setlist:

Da ist zunächst die Masse an Death Metal-Klassikern wie 'Silent Empire' oder 'Wings' oder 'Carnal' oder, oder, ode r... und dann gibt es noch Überraschungen, etwa, dass gegen Mitte des Sets der Ex-VADER-Bassist Konrad "Simon" Karchut auf die Bühne darf und auch ins Mikro gröhlen kann. Oder das gegen Ende Sakis von den verrotteten Christen noch seine Stimme zu 'This Is War' erhebt. VADER zelebrieren ihren Geburtstag eindrucksvoll, bei perfektem Sound und ewig dynamisch wirkenden Wahnsinnigen vor der Bühne. "Vader Forever My Kingdom", schreibt tags darauf ein Fan in ihr Gästebuch. Dem ist fast nichts hinzuzufügen, denn griffiger lässt sich die Leistung an diesem Abend kaum beschreiben. Und selbst für Anekdoten ist das Konzert in Warschau noch gut: Denn gleich zu Anfang fallen unter den kurzen Hosen von VADER-Peter die grellrot-gelben Stiefel auf. Später erzählt der Frontmann, dass er sie in Spanien gesehen hat und er sie sofort kaufen musste. Über Modegeschmack lässt sich ja zum Glück streiten - über diesen Auftritt und Perlen wie 'Xeper' oder 'Black To The Blind' nicht. Als die Apokalypse vorbei ist, gleicht der Saal einem Schweißlager mit angeschlossenem Plastebecher-Massengrab. Und die Party geht zumindest hinter der Bühne weiter, Polen und ihre Kumpel aus dem Ausland kennen da offensichtlich keine Freunde oder Leute, die sie vor zu starken Feierorgien warnen. Und das ist in dieser Nacht auch verdammt gut so: Stunden voller Party-Stimmung, Eindrücke, von denen sich noch lange zehren lässt - I wanna rock and roll all night and party everyday!

Setlist VADER:
Intro/Dark Age
Vicious Circle
Crucified Ones
Sothis
Silent Empire
Chaos
Final Massacre
Blood Of Kingu
Reborn In Flames
Black To The Blind
Carnal
Fractal Light
Kingdom
Wings
Xeper
Epitaph
Reign Forever World
Dark Transmission
This Is War/ Lead Us
Shadowfear
Helleluyah (God Is Dead)
Die! (Gin Psie)
Reign In Blood (SLAYER-Cover)

Redakteur:
Henri Kramer

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