WET 69/PI/CHAPEL DESECRATOR - Dresden

20.05.2004 | 13:25

19.05.2004, Titty Twister

"Woran erkennt man sofort, dass ein Bassist an die Tür klopft?
Ganz einfach: Das Klopfen ist unrhythmisch!!
Woran erkennt man, dass eine Sängerin an der Tür klopft?
Sie weiß nie wann sie reinkommen soll.
Woran erkennt man, dass ein Gitarrist an die Tür klopft?
Das klopfen wird lauter.
Woran erkennt man, dass ein Schlagzeuger an die Tür klopft?
Er verklopft sich."

Solch weise Worte und, dass wahre Finnen in Dresden geboren sind, lernt man bei einem Konzert im Dresdner Titty Twister. Hier spielen heute Abend vier einzigartige Bands, die alle sehr einzigartig sind.
Den Anfang machen die DRUNKEN BITCHES, die sich gestern noch in Kairo zu Hause fühlten. Wohl darum klingt ihr Intro so ägyptisch. Bald entpuppen sie sich jedoch als Crossover-Lemuren-Nu-Metal-Hardcore-Nuss mit Vorliebe für SEPULTURA und LIMP BIZKIT. Himmel hilf, da muss man tolerant sein. Die Band ist ja noch jung. Ans Herz geht ihre Version vom "brasilianischen Volkslied, einem Scharmhaar der leidenschaftlichen Energie des Lebens und der Liebe", oder auch 'Roots' genannt. Tribales Tanzen einiger weniger vor der Bühne zollt der gelungenen Kopierarbeit an diesem Song den verdienten Respekt. Noch mehr freuen sich über den MTV-Dauerbrenner 'Nookie'. Äffisches Gehabe und sprunghaftes Getobe lockern die Atmosphäre im sich langsam mit buntem Volk füllenden Titty Twister. Rocker, Punks, Metaller und Gigolos verteilen sich im Raum, jeder mit einem anderen Grund für sein Dasein. Am Ende werden sie alle chaotisch durcheinander toben. Aber Gemach.
Zunächst betritt eine echte Trash-Metal-Kombo die Bühne. CHAPEL DESECRATOR aus Köln zählen exakt zwei Bandmitglieder, Michael"Ädmm"Adam als Sänger und Basser und der blonde Thomas"Tommes"Dorn an der Gitarre. Fakultatives drittes Teilnahmeobjekt ist eine blonde Mosh-Puppe, die stellvertretend für einen Schlagzeuger an der Box rumhängt. Quasi aus ihrem Unterleib pumpt der Drum-Computer. Das hat seine Ursache darin, dass es bisher kein Drummer länger als zwei Wochen mit den beiden ausgehalten hat. Bemühungen um einen Menschen am Schlagzeug wurden in letzter Zeit auch nur halbherzig betrieben. Ganz offensichtlich hat das Duo in der jetzigen Besetzung genug unkomplizierten Spaß, heute besonders, denn Anfahrt plus Hotelzimmer plus Freibier (richtig wichtig) sind der Lohn für einen hammergeilen Auftritt ohne Durchhänger. Irgendwo zwischen NUCLEAR ASSAULT und EXODUS hat der Metalgott diese beiden Kölner geschaffen, für die Erschöpfung ein Fremdwort sein muss. Auch der Punkgott tat seinen Samen hinzu, denn Ädmm klingt wie Jello Biafra von den DEAD KENNEDYS und trägt dazu noch ein RAMONES-Shirt. Der einzige politische Song in ihrem Set ist George Bush gewidmet und heißt 'Georgie Boy'. Wichtiger sind Themen, die um den Verkehr mit Frauen kreisen, wie bei 'Can't Get Him Stiff'. Das wird gefolgt von einem SCORPIONS-Cover, dessen Titel leider ein Geheimnis bleibt, weil ich bei dieser Band allergische Reaktionen bekomme. CHAPEL DESECRATOR haben das Teil zum Glück soweit entfremdet, dass es sich nahtlos in das Hirn-trashende Abgehprogramm einfügt. Ein Hammer ist auch das selbstbetitelte 'Chapel Desecrator'. "Trash or be trashed!!!" Die Entweihung hat einen Namen. Wer mal zusammen mit CHAPEL DESECRATOR bei Aldi einkaufen möchte, kann sich auf ihrer website www.chapel-desecrator.de an sie wenden. Zu zweit passen sie auch gut in jedes Wohnzimmer.
Die Finnenrocker PI dagegen sind nicht wohnzimmertauglich. Nach ihrem Auftritt in "Kathys Garage" in Dresden finden dort bis auf weiteres erst mal keine Konzerte mehr statt, da völlig unerwartet eine Horde wildgewordener Mitfinnen dort einfiel und durch ungehemmtes Behaben die Einrichtung bedrohte. Das Titty Twister bietet nun genug Raum für die anwesenden Hartkern-Elemente, welche immer wieder unerwartete Quantensprünge ausführen und höchst energetisiert die Partysphäre durchschwärmen. Die Induktoren dieser Reaktionen definieren sich als Finishman an der Gitarre, Womanman am Mikrofon, Hagebuttenman am Bass und der Midlelegman am Schlagzeug. Letzterer ist bekannt als Gründungsmitglied in der Band MEATGRINDER, welche 1987 den Meat Metal erfanden. Als aber der Finishman in ihm den Finnen entdeckte, wurde er bei PI zwangsintegriert um fortan brutalen Mandolinenrock aus Finnland zu spielen. Besonders wichtig ist, dass dabei keine Mandoline zum Einsatz kommt, da diese das Gesamtkonzept stören würde. Wichtig ist auch, dass sich das Gesamtkonzept mit jedem Auftritt neu konzipiert. Allgemein ist es eine nicht lineare Funktion in Abhängigkeit von Triebenergie und Geisteszustand. Heute zeichnet sie den fraktalen Kurvenverlauf eines Bassisten im Schlafanzug, eines Drummers in Windel (und sonst nichts), einer Sängerin mit Skibrille und lila Bommelmütze sowie eines gehörnten Gitarristen in Windel über Trainingsanzug mit Pornobrille und Afro. Um die Struktur dieser finnischen Gesamtkombination zu berechnen, bedarf es der höheren Mathematik und die Aufführung des Rechenweges nach dem Schulprinzip "Gegeben, Gesucht, Ergebnis und Antwortsatz" würde den Rahmen eines Konzertreviews sprengen. Beschrieben sei das Endergebnis: eine porno-gefunkte und schweißgebadete Zuschauerschar, die sich nach dem Gig erst mal vor der Tür abkühlen muss.
Worauf die Fans wirklich lange warten mussten, wird nun endlich wahr: WET 69 spielen wieder live! Es ist, als kehre eine Legende zurück. Vor der Bühne drängen sich John-Travolta-Frisuren, Lederjacken, Nietengürtel, Nasenringe und Netzstrumpfhosen, auf der Bühne steht Steppenwolf John mit Whiskeyflasche und Pornobrille am Mikro, daneben mit seiner Gitarre verwachsen Jimi, Stefan unterm Cowboy-Hut als zweiter Sänger und Gitarrist, Rob (die Konzentration pur) am Bass und Rene im Franzosenoutfit hinterm Schlagzeug. Was jetzt gleich folgt, sind neunzig Minuten purer dreckiger Rock'n Roll. 'Wet 69' macht den Anfang. Die Freaks in den ersten Reihen rasten aus, die Babes laufen heiß. Bei Songs wie 'Never Want To Get Down' von DEPECHE MODE oder 'Rosie' fühlt man sich plötzlich um Jahrzehnte zurückversetzt, auch wenn da so mancher noch gar nicht geboren war oder die Musik noch ohne ihn spielte. WET 69 haben die Rockgeschichte einfach aufgesogen und stehen hier als Verkörperung aller darin verwurzelten Seelen. Besonders, wenn Jimi aus seiner abgef***ten ehemals roten Rhythmus-Klampfe die JIMI-HENDRIX-Version der amerikanischen Nationalhymne herausquält. Wie ein Halbmensch steht er da, lange goldene Locken, der Rest von ihm ist Musik. Gäbe es ein Reinheitsgebot für Gitarrensoli, er würde es mit Sternchen erfüllen. John bleibt noch cool. Bei 'Ballade' geht dann auch er mit schmerzverzehrter Mine zu Boden, kriecht ins Publikum und teilt seinen Whiskey mit den Fans. Die mögen Balladen nicht so sehr, alle sind hier um zu rocken. Drei Zugaben müssen WET 69 spielen, bis die Menge endlich Ruhe gibt. Fast hätte es eine Zeitungsmeldung mit der Überschrift "Zwei Verletzte bei WET 69-Konzert, von Pfandflaschen erschlagen" gegeben. Neben Flaschen regnet es aber auch Sekt ins Publikum. Besser kann man ein fünfjähriges Bandjubiläum nicht feiern. Dabei ist es doch nur Rock'n Roll!
Wer immer noch nicht erschöpft ist, kann sich jetzt bei der Aftershow-Party mit DJ Warholy bei 70er/80er Jahre-Rockmusik zusammen mit den Bands den Rest geben. Oder man trifft auf den blutenden FINNISHMAN und lässt sich von ihm erklären wie er vorige Nacht in Zeitlupe um eine Laterne herumgefallen ist, dabei seine Bierflasche zerberstend zu Boden ging und er genau in dem Moment mit der Hand den Flaschenhals erwischte...

Redakteur:
Wiebke Rost

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