WSO Fest 2009 - Stötten am Auerberg
04.08.2009 | 12:2125.07.2009,
RAMMSTEIN light und BRAINSTORM an einem Abend? Das WSO Fest im Allgäu macht's möglich: Flammen, Bier und Heavy Metal
Durch Regenschleier quält sich mein Auto durch das hügelige Allgäuer-Land, vorbei an kleinen Dörfchen und verschlafenen Weilern. Die Straße führt mich eng verschlungen am Auerberg entlang, stetig nach oben. Immer wieder greifen die Scheinwerfer an diesem frühen Samstag Nachmittag durch die Nebelsuppe und erzeugen verwirrende Figuren auf der Straße. Nichts, aber auch gar nichts weist darauf hin, dass hier in der Nähe ein kleines, ambitioniertes Festival seine Pforten öffnen wird. Nach einer scharfen Linkskurve habe ich meine liebe Not, den Kühen auszuweichen, die sich gerade ihrem Beauty-Programm im angrenzenden Stall widmen wollen. Kühe? Ich habe BRAINSTORM und RED TO GREY erwartet. Aber gut, eine letzte Steigung liegt noch vor mir, ein letztes Aufheulen des Motors, der keinen Bock mehr auf geschätzte zwanzig Prozent Steigung hat, und ... vor mir ein wunderbares Alpenpanorama. Wie auf Befehl reißt der Himmel auf, und geradezu himmlisch weisen mir Finger aus reinem Sonnenlicht den Weg zu der mittelgroßen Festivalanlage. Mitten im wunderschönen, grünen und saftigen Nirgendwo.
Sebastian Hengge heißt der junge Mann, der sich gedacht hat: Warum für Festivals immer in die Ferne fahren, denn das Gute liegt doch so nah. Also hat er sich seinen Hof vorgeknöpft, die Scheune in einen astreinen Backstagebereich mit nahezu perfektem Catering umgebaut, seine Wiesen eingezäunt, eine fette Bühne mit dicker Lichtanlage aufgebaut und einige mehr oder weniger bekannte Bands eingeladen.
Leider sind die Zuschauerzahlen deutlich zu gering als erwartet. Das hängt mit Sicherheit mit vielen Dingen zusammen, ein Problem hat der Veranstalter aber recht schnell ausgemacht: "Die Allgäuer sind Bands mit eigenen Songs irgendwie nicht so gewohnt," erklärt er im feinsten Dialekt. "Sie fahren zu Tausenden auf die letzte Cover-Rock-Band ab, aber solche Sachen wie BRAINSTORM oder so kennt man einfach nicht." Doch trotz dieses Wermutstropfens lassen sich die Anwesenden die Freude nicht nehmen und feiern ein familiäres Fest mitten im Nirgendwo. Ja, selbst die größeren Bands des Abends lassen sich von den geringen Besucherzahlen nicht abschrecken und geben alles. Man meint fast, sie noch nie so intim und authentisch erlebt zu haben. Doch dazu später mehr, denn zuerst beginnt der Gewinner des Bandcontests vom Vortag, an dem nur Bands aus der Umgebung teilgenommen haben.
Die quer durch alle Altersklassen gemischte Band nennt sich DRAWKCAB und stammt aus Füssen in Bayern. Eine halbe Stunde nach offiziellem Beginn entern sie die Bühne und spielen einen alternativ angehauchten, groovigen Metal. Recht harmlos und ein wenig zahnlos agiert die Band auf der Bühne, irgendwie sind sie sich selbst noch nicht so ganz sicher, ob sie da überhaupt hingehören. Der Sänger, Dani, erklärt mir nachher bei einem gemütlichen Bier, dass es das erste Mal für die Band gewesen sei, dass sie auf einer derart großen Bühne gespielt haben. Von den Songs her lassen sie allerdings nichts anbrennen, 'Darkness' bietet beispielsweise einen schönen, akustischen Einstieg, 'Backward' bietet eine rotzige, punkige Attitüde, die bei einem größeren Auditorium sicher sofort zünden würde. Nach dem Verklingen der letzten thrashigen Note zollen die Anwesenden den nötigen Respekt und freuen sich auf DOWNCAST, die anschließend die Bühne rocken.
Völlig unverständlich ist für mich, warum diese tödliche Division Hammer-Smash immer noch kein Label im Rücken hat. Zwei Platten voller morbider Präzision stehen im Regal der Memminger Death-Metaller, zwei Platten voller Potential und echter Granaten. Mit Songs wie 'Born Parasite' und 'Basilisk' schrauben die Herren den Anwesenden die Grütze aus der Rübe, ganz nach dem Motto: Wenn es sich noch regt, kann man noch mal reintreten.
Die nachmittägliche Sonne hat sich vorübergehend gegen den Regen durchgesetzt und bietet zu todesmetallischen Hymnen wie 'Daily Death' oder 'Metal Posession' genau das richtige Maß an skandinavischem Strandgefühl. Deutlich engagierter als ihre Vorgänger auf der Bühne prallt uns ein höheres Maß an Charisma entgegen, welches seine majestätische Autorität direkt in Bewegung im Publikum umsetzt. DOWNCAST haben Spaß an dem Gig und bieten alles für eine familenunfreundliche Death-Metal-Show.
Auf die nächste Band habe ich mich im Prinzip seit dem Oktober 2008 gefreut, als sie krankheitsbedingt auf dem Helion Festival absagen mussten. CRYSTALLION kommen aus Siegsdorf in Bayern und spielen einen durchaus heavy-orientieren Power Metal. Neben dem tollen Songwriting ist vor allem Sänger Thomas Strübler ein echtes Highlight. Absolut eigenständig und einfach gut kann er ohne Probleme mit den Großen seines Fachs mithalten. Das bringt zum ersten Mal so etwas wie richtige, internationale Größe auf die Bühne des WSO-Fests. Mit Songs von bis zu elf epischen Minuten erfordert das Gespielte zwar Durchhaltevermögen, was bei der Güte des Vorgetragenen allerdings leicht aufgebracht wird.
Neben tollen Songs wie dem Longtrack 'Preach With A Iron Tongue' rocken etwas kürzere, intensivere Nummern wie 'The Battle – Onward' und 'Burning Witches' die Wiesen vor der Bühne. Gerade das Material der letzten Platte, "Hattin", kommt sehr cool aus den Boxen und macht neugierig auf die kommende, die schon aufgenommen wurde. So viel sei an dieser Stelle verraten: In den nächsten Wochen wird es eine exklusive Listening Session auf eurer Lieblingsseite geben.
Zum Schluss seinen noch die absolut coolen Kramer-Gitarren erwähnt, mit denen CRYSTALLION auf die Bühne gegangen sind. So viel Traditionsbewusstsein und Kult muss einfach mit tosendem Applaus honoriert werden!
1993 ist das Geburtsjahr der sympathischen Metaller STORMHAMMER aus meiner Heimatstadt München. Irgendwo zwischen europäischem Power Metal, britischem Heavy Metal und höchst melodischem Pathos-Rock hat sich der sympathische Haufen um Manny Ewender (Gitarre) und Horst Tessmann (Bass) eingegroovt. Die Herren spielen sich quer durch die Diskographie und stellen natürlich auch ihr brandneues Album "Signs Of Revolution" vor. Fette Heavy-Metal-Wände gepaart mit schnellen Melodie-Parts à la GAMMA RAY tun ihr Übriges zu einer coolen Show.
Den Leuten vor der Bühne gefällt's auf jeden Fall, immer wieder ertappen sich die Anwesenden beim intensiven Rübeschütteln. Auch die Sonne erbarmt sich zu etwas kräftigeren Strahlen und veredelt den Gig mit einer ganz eigenen Lichtshow. "Hell yeah!" würde ein Cronos da jetzt schreien – und Recht hätte er.
Mit Songtiteln kann ich an dieser Stelle leider nicht dienen, da es auch den härtesten POWERMETAL.de-Redakteur mal nach einer Pause dürstet. Das Essensangebot auf dem Gelände schreit geradezu nach einer intensiveren Nutzung. Und sagen wir mal so: Mit einer Würstel-/Schnitzelbude auf der einen und einem Dönerstand auf der anderen Seite ist ja wohl für jeden was dabei. Frisch ausgerüstet mit einem Bier in der Hand freue ich mich über die letzten Töne der Sturmhämmer im Abendrot und bin auf die folgende Band gespannt.
Angeführt von einem super aufgelegten und quirligen Andy Pankraz stürmen RED TO GREY auf die Bühne und feuern 'Conscious' in die mittlerweile angewachsene Meute. Andy macht allen Flummis dieser Welt mächtig Konkurrenz, derart unberechenbar ist er auf der Bühne unterwegs. Doch auch Tino, Frank und Uidel lassen es sich nicht nehmen, die Bühne mehrfach von links nach rechts zu durchmessen. 'Human Barbecue' und 'The Armour Piercing Dread' machen keine Gefangenen, Groove und tolle Gitarrensoli wechseln sich in einer atemberaubenden Geschwindigkeit ab.
Mit 'Free' wird eines der Highlights der aktuellen RED TO GREY-Platte "Admissions" geboten. 'Trigger Of Lies' macht klar, dass RED TO GREY das Potential für solch große Bühnen wie die des WSO-Fests haben. Die Präsenz ist phänomenal und das Songmaterial einfach nur fett und massiv. Leider müssen aufgrund der Verzögerung im Vorfeld Abstriche bei der Giglänge gemacht werden. Das führt dazu, dass der letzte Song viel zu früh eingeleitet wird. 'Sweet Suffering' entlässt uns mit einem lachenden Auge wegen der geilen Performance und einem weinenden Auge wegen der Kürze des Gigs. Nun gut, so rettet man sich halt in sinnfreie Sinnsprüche und skandiert hier ein "In der Kürze liegt die Würze" und dort ein "Man soll aufhören, wenn's am schönsten ist".
Nach einer kurzen Umbaupause wird es Zeit für die schwäbischen Spaßmacher von BRAINSTORM. Die Heidenheimer sind zwar mit Sicherheit deutlich größere Publikumszahlen gewöhnt, lassen sich aber in keiner Weise zu Starallüren hinreißen. Ganz im Gegenteil, wie eingangs erwähnt: Andy B. Franck gibt sich total offen, witzelt herum und bindet das Publikum perfekt in den Gig mit ein.
'Painside' lautet die Devise und leitet einen energiegeladenen Auftritt ein. Mit der Frage, was das Publikum hören will, verweist Andy darauf, dass er nicht mehr als ein Söldner sei und gar keine Wahl hätte. Deswegen verhallen die Rufe nach etwas Schnellem in der Nacht und werden durch ein perfekt vorgetragenes 'End In Sorrow' kontrastiert. 'Blind Suffering' von "Metus Mortis" und 'Doorway To Survive' von "Soul Temptation" schicken die Fans quer durch die Geschichte, bevor es mit 'Fire Walk With Me' und 'How Do You Feel' wieder in die Gegenwart bzw. ins Jahr 2008 geht.
Nach "Downburst" wird es demnächst schon die nächste BRAINSTORM-Platte geben, wie Andy verrät. Das Studio ist gebucht, und wir sind gespannt. Unter einem eindrucksvollen Sternenhimmel, wie man ihn nur auf dem Land findet, etabliert sich der Running-Gag, nach jedem Song Dieter, dem Drummer, zu huldigen. Dieser erfährt heute mehr Aufmerksamkeit durchs Publikum als in seiner ganzen Karriere zuvor und dankt es den Leuten durch noch engagierteres Drumming. Ja, ich denke, dass alle Spaß haben. Sowohl den Musikern auf der Bühne als auch den Fans davor ist ein dickes, fettes Grinsen ins Gesicht gemeißelt. Und so endet ein toller Auftritt unter strahlenden Sternen mit dem passenden 'Under Lights'.
Während einer langen Umbaupause habe ich Zeit über den folgenden Act nachzudenken. Bis jetzt hat noch jeder, der RAMMSTEIN gesehen hat, von deren unglaublicher Live-Show geschwärmt, voller Entertainment, Pyros und Theater. STAHLZEIT machen im Prinzip nichts anderes, als die Show der Mütter zu kopieren. Das allerdings auf einem dermaßen ansprechenden Niveau, dass es eine wahre Freude ist. Die lauteste Bands des Abends sind sie allemal, und das schon beim Intro.
'Reise, Reise', Feuerblumen, 'Links 234', Explosionen, 'Keine Lust', Funkenregen, und die Illusion ist perfekt. Heli Reißenweber ist möglicherweise näher an dem, was Till Lindemann darstellt, als das Original selbst. Ich selbst stehe mit offenem Mund vor der Bühne, die Show ist immens. Die Choreographie sitzt wie maßgeschneidert, der Aufwand, den die Band betreibt, ist immens. Die Songs schallen täuschend echt aus den Boxen. 'Mutter', 'Benzin' und 'Du hast' bringen das Völkchen vor der Bühne zum Kochen, die treibenden Rhythmen fahren den Anwesenden durch Mark und Bein.
Die Songs von RAMMSTEIN sind einfach ... einfach rockig, für die Bühne gemacht und ihn ihrer trivialen Machart der Garant für groovende Stimmung.
STAHLZEIT machen nicht den Fehler, eigenes Material in die Setlist einfließen zu lassen. Und doch, trotz aller Power und Kraft, trotz der grandiosen Show: Sechs Bands haben sich heute auf die Bühne gestellt und ihr Songmaterial aufgeführt, es dem kritischen Geist des Publikums ausgesetzt. Jeder, der dem zujubelt, tut das direkt, und alle positiven wie negativen Gefühle richten sich unmittelbar an die Band. Bei STAHLZEIT ist das anders: Jeder Jubel ist getrübt, in gewisser Hinsicht falsch. Die Band, die da auf der Bühne steht, zeichnet sich lediglich durch fremden Federschmuck aus, die einzige Leistung besteht in der perfekten Kopie. Für was klatsche ich da dann eigentlich? Für die Tatsache, dass da jemand auf der Bühne steht, der zufällig genauso klingt wie Lindemann? Für die Tatsache, dass sich die Band hundertmal die "Völkerball"-DVD angeschaut hat, um alle Bewegungen und Ideen abzugucken und kopiert umzusetzen? All diese Fragen führen zu dem Ergebnis, dass mein Enthusiasmus getrübt ist und ich den weiteren Verlauf deutlich distanzierter betrachte. Nichstdestotrotz kommt die live gespielte Playback-Show einwandfrei beim Publikum an. Deshalb lässt sich versöhnlich feststellen: Ziel erreicht.
Die Nacht ruft, die Wölfe heulen und die Motoren jaulen. Nach einem spannenden Tag voller interessanter Bands und netter Metalheads steht die Heimfahrt an. Zu den Tönen von 'Engel' geht es über ausgestorbene Straßen noch einmal quer durch das Allgäu. Ich hoffe, dass das WSO Fest auch nächstes Jahr stattfinden wird und ein paar mehr Leute den Weg zu diesem wirklich fanfreundlichen Festival finden werden. Sebastian hat auf jeden Fall schon die ein oder andere Überraschung parat: einer der Namen, die gefallen sind, war SODOM.
- Redakteur:
- Julian Rohrer