WYATT E. und EBBE - Hamburg

22.04.2025 | 13:06

09.04.2025, MS Stubnitz

Orientalische Drone-Klänge in maritimer Atmosphäre.

Der eine oder andere unter euch wird sich vielleicht noch an mein Review und mein Interview mit dem belgischen Drone-Kollektiv WYATT E. um den charismatischen Mastermind Sébastien von Landau erinnern. Da aller guten Dinge bekanntlich meistens drei sind, soll nicht nur der Komplettierung wegen hier nun auch noch der entsprechende Konzertbericht folgen.

Dafür geht es heute in die Hamburger Hafen-City, die nicht nur dafür bekannt ist, Europas größte, wohl niemals endende Dauerbaustelle zu sein, sondern darüber hinaus auch Heimstätte einer sehr außergewöhnlichen Konzert-Location ist. Die Rede ist von der MS Stubnitz, ihres Zeichens ehemaliges und nun stillgelegtes Kühlschiff der damaligen DDR-Hochsee-Fischfangflotte, welches seit 1992 als soziokulturelles Veranstaltungsschiff genutzt wird und seit 2013 nun in Hamburg eine neue kulturelle Heimat gefunden hat.

Mit meinem Fotografen-Kompagnon Thomas finde ich mich so pünktlich vor Ort ein, dass noch genügend Zeit vorhanden ist, bei einem von ihm netterweise mitgebrachten Flaschenpaar 'Pacific Ale' der Brauerei Störtebeker ein wenig Klönschnack zu halten. Passend zur Venue ist aber heute nicht nur das Bier, sondern auch der Name der aus Bremen stammenden Support-Band EBBE, die den heutigen maritimen Abend stilecht eröffnet. Gute 50 – 60 interessierte Nasen werden sich dafür hier heute wohl eingefunden haben. Für einen windig-kühlen Mittwoch mit Underground-Programm doch relativ stattlich und mehr, als ich tatsächlich erwartet hatte. Genau so soll es sein.

Auch EBBE ist, grob gesagt, dem Drone-Lager zuzuordnen. Allerdings vermengen die vier Jungs ihren ultraschweren und düsteren Sound zusätzlich noch mit ein wenig Black- und Doom Metal-Würze und erinnern mich hier und da ein wenig an die englischen Kult-Sludger von CONAN, die ähnlich brachial und roh agieren wie die vier Herren hier auf der Bühne, die mangels Lichts und Nebelschwaden allerdings leider nur wenig bis gar nicht zu identifizieren sind. Deswegen dauert es auch eine Weile, bis wir gewahr werden, dass da ja gemäß den üblichen Gepflogenheiten nicht Viersaiter und Sechssaiter nebeneinanderstehen, sondern zwei Gitarreros ohne jeglichen Tieftöner-Support. Kann man so machen, da die gut heruntergestimmten Klampfen hier eigentlich hinreichenden Bass-Wumms generieren.

Da die Ansagen zwischen den Songs hier eher knapp gehalten werden, um es mal vorsichtig auszudrücken, bin zumindest ich nicht im Bilde, was die Band uns hier an Content so alles vor den Latz knallt. Ein kurzer Blick in die Metal Archives verrät, dass bislang erst eine 4-Song-EP mit dem Titel "Ruß" aus dem Jahr 2018 auf der Haben-Seite steht. Es ist also davon auszugehen, dass uns diese heute in Gänze (plus vielleicht den einen oder anderen neuen Song?) serviert wurde, denn nach einer guten halben Stunde intensivem monolithischen Soundwand-Gewitter ist dann auch schon wieder Schluss.

Setliste: Ruß; Shatter Their Altar Of Fear And Ignorance; Windwikkersche; Golden Chains; Unumkehrbar; Eternal Ember; Wider dem Stachel löcken

Passenderweise kredenzt man auch hier an Bord das gute Störtebeker-Gebräu, wie praktisch. Also nutzen wir das kurze Break und setzen uns eine Etage höher bei lecker Pilschen in den zentral gelegenen Barbereich und fühlen uns kurzzeitig ein wenig wie die durchgeknallten Dieselheizer und Obermaschinisten aus Wolfgang Petersens legendärem Untergangs-Drama "Das Boot". So außergewöhnlich die Location mit all ihren Decks, Laderäumen und verwinkelten Treppengängen auch ist. Irgendwann ertönen im "Laderaum 4" uns wohlig bekannte Klänge, so dass wir Ex und Hopp den letzten Rest Blondes runterspülen und uns wieder ins nebelverhangene Dunkle aufmachen.

WYATT E. habe ich als Vorband der italienischen Band MESSA kennengelernt, die seinerzeit beide ihren beträchtlichen Teil dazu beigetragen haben, dass das damalige Konzert in der Jugendkirche zu Braunschweig bis heute zu meinen erinnerungswürdigsten und beeindruckendsten Live-Erlebnissen gehört. Die Venue heute ist aber wie gesagt nicht minder außergewöhnlich. Da die Band live in der Regel fast ausschließlich instrumental agiert, besteht das "Orchester" heute aus Gitarre (von Landau), Bass und Schlagzeug. Nur ganz gelegentlich setzt von Landau seinen Gesang computerverzerrt an KRAFTWERK erinnernd ein.

Drei Longplayer hat die Band seit der Gründung der Band im Jahr 2015 bereits veröffentlicht. Der Fokus heute liegt, wie sollte es auch anders sein, mit vier von fünf Stücken auf der Anfang des Jahres erschienenen Platte "Zam​ā​ru Ultu Qereb Ziqquratu Part 1". Auch wenn die Kompositionen größtenteils instrumental daherkommen, heißt das im Umkehrschluss mitnichten, dass die Stücke keine Geschichten zu erzählen hätten. Wer hier aber gerne mit mehr Hintergrundwissen ausgestattet werden möchte, kann additional gerne noch einen Blick in das Review oder Interview werfen. "Musik für die Götter" nennt von Landau das Konzept seiner Musik gerne und bezieht sich hierbei vor allem auf die Erkundung des alten Babylons mit einem fast mythischen Ansatz durch die Augen der exilierten Gefangenen aus Jerusalem.

Das heißt hier und heute in Sounds übersetzt: Ätherische, orientalische und majestätische Instrumentalklänge, die aus hypnotischen Synthesizern und Gitarrenschichten bestehen. Introspektive Klangabenteuer, die die Seele erheben und den Geist nähren und zum Träumen und Sinnieren anregen. Die Mischung aus alten östlichen Elementen und modernen Instrumenten und Techniken schafft gerade live eine spektakuläre und fast meditative Erfahrung.

Natürlich hätte man gerne eine oder am besten gleich beide Gastsängerinnen der aktuellen Platte hier heute gewusst, aber die Band besitzt glücklicherweise ausreichend instrumentale Fähigkeiten, um das Fehlen der Stimmen hier angemessen zu kompensieren. Gelegentlich werden zwischen den einzelnen Stücken auch munter mal Gitarre und Bass hin- und her getauscht, was ebenfalls eindrucksvoll demonstriert: Die Jungs wissen genau, was sie hier tun.

Nach einer guten Stunde läutet dann auch WYATT E. den verdienten Feierabend ein und lässt ein mehr als zufriedenes Publikum zurück. Der Mix aus maritimer Atmosphäre sowie orientalischen und Drone-fokussierten Klängen hat hier mal wieder 100%ig geklappt. Derlei Konzerte aus den Tiefen des Undergrounds sollten viel öfter mal hierhin verlegt werden.

Da für meinen Fotografen und mich, neben schnöder Lohnarbeit, am morgigen Tag mit TEAM SCHEISSE in der Großen Freiheit auch gleich das nächste gemeinsame Konzert ansteht, belassen wir es nach dem Konzert dabei und gehen brav unserer Wege gen home sweet home. Natürlich aber nicht, ohne vorher bei einem netten Abschiedspläuschchen mit Sébastien ihm noch das eine oder andere Merch-Textilstück abgenommen zu haben. Support the Underground, you know...

Ahoi, Kapitän, auf das nächste Abenteuer auf hoher See.

Setliste: Qaqqari Lā Târi Part 1; About The Culture Of Death (Kerretu Mahrû); Im Lelya; Šarru Rabu; Ahanu Ersetum

Text: Stephan Lenze, Fotcredits: Thomas Ertmer

Redakteur:
Stephan Lenze

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