Wacken Road Show - Berlin

21.04.2006 | 10:14

19.04.2006, Kato

Die Wacken Road Show ist schon ein merkwürdiges Konstrukt. Man nehme: einen zugkräftigen Namen ("Wacken" eben) sowie eine Hand voll Bands, von denen eine sogar für das eigentliche Festival gebucht ist, die aber stilistisch derart unterschiedlich sind, dass man sie gar nicht zusammen auf eine Bühne stecken sollte. Dann garniere man das Ganze mit zugegebenermaßen äußerst fairen Preisen (VVK um die 15 Euro, T-Shirts ab 10 Euro) und schicke dieses bunte Päckchen quer durch die Republik. Offenbar ging die Rechnung bisher auf, denn mit der vierten alljährlichen Tour ist die Wacken Road Show längst den Kinderschuhen entwachsen.

Zumindest im gerade mal zur Hälfte gefüllten Berliner Kato scheinen - wenn man die Anzahl der von den Gästen getragenen bedruckten Leibchen irgendwie potenziert - ca. siebzig Prozent der Anwesenden nur wegen ENSIFERUM gekommen zu sein. Zwanzig Prozent gehen vielleicht auf ORPHANED LAND (die Band, die auch in Wacken spielen wird). Die anderen zehn Prozent sind entweder unentschieden oder tatsächlich an einer der Vorgruppen interessiert.

Bei SPELLBOUND dürften es jedoch maximal zwei Prozentpünktchen sein. Der Sicherheitsabstand vor der Bühne ist groß, und die süddeutschen Thrash-Metaller können ihn auch im Laufe ihres 30minütigen Sets nicht wesentlich verringern. Dabei wurde dem Vierer um Frontgrunzer und Bassist Lennart Vocke auf ihrem letzten Silberling "Incoming Destiny" von gleich zwei POWERMETAL.de-Redakteuren eine beachtliche Leistung bescheinigt. Nur dass sie hier einfach nicht das richtige Publikum dafür finden.

Auch NOISE FOREST gebe ich maximal fünf von hundert Interessenspunkten. In der allerersten Reihe direkt vor (!) der Bühne bewegt sich auch ein bisschen was. Immerhin rülpsen hier gleich zwei Menschen (Bassist Boris Kronenberg und Gitarrist Owe Koch) um die Wette, was der Sache etwas Abwechslung verleiht. Trotzdem geht dem Berliner Publikum dieser Kieler Hardcore-Thrash-Mix ebenfalls ziemlich am Allerwertesten vorbei. Das gemütliche Café des Clubs, in das man sich bei Nichtgefallen des Bühnengeschehens herrlich zurückziehen kann, bleibt jedenfalls weiterhin gut gefüllt.

Ich persönlich zähle mich zu den bereits erwähnten zwanzig Prozent, die nur wegen ORPHANED LAND angerückt sind. Die Israelis sieht man einfach viel zu selten, als dass man sich eine solche Chance entgehen lassen dürfte. Gleich vorweg genommen: So genial wie auf dem letzten ProgPower Europe sind sie heute leider nicht. Vor allem fehlt mir Keyboarder Eden Rabin, der die Band Ende letzten Jahres verließ und dessen sonniges Dauerlächeln einfach ansteckend wirkte. Ein Ersatz ist bisher nicht gefunden und wird offenbar auch nicht verstärkt gesucht. Gitarrist Yossi Sa'aron berichtet mir nach dem Auftritt, dass auf dem kommenden Studioalbum voraussichtlich Produzent und PORCUPINE TREE-Chef Steven Wilson diesen Part übernehmen wird. Zum Glück begehen die nunmehr zum Quintett geschrumpften Exoten live nicht den Fehler, allzu viele Keyboardklänge aus dem Computer dazu zu mischen, der mit der Einspielung der orientalischen Instrumente sowie schon genug zu tun hat. Somit ist der neue heimlich Star der Bühne Gitarrist Yossi, den ich an diesem Abend zum ersten Mal livehaftig erlebe. Zuletzt hatten ORPHANED LAND nämlich immer stillschweigend einen Miet-Gitarristen namens Tal im Gepäck, während Yossi, wie er mir hinterher augenzwinkernd erzählt, zu Hause über neuen Songs brütete. Der Sympathikus tänzelt mit einer südländischen Leichtigkeit, lässt mit seinem Hüftkreisen so manche Bauchtänzerin alt aussehen und sucht wo es nur geht den Kontakt zu den Fans. Ich wage mir kaum auszumalen, wie vor-Freude-überschäumend ein Konzert mit den beiden Strahlemännern Yossi und Eden erst gewesen wäre. Dem Rest der Mannschaft merkt man die auf der letzten Tour mit PARADISE LOST gewonnene Routine an, und auch die Setlist bietet kaum Überraschungen. Die Ansagen von Sänger Kobi Farhi sind freundlich, aber wenig spontan, seine stimmlich Leistung ist gewohnt gut, aber sein Gesicht eher verschlossen. Vielleicht hat ihnen der nicht gerade ermutigende Tourauftakt (Berlin ist die zweite Station der Wacken Road Show, keine Ahnung, wie es in Kiel gelaufen ist) etwas die Stimmung verhagelt, denn ich habe eigentlich alle (bis auf Yossi - logisch) deutlich enthusiastischer in Erinnerung. Trotz dieser kleinen Performance-Defizite bangen vor allem die weiblichen Fans in den ersten Reihen begeistert ab. Zwei Jungs links hinter mir können sich vor Staunen gar nicht mehr einkriegen ("Mann, die rocken ja richtig!"), singen sogar bei den alten Stücken mit und skandieren zwischendurch immer wieder lauthals "Wir wollen euch in Wacken sehen!". Ja, das würde ich auch gerne!

Setlist:
Ocean Land
El Méod Na'ala
The Kiss Of Babylon
Of Temptation
Birth Of The Three
Halo Dies
Amen
Norra El Norra
Ornaments Of Gold

Zu ENSIFERUM wird es im Café plötzlich schlagartig leer und man kann zum ersten und einzigen Mal an diesem Abend von wirklich guter Stimmung auf und vor der Bühne sprechen. Der Fünfer um Hungerhaken Petri Lindroos rockt, das Publikum rockt, und der Barmann hat für eine gute Stunde relative Ruhe. Trotzdem kann ich spätestens seit ich festgestellt habe, dass Petris Nebenspielweise NORTHER fast genauso klingt, nicht mehr so recht nachvollziehen, was an ENSIFERUM so spannend sein soll. Der Fronter trägt immer noch zu Beginn seinen Kuhflecken-Cowboyhut, er und seine Mannen können sich immer noch keine T-Shirts leisten (genau wie ihre Kieler Kollegen von NOISE FOREST - scheint am kalten Klima zu liegen), und die Songs der aktuellen EP "Dragonheads" (die fast komplett zum Besten gegeben wird) klingen auch nicht viel anders als die des Debüts "Ensiferum". Man könnte es vermutlich "gleichbleibende Qualität" nennen, wenn man dem grundsätzlich nicht abgeneigt wäre. Was bei den meisten der Anwesenden auch der Fall zu sein scheint. Nach dem Absprung von KNORKATOR von dieser Tour haben sich die Finnen jedenfalls als taugliches Zugpferd für eine kleine Clubshow erwiesen, ob da nun "Wacken" drüber steht oder nicht.

Setlist:
White Storm
Tale of Revenge
Dragonheads
Windrider
Warrior's Quest
Treacherous God
Hero In A Dream
Into Hiding
Token Of Time
Iron
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Battle Song

Redakteur:
Elke Huber

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