With Full Force XV - Roitzschjora
25.07.2008 | 13:4004.07.2008, Festivalgelände
Der härteste Acker Deutschlands wird nun seit zehn Jahren von Metalfans aus aller Welt umgepflügt. Roitzschjora – ein Name wie Donnerhall. Das sächsische Dörfchen hat sich als Gastgeber des buntesten und härtesten Festivals des Sommers etabliert und wird Austragungsort so manch spektakulärer Schlacht werden: Wall Of Death, Circle Pit, Mosh-Pit, Wettsaufen, Krautsurfen und viele weitere spektakuläre Disziplinen werden wieder tausende in den Bann ziehen und für blaue Flecke sorgen. Da darf natürlich POWERMETAL.de nicht fehlen, und so ziehen Enrico und Dennis in den Kampf. Lasst die Spiele beginnen!
Wie jedes Jahr tummeln sich bereits am Donnerstag tausende von Metalheads auf den Zeltplätzen, um sich bei hochprozentigen Getränken und lautstarker Musik entweder gleich bis zum Sonntag abzuschießen oder sich gepflegt warm zu trinken. Etliche DJs legen in diversen Frühstücksbuden oder direkt am Eingang zum Festivalgelände feine Töne auf. Trockentraining ist angesagt. Rein in den Kopf und ab ins Zelt. Drei harte Tage warten.
[Enrico Ahlig]
FREITAG
Als Opener der Geburtstagssause haben sich die Münsteraner Death-Metaller von MISERY SPEAKS angekündigt. Mit ihrem aktuellen Album "Catalogue Of Carnage" konnten sie einige alteingesessene Schweden-Bolzen hinter sich lassen und bereits vergangenen Winter bei der "Darkness Over X-Mas"-Tour für Nackenschmerzen sorgen. Der Krach beginnt. Was sehe ich da? Hat sich Sänger Claus Ulka einen fetten Bart stehen lassen? Wo früher ein glatt geschliffener Jüngling für den Gesang sorgte, erblicke ich einen waschechten Waldschrat: zottelige Haare, Vollbart, Hippie-Stirnband und IRON MAIDEN-Shirt. Wie sich herausstellt, ist dies der neue Sänger Przemek Golomb – na schau an. Er macht seine Sache wie seine Kollegen richtig gut, und so können sie dem Full Force eine erste kleine Erschütterung bescheren. Songs wie 'Sentiment Is Missing' rappeln vor den Latz, dass die Sonne auch einen Blick aus der Wolkendecke riskiert. Schöner Opener, der Lust auf mehr macht.
[Enrico Ahlig]
Das Frickelgewitter aus Berlin ist bei Ankunft bereits in vollem Gange, und hier stimmt erst mal alles. Das kaum greifbare Mathcore-Geschredder von WAR FROM A HARLOTS MOUTH überfordert zwar einige der Anwesenden sichtlich, dennoch greifen die Jungs unglaublich tight in die Saiten. Die Breaks sitzen auf die Sekunde, und jedes Mal, wenn man denkt, ein wenig mitgehen zu können, reißen einen die Berliner heraus, um den nächsten Taktwechsel durch die Gehörgänge zu schießen. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus positiv, dass WAR FROM A HARLOTS MOUTH zu Zeiten spielen, in denen der Geist noch nicht übermäßig durch Alkohol beeinflusst ist. Bei aller Härte und Präzision bleibt dennoch fraglich, wie "festivaltauglich" Mathcore-Bands sind - zum Anschauen/-hören hervorragend, zum Feiern denkbar ungeeignet. WAR FROM A HARLOTS MOUTH umschiffen diese Klippe dank einiger griffiger Gitarrenläufe und Grindcore-Blasts dabei erfolgreicher als ihre Genrekollegen einen Tag später. Und so wird die Masse vor der Tentstage zwar im Laufe der Show kleiner, was aber nicht an mangelnder Qualität, sondern vielmehr am Sound- und Anforderungs-Overkill liegt. Immerhin gibt es ordentlich was für die Augen - in Sachen Bühnendynamik eines der Festival-Highlights. Einen Namen als großartige Musiker haben sich die Jungs ja bereits erspielt, nach dieser Show ist auch der Stempel "live wertvoll" hinzugekommen.
Von DRONE ist dann leider nicht mehr allzu viel zu sehen. Ärgerlich, denn was da in den letzten drei Songs von der Bühne schallt, ist absoluter High-Class-Neo-Thrash irgendwo zwischen MACHINE HEAD und CHIMAIRA. Frontmann Moritz Hempel posiert in bester Robb-Flynn-Manier und beeindruckt mit melodischer Killerstimme. Dahinter ein tadelloses Soundkostüm mit interessanten Melodien, kleineren Solofragmenten und jeder Menge Groove. Die beachtliche Menge vor der Mainstage dankt es den Jungs aus Celle mit frenetischem Applaus und stets wiederkehrenden "Überraschung des Festivals"-Prädikaten. Beeindruckendes Statement - hoffentlich bald wieder, und dann in voller Länge.
Das erste große Leuchtsignal auf dem Billing sind mit großem Abstand die schrägen Schweden von MESHUGGAH. Der einzige Festivalauftritt der sich eh schon rar machenden Progressive-Death-Truppe wurde von vielen Leuten mit Spannung erwartet, und die "old swedish band" um Tomas Haake dürfte niemanden enttäuscht haben. Der (gefühlt viel zu kurze) Set ist gespickt mit alten wie neuen Gewaltbrocken, verpackt in den unvergleichlich mächtigen Soundpanzer der achtsaitigen Gitarren. Das alte Material findet zwar immer noch mehr Akzeptanz (siehe die Reaktionen auf 'The Mouth Licking What You've Bled'), aber auch die Auskopplungen der neuen Platte "ObZen" lassen keine Wünsche offen. Jens Kidman, bei dem ich unbedingt wissen will, was er vor Auftritten für Zeugs nimmt, präsentiert sich in Hochform, schleicht in altbekannter Manier wild gestikulierend und mit hochgerollten Augäpfeln über die Bühne und lässt allen Taktverschiebungen zum Trotz keine Textzeile aus. Überhaupt hat man bei MESHUGGAH live stets das Gefühl, dass sie sich nie, aber auch wirklich niemals verspielen. Bei 'Future Breed Machine' bricht die Hölle dann wie zu erwarten vollständig los. Die gesamte Mainstage ist in Bewegung und nutzt die wenigen Ruhepausen lediglich, um neue Energie für den nächsten Ansturm zu tanken. Interessant ist der direkte Vergleich zu den vorher aufgetretenen WAR FROM A HARLOTS MOUTH, die ja quasi der nächsten Generation der Prog-Death-Bands angehören. Wo WAR FROM A HARLOTS MOUTH hochkomplizierte schnelle Wechsel bevorzugen, glänzen MESHUGGAH mit einer teils fast schon behäbigen, aber unüberwindbaren Soundwand, die nicht weniger ungriffig und doch so viel mitreißender wirkt. Mit zufriedenem Grinsen verlassen die Schweden die Bühne, den bis dato besten Auftritt des Jubiläums-WFF im Rücken.
[Dennis Hirth]
CALIBAN steigern den nachmittäglichen Spaß ohne Probleme. Bereits seit Jahren zerpflügen sie den Acker von Roitzschjora – dieses Jahr soll keine Ausnahme werden. Mit ihrer dynamischen Mischung aus satten Riffs, brutalem Geboller, cleanem und shoutigem [Glückwunsch! - d. Red.] Gesang locken sie vor allem das junge Publikum vor die Bühne. Diese fressen Sänger Andy aus der Hand und lassen sich zur Wall Of Death nicht zweimal bitten. Circle Pits, soweit das Auge reicht, lassen die Musik fast zur Nebensache werden. Dabei präsentiert sich die Band auch musikalisch in Bestform und obendrauf die neue Single 'I Never Let You Down'. Die Arme kreisen, die Hüften schunkeln, und mein Sonnenbrand nimmt langsam Form an. Heiß, heiß, heiß!
Ob uns DIE APOKALYPTISCHEN REITER eine Abkühlung verschaffen? Wohl kaum, denn dazu sind sie live einfach zu gut. Eine Macht, die zum großen Höhepunkt des Nachmittags mutiert. Fuchs und Kollegen präsentieren ihre gewohnte Mischung aus Power Metal, Black Metal und jeder Menge Chaos. An der Gitarre ein ungewohntes Bild. Wo früher Pitrone den Sechssaiter verprügelt hat, wird er nun vom weiblichen Geschlecht gestreichelt. Lady Cat-Man stellt sich dem Full Force vor. Ein etwas irritierender Anblick, was sich aber im Laufe der nächsten Monate geben wird. Apropos geben: Dr. Pest gibt sich der Schaukel hin und zeigt sein bestialisches Wesen. 'Es wird schlimmer' jagt aus den Boxen und mir die Schuhe von den Füssen. Die Stimmung ist ausgelassen – so muss es sein. Bier und REITER – gibt es ein besseres Paar? Die Schiffe setzen auch wieder über, und so galoppiert die Truppe aus Weimar zum ersten großen Gewinner an diesem Eröffnungstag.
MORBID ANGEL können da nur abstinken. Obwohl sie zu den Großmeistern des Death Metal gehören, leert sich der Vorplatz doch merklich. Nicht die einzige alte Band, die dieses Schicksal ereilt. Mit 'Nevermore' pflanzen sie sogar ein neues Stück in den Acker – richtig vom Hocker haut dies jedoch keinen. Schade, denn MORBID ANGEL spielen sich den Arsch ab. Vielleicht einfach beim nächsten Mal eine Wall Of Death ausrufen? Dann klappt es auch mit den Kiddies. Songs à la 'God Of Emptiness' und 'Dawn Of The Angry' hacken zwar mächtig im Ohr, doch alleine Kopfwackeln macht auch keinen Spaß. In Sachen Stageacting stellen sich MORBID ANGEL als äußerst statisch heraus, was auch nicht gerade zur Begeisterung beiträgt. Unterm Strich bleiben die Jungs trotz ausgewogener Setlist weit unter ihren Möglichkeiten und hinter den Erwartungen zurück.
[Enrico Ahlig]
Das Mafiosi-Kommando, unterwegs im Namen des Oi!-Punk und Ska, steht seit Jahren für absolut erstklassige Livemusik mit hohem Partyfaktor. Der Beitrag zum Jubiläum gestaltet sich bei den BROILERS kein Stückchen anders - im Gegenteil: Die Düsseldorfer Dauerbrenner verwandeln die Hardbowl in ein Volksfest, das geprägt ist von erhobenen Fäusten, laut mitsingenden Mündern und sich windenden Körpern. Mit begnadeter Gänsehautstimme verabreicht Chefbroiler Sammy Amara der Masse die gesamte Schaffensperiode, geprägt natürlich von Titeln des '07er Erfolgs "Vanitas". Bei 'Ruby Light & Dark' schwappt die Stimmung endgültig über, und bis zum letzten Ton werden die BROILERS ob ihrer begeisternden Leistung geradezu angehimmelt. Sammy und Co. liefern trotz verletzter Bassistin, welche die Band dennoch weiterhin stimmlich unterstützt, das absolute Tages-Highlight und haben daran auch sichtlich Spaß. Wen würde es da wundern, wenn '(Ich bin) bei dir' demnächst zur besten Sendezeit aus dem Zelt in die Ohren der Leute kriecht. 'Das Verdikt, Rache' jagt mir einen wohlig melancholischen Schauer über den Rücken, und teilweise muss man direkt eine Träne wegdrücken, so emotional zocken die NRWler ihren Set. Zwischenzeitlich beschwören die BROILERS immer wieder das Recht des Menschen auf Individualität und Selbstverwirklichung - es geht also auch mit positiven Messages. Großartig!
[Dennis Hirth]
Vor der Bühne tummelt sich im Anschluss Jung und Alt, um mit den New Yorker Heroen von AGNOSTIC FRONT mächtig Gas zu geben. Musikalisch sicherlich keine Offenbarung, kommen jedoch die fanatischen Crowdsurfer auf ihre Kosten. Die Security muss Schwerstarbeit verrichten, während sich Sänger Roger Miret alle drei Sekunden ans Näschen packt. Hat der Gute etwa Schnupfen? Zumindest an Agilität fehlt es Roger nicht, und so jagt er wie ein Derwisch über die Bühne, keift, schimpft und schießt gegen alles, was ihm die Leber hart macht. Natürlich darf 'Gotta Go' nicht fehlen, bevor es zu einer Völkerwanderung kommt. Die Fans der Hardcore-Helden verziehen sich. Das junge Gemüse ist wieder an der Reihe, denn die Waliser von BULLET FOR MY VALENTINE stehen auf dem Plan.
Noch vor zwei Jahren waren sie eine der großen Überraschungen. Heute haben sie sich verdientermaßen einen der Headliner-Posten gesichert, denn "Scream Aim Fire" konnte sich sehen und vor allem hören lassen. Allen Zweiflern knallen sie ein fettes Brett an den Kopf, was auch die älteren Semester vor die Bühne ziehen lässt. Mit dem Titeltrack des aktuellen Werks geht es wütend los. Matt thront wie ein König auf der Bühne und lässt keine Zweifel aufkommen, dass sich die Waliser mittlerweile in der ersten Reihe der angesagten Metal-Acts eingefunden haben. Mit 'Tears Don't Fall' und 'Spit You Out' geht es natürlich auch zum Debütalbum "The Poison" zurück. Doch die Highlights sind zweifelsfrei die neuen Granaten. 'Eye Of The Storm' lässt METALLICA-Assoziationen aufkommen und schwingt die Thrash-Keule gnadenlos. Mit der aktuellen Single 'Waking The Demon' setzen sie ein letztes Ausrufezeichen und die Messlatte für alle folgenden Bands extrem hoch! Grandioser Auftritt einer der hoffnungsvollsten Bands der Gegenwart!
[Enrico Ahlig]
MACHINE HEAD lassen sich beim Soundcheck (gezwungenermaßen) sehr viel Zeit, denn zunächst will der Bass nicht so, wie die Roadies wollen. Die Ungeduld brodelt durch die wabernde Menge, und zum ersten MACHINE HEAD-Gig seit sechs Jahren scheint das gesamte Full Force erschienen zu sein. Mit Verzögerung entert die Flynn'sche Truppe dann mit 'Clenching The Fists Of Dissent' die Mainstage. Speziell Phil Demmel ist die Spielfreude tierisch anzusehen, auch wenn nun er es ist, der mit technischen Ausfällen und daraus resultierenden Spielpausen von weit über einer Minute klarkommen muss. Keine Ahnung was da schiefläuft, aber warum sich die Technik-Crew (ob jetzt vom WFF oder von MACHINE HEAD ist egal) ausgerechnet beim Headliner so viele Patzer erlaubt, ist doch seltsam. Aber nicht nur in Sachen Hardware hakt es: Wer einigermaßen MACHINE HEAD-fest ist, kann auch einige Spielfehler raushören. Schwer zu sagen, ob die Jungs zu aufgedreht, nervös oder angetrunken sind, aber wirklich präzise ist das alles nicht. Dafür transportiert die Band die legendäre Sympathie und Partylaune, die MACHINE HEAD-Shows seit jeher ausmachen. Zwischen den Songs nimmt sich Robb Flynn ab und an zwar etwas viel Zeit zum Reden, lässt aber auch keine Gelegenheit aus, sich bei den Full-Force-Gängern zu bedanken, und ist von der Publikumsreaktion augenscheinlich überwältigt.
In Sachen Setlist ist die Show eher mittelmäßig, da sehr "The Blackening"-lastig und ohne wirkliche Überraschungen. Nicht falsch verstehen, die Platte hat ihre Qualitäten, bietet aber durch die sperrigen Songs kein Live-Material ('Halo' vielleicht ausgenommen). Und absolute Evergreens wie 'Burn My Eyes' haben mehr verdient, als mit den Standards 'Old' und 'Davidian' abgefertigt zu werden. Aber egal, was gespielt wird, kommt an, und dementsprechend setzen MACHINE HEAD an diesem Abend wie zu erwarten den Stimmungshöhepunkt auf der Mainstage. Das Sahnehäubchen ist sicher das MAIDEN-Cover 'Hallowed Be Thy Name', das solide dargeboten wird und die ewige Gänsehautnummer 'Descend The Shades Of Night'. Ein würdiger Headliner für das Full Force mit Abstrichen in der B-Note und dem Sympathiebonus des Tages.
[Dennis Hirth]
- Redakteur:
- Enrico Ahlig