36 CRAZYFISTS - The Tide And Its Takers
Mehr über 36 Crazyfists
- Genre:
- Emo / Hardcore / Metal
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Ferret Music
- Release:
- 27.05.2008
- The All Night Lights
- We Gave It Hell
- The Back Harlow Road
- Clear The Coast
- Waiting On A War
- Only A Year Or So...
- Absent Are The Saints
- Vast And Vague
- When Distance Is The Closest Reminder
- Northern November
- The Tide And Its Takers
Undank ist der Welten Lohn
So manch einer Band will ja trotz jahrelanger Anstrengung, einer ansehnlichen Diskographie und interessanten musikalischen Ansätzen einfach nicht der Sprung in die erste Reihe des internationalen Metalzirkus gelingen. Im Fall der 36 CRAZYFISTS gibt es dafür meiner Ansicht nach einen plausiblen Grund: Die Truppe saß vom Beginn ihrer Karriere an stets zwischen den Stühlen, wurde unter anderem dem Nu Metal, der Emo-Strömung, dem modernen Hardcore, später der häufig zur Modeerscheinung degradierten Metalcore-Richtung zugeordnet. All dies im Übrigen nicht ganz zu Unrecht, denn die Nordamerikaner verwenden tatsächlich all diese Einflüsse, ohne sich auf eine Schublade festzulegen, und kreieren so ihren ganz eigenen typischen Sound, der zwar recht charakteristisch, aber nie zwingend innovativ geklungen hat. Und so sind die 36 CRAZYFISTS den Emo-Anhängern zu hart, den Hardcorefans zu weich, den Traditionalisten zu "nu", der heutigen Metalcore-Jugend nicht brutal genug. Was bleibt, ist ein harter Kern treuer Fans, der die Band seit Jahren begleitet und zuverlässig abfeiert. Aber auch so objektiv wie möglich betrachtet muss man Brock Lindow und seinen Mannen zugestehen, die Musikwelt hier und da durchaus mit beachtenswerten Veröffentlichungen bereichert zu haben. Den bisherigen Höhepunkt ihres Schaffens markiert der 2008er Output "The Tide And Its Takers".
Das vierte reguläre Studioalbum der verrückten Fäusteschwinger hebt sich subtil, aber doch klar erkennbar von deren sonstigen Veröffentlichungen ab. Die Band präsentiert sich in einem raueren, sehr klaren Soundgewand, verwendet thrashigere Gitarrenriffs, und klingt insgesamt auffällig frisch und unbefangen. Die weinerlichen Emo-Anteile verschwinden teilweise völlig hinter knackigen Metal-Boliden; zudem schreit Lindow eine Spur kräftiger und überzeugender als gewöhnlich, ohne dass aber den Klargesangspassagen Verve und Gefühl abhanden kämen. So eröffnet der Opener 'The All Night Lights' den Elftracker gleich mit einem rotzigem Oldschool-Riff, das in einen 36CF-typischen, groovigen Vers übergeht, ehe im Refrain wahlweise mitgegröhlt, gesungen oder das Haupt geschüttelt werden kann – das Teil ist Ohrwurm und Sprengladung in einem! Klar, ewiggestrige Traditionalisten werden sich mit Breaks und wiederkehrenden Synkopen nie anfreunden wollen, und die üblichen Kritiker, die sich nicht an Lindows Stimme gewöhnen können, werden auch auf "The Tide And Its Takers" Grund zum Nörgeln finden. Das scheint die Band glücklicherweise einen Dreck zu kümmern, denn was sie auf diesem Album abliefert, ist mitreißend, tanz- und moshbar ohne Ende. 'We Gave It Hell' schlägt exakt in die gleiche Kerbe: Optimistisch und frohgestimmt rockt die Nummer von der ersten Sekunde an los, mit einem unwiderstehlichen Drive, und geht, ohne auf klebrig-süße Melodien zu setzen, sofort ins Ohr und beide Beine. Was übrigens Thomas Noonan (der die Band 2012 leider verließ) an den Drums abliefert, ist meiner Meinung nach eine der am meisten unterbewerteten Leistungen eines Metal-Kesselrührers – unfassbar, wie der Mann groovt, wie er auch die einfachsten Passagen mit Details verziert, die dem Hörer ständig ein anerkennendes Grinsen ins Gesicht zaubern.
Erst mit Track Nr.3, 'The Back Harlow Road', schalten die Amis einen Gang zurück und damit in den Emo-/Hardcore-Modus ihrer sonstigen Veröffentlichungen. Das geht als kleine Verschnaufpause auf einer ansonsten irre flotten Wildwassertour auch schwer in Ordnung. Bereits das folgende 'Clear The Coast' zielt nämlich wieder voll auf die Zwölf, ein gerissener Bastard aus modernem Death und groovenden Nu-Metal-Elementen - die ultimative Abrissbirne für jeden denkbaren Anlass! Mit 'Waiting On A War' wechselt die Band anschließend streckenweise in den Balladen-Modus: Nun werden die Fans der Band bedient, die ihren Herzschmerz mit der Musik der 36 CRAZYFISTS wahlweise ersticken oder verstärken möchten. Von Kitsch dennoch keine Spur – den leistet sich die Band auf "The Tide And Its Takers" nur ein einziges Mal, in dem Fall leider gleich in Form einer gewaltigen Überdosis: Das Interlude 'Only A Year Or So' verwendet das tagebuchartige Gespräch zweier voneinander getrennten Partner, und hier wird nun doch dermaßen eklig auf die Tränendrüse gedrückt, dass selbst ich als Fan der Band diese Nummer bei fast jedem Durchgang ohne zu Zögern überspringe. Ein ärgerlicher Ausrutscher - aber lassen wir das, schließlich folgt mit 'Absent Are The Saints' augenblicklich wieder eine sprichwörtliche Einladung zum Hüpfen, Pogen, Stagediven, Luftgitarre oder Zottelmähne schwingen. Wirklich, hier hören wir die 36 CRAZYFISTS auf dem Höhepunkt ihres Schaffens, rotzig, eingängig, unwiderstehlich. Und das Tolle ist, dass die allerbesten Nummern noch kommen! Vor allem das unerhört gut gelaunte, vorwärts gewandte 'When Distance Is The Closest Reminder', bei dem Noonan an den Kesseln abermals Schnörkel und Beats hervorzaubert, die mich vor Glückseligkeit geradezu durchdrehen lassen, setzt diesem unprätentiösen Album vollends die Krone auf. Und wenn "The Tide And Its Takers" mit dem Titeltrack schließlich ganz unaufgeregt und heiter-melancholisch seinen Abschluss findet, ist der ärgste Liebeskummer längst vergessen, die Sonne durch die Sturmwolken gebrochen, der Tag gerettet und die Welt hinter einem verklärten Schleier neu erstanden.
Ob sich irgendwer von meinem Loblied auf diese großartige Scheibe von der musikalischen Qualität einer Kombo überzeugen lassen wird, die seit der Jahrtausendwende hartnäckig, doch bislang erfolglos am Aufstieg in die erste Metal-Liga arbeitet? Gehört hat die vier Derwische aus Alaska schließlich fast jeder schon mal irgendwo. Sei's drum, die Band muss sich nicht verstecken – mir ist lieber, sie bleibt bei ihren Leisten, als das zu tun, was ihr so oft ungerechterweise vorgeworfen wurde, nämlich auf einen beliebigen Trend aufzuspringen. "The Tide And Its Takers" zeigt 36 CRAZYFISTS in Topform, und markiert das Highlight in der Diskographie dieser Truppe, die sich stets treu geblieben ist und sich von allen äußeren Widrigkeiten nicht hat entmutigen lassen. Hoffen wir, dass das noch eine Weile so bleibt.
Anspieltipps: When Distance Is The Closest Reminder, Absent Are The Saints, Clear The Coast
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Timon Krause