8 KALACAS - Fronteras
Mehr über 8 Kalacas
- Genre:
- Ska/Metal
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Atomic Fire Records
- Release:
- 25.03.2022
- Frontera
- Pudrete
- Mutante
- Esquizofrenia
- R2rito
- Labios Negros
- Luna
- Garras
- Luz Y Fer
- Gato
- Flatline
- 1941
Der blecherne Thron wird wieder bestiegen!
Wir schreiben das Jahr 1991. Der 18-Jährige Timo mit damals noch gänzlich glattem Kinn legt nach sechs geselligen, kameradschaftlich schönen Jahren die Trompete für immer in ihren Koffer zurück und tritt aus dem Evangelischen Posaunenchor aus.
Spieltechnisch war ich nie mit dem Instrument warm geworden. Das für meinen Begabungsgrad und meinen Ansatz dringend notwendige, aber meist ausfallende regelmäßige Üben geriet gegen Ende meiner Blechbläserlaufbahn immer mehr zur schleichenden Qual, was daher ebenso auf die wöchentliche Chorprobe und vereinzelte Auftritte zutraf. Dennoch blieb ich immer ein Freund von klassischen Trompetenkonzerten und den Klängen der gesamten Instrumentenfamilie. Mit der endgültig und voll umfänglich bei mir ausbrechenden Begeisterung für Rockmusik spitzte ich zudem immer die Ohren, sobald ich blecherne Töne zwischen rockigen Gitarrensounds vernahm. Um Beispiele zu nennen: Zwei Sternstunden der Verbindung von Rockmusik mit Trompeten und Posaunenklängen waren für mich Mitte der 90er Jahre das Album "Let's Face It" von THE MIGHTY MIGHTY BOSSTONES, sowie der Album-Megaseller "Tragic Kingdom" der als lupenreine Ska-Band gestarteten späteren Pop-Stars NO DOUBT. Beide Bands konnte ich in der Blüte ihres Erfolgs live sehen. Außerdem legte ich mir einige Ska-Sampler mit den klassischen Bands und Hits des Genres zu, die regelmäßig ihren Weg in den CD-Player fanden. In den Jahren ab 2005 wurde ich ebenso ein Fan des großartigen FARIN URLAUB RACING TEAM, das live dann nochmal eine ganz andere Macht darstellte, unter anderem wegen den für Touren stets ausgeliehenen Bläsern von THE BUSTERS, die als deutsche Ska-Formation seit 1987 internationale Bekanntheit erreichten.
Die Musik jedoch, die der Wind aus dem mittlerweile wieder recht kräftig schwelenden atomaren Feuer der Gemarkung Donzdorf vor einigen Wochen zu mir herüberwehte, pulverisiert mein bisheriges Hörerleben in Sachen Ska, ließe bei Direktkontakt die Tweedanzüge der mächtigen BOSSTONES in Flammen aufgehen und das stets üppig aufgetragene Makeup von GWEN STEFANI, der Leadsängerin von NO DOUBT, blitzartig austrocknen und abbröckeln! Die sieben Musiker der 8 KALACAS, sprich "Ocho Kalacas", was übersetzt 8 Schädel bedeutet, die auf einer Bühne aussehen, wie die etwas desorientierte, unkonventionelle Straßen-Eingreiftruppe eines mexikanischen Drogenbarons, setzen dabei eine Power frei, die unter den grundsätzlich energiegeladenen, antreibend fiebrigen Sounds der gesammelten Genres Ska, Skapunk und Skacore ihresgleichen sucht und fügen sogar eine neue musikalische Färbung hinzu: Nämlich eine äußerst heftige und metallische!
Dabei erfinden 8 KALACAS auf ihrem aktuellen Album "Fronteras" keinesfalls das Genre neu, wie es im überaus motivierten Infotext ihrer Plattenfirma enthusiastisch sinngemäß umschrieben wird. Vielmehr ersetzen sie schraddelige Punk- und Hardcore-Sounds durch präzise gespielte, fette Metal-Riffs und lassen ihre zwei Sänger keifen und brüllen, übrigens ausschließlich auf Spanisch, dass es SLIPKNOT-Fans eine wahre Freude sein könnte. Darüber hinaus tun sie das, was sie da musikalisch tun, einfach gut, und zwar saugut! Bereits die ersten drei Lieder des dritten Albums der Band seit 2011 legen ein speichelverdampfendes Energielevel fest, das andere Bands in ihren kühnsten Träumen nicht erreichen!
Die sieben Musiker, die wie NO DOUBT aus dem Orange County in Kalifornien stammen, starten die Scheibe mit 'Frontera'. Ein schneidendes Riff geht über in eine überdrehte, im Cumbia-Stil von den trötenden Bläsern getragene Zirkusmelodie. Die abwechslungsreiche Kurzweil dieses starken Songs wird eins zu eins in 'Pudrete' übernommen. Riff, Bläserchorus und es ist wiederum um mich geschehen! Der hühnenhafte Choriz mit seiner Trompete und der immer wild bangende Gio mit seiner Posaune liefern auf dem gesamten Album eine Ausnahmeleistung ab, die wirklich erst in Gänze bestätigt werden kann, wenn sie das, was sie da auf den Tonträger gezaubert haben, auch live umsetzen können. Freilich sind ihre blechernen Klänge allesamt an wild schallernde mexikanische Mariachi- und Cumbia-Traditionen angelehnt. Dennoch atmet die Scheibe diesbezüglich einen unfassbaren Abwechslungs- und somit auch Kompositionsreichtum auf die Bläserarrangements bezogen, dass man sich mit jedem Ton freuen muss, den Riesen und das haarige Posaunenungeheuer in den Reihen der 8 Schädel zu wissen. Aber auch Adam am Schlagzeug, Sick am Bass und nicht zuletzt Steve an der Gitarre machen als klassische Rock- bzw. Metalbesetzung einen fulminanten Job
'Mutante': Riff, lava-artige Metal-Lawine mit dazukommender leichter New-Metal-Rhythmik eingerahmt von den Qualitätsbläsern, das Gebrüll von Sr. Kalaca und Getse, den zwei Sängern, und fertig ist der dritte Faustschlag von 8 KALACAS! Regelrecht trashig wird es zu Beginn von 'Esquizofrenia', einer sehr schnellen Nummer, die hintenraus einen kurzen dramatischen Instrumental-Part verbirgt, der durch verwegene Dramatik im Zusammenspiel aus Riff und Bläsern begeistert.
Wer jetzt denkt, der Energieschub wird endlich gebremst, liegt falsch: 8 KALACAS startet nun die von Wechselgebrüll der Sänger und tollem Power-Refrain geprägte Metal-Lawine 'R2rito', Bläser selbstredend inklusive. Die nächste Nummer ist im Verlauf des Albums eine der typischsten Ska-Kompositionen der Band. Dennoch bietet 'Labios Negros' viel metallische Wucht auf, die an den richtigen Stellen Power in das melodiöse, geradezu radiotaugliche Rocklied mit Bläsern bringt. Eines meiner Lieblingsstücke des Albums folgt mit 'Luna': Diese abermals sehr klassische Oldschool Ska-Nummer wird nach etwas melancholischem Gitarrengesäusel von einer Bläserwand eingeleitet, die Blechblas-Fetischisten unkontrolliert sabbern lässt! Atmosphärisch sehr dramatisch und groß!
'Garras' ist als eine der härtesten Nummern ein fabelhaftes Beispiel, wie nahtlos sich die Metalelemente mit der Ska-Stilistik verknüpfen lassen. Allerdings steigen die Bläser erst im hinteren Drittel der vier Minuten ein, dafür mit monumentaler Ausdruckskraft, wie ich finde. Ähnlich wie 'Labios Negros' und 'Luna' ist auch 'Luz Y Fer' ein nahezu massenkompatibler Ska-Rocksong, der textlich betrachtet von Alkohol und dem Teufel handelt, wenn ich das nicht falsch deute. Überhaupt sollen die Texte bissig verfasst sein, und sich in der Mehrzahl sozialkritischen Themen widmen. Leider bin ich des Spanischen nicht mächtig und konnte mich damit nicht näher beschäftigen. Wer dies zu leisten vermag: Es soll sich lohnen!
Ein akustisches Riff startet 'Gato', das von einem mitreißenden Refrain mit Stakkato-Bläserbegleitung dominiert wird. Dieser Song enthält in der Mitte eine sehr geile Trompeten-Bridge mit anschließendem Tempowechsel. 'Flatline' ist lediglich eine knapp zweiminütige, ungewöhnlicherweise von Klavierklängen getragene Einleitung für das letzte Lied '1941'. Dies wird ebenfalls mit dem Klavier begonnen. Von den Bläsern angeschobener Marschrhythmus geht dramatisch in einen kurzen NO DOUBT-Gitarrenpart über, der eine wütende Hardcore-Ska-Abfahrt eröffnet. Langsam lassen die Musiker in tiefer Tonlage dieses bemerkenswerte Album ausklingen, bevor zum Schluss noch ein letztes energisches Aufbäumen das Lied beendet.
Um es, wie im Teaser angekündigt, in leicht abgewandeltem Game-Of-Thrones-Sprech zu formulieren: 8 KALACAS besteigen in diesem Jahr mit dem hier besprochenen Album "Fronteras" den blechernen Thron aller Ska-Musikanten! Ohne Wenn und Aber: Jeder einigermaßen Ska- und Bläser-affine Fan härterer Rockmusik braucht diese Scheibe dringend!
Vielen Dank fürs Lesen! Und viel Spaß mit dem Album!
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Timo Reiser