AC / DC - PWR/UP
Mehr über AC / DC
- Genre:
- Hard Rock
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Columbia / Sony
- Release:
- 13.11.2020
- Realize
- Rejection
- Shot In The Dark
- Through The Mists Of Time
- Kick You When You're Down
- Witch's Spell
- Demon Fire
- Wild Reputation
- No Man's Land
- Systems Down
- Money Shot
- Code Red
Das unverhoffte späte Karrierehighlight, von dem die Fans geträumt haben, ist da!
Unverhofft kommt zwar nicht ganz so oft, wie das Sprichwort uns glauben machen möchte, aber manches Mal dafür umso gewaltiger. Mit einem solchen Fall haben wir es anno 2020 bei AC/DC zu tun, denn mal ganz ehrlich: Viele Fans empfanden bei aller Liebe schon "Stiff Upper Lip", "Black Ice" und "Rock Or Bust" eher überschaubar gut, bemerkten Ermüdungs- und Abnutzungserscheinungen, und spätestens seit Malcolm Young erst gesundheitsbedingt aufhörte und später verstarb, seit Brian Johnson wegen Gehörproblemen aufhörte, seit Phil Rudd in die Mühlen der Justiz geriet und auch Cliff Williams letztlich keine Lust mehr zu haben schien, gaben die wenigsten noch einen Pfifferling auf die Zukunft der australischen Legende. War Axl Roses Einspringen für Brian Johnson auf den Bühnen dieser Welt zwar durchaus respektabel, so wollten sich doch die wenigsten vorstellen, dass es mit einzig und allein Angus Young aus dem etablierten Line-up noch ein weiteres Album geben könnte.
Diese Nagelprobe bleibt uns allen nun erspart, denn wie seit geraumer Zeit schon Gerüchte nahe legten, nebulöse Zitate aus dem Bandumfeld und einige Paparazzi-Photos vom Balkon des Studios, konnten Angus Young und sein Neffe Stevie Young noch einmal die alte Gang hinter sich versammeln. Brian Johnson kann mit neuen Hörgeräten wieder Gas geben, Phil Rudd scheint sich im Straucheln rechtzeitig vor dem Fall gefangen zu haben, und auch Cliff Williams hat zurück in den Schoß der Band gefunden, so dass sich das Quintett, so klassisch es eben 2020 noch aufgestellt sein kann, mit Stammproduzent Brendan O'Brien und Mischer Mike Fraser im etablierten Warehouse Studio im kanadischen Vancouver verschanzt hat, um dort mit aller hör- und spürbaren Hingabe sein - nach australischer Zählweise - siebzehntes Studioalbum "PWR/UP" einzurocken.
Nun wird niemand von mir erwarten, dass ich euch weismachen möchte, dass AC/DC sich neu erfunden hätte, denn das wohl wäre die Quadratur des Kreises, und sicher ist, dass die meisten Leute, die mit AC/DC schon immer nur wenig anfangen konnten, nun auch nicht mit wehenden Fahnen ins Fanlager überlaufen werden. Wobei es Ausnahmen durchaus gibt, denn "PWR/UP" konnte selbst bei uns in der Redaktion einen großen Skeptiker erweichen. Was ist es also, das die Scheibe umweht, die es vermag Leute auch nach Jahrzehnten der Gleichgültigkeit der Band gegenüber, jetzt und hier noch unter Strom zu setzen, der vorher niemals anlag? Einen Teil des Charmes des neuen Albums macht in jedem Fall die bereits thematisierte Unverhofftheit aus. Wenn eine Band, von der man nimmer viel erwartet hat, plötzlich ein derart starkes Album abfeuert, dann kann das durchaus euphorisieren.
Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die wesentlicheren Aspekte, die "PWR/UP" zum Knaller machen, liegen in der Musik selbst, im wirklich perfekten Sound, und in der spürbaren Attitüde, die hinter und in der Scheibe steckt. Die Produzenten haben das Album groovend, warm, transparent, drückend und heavy in Szene gesetzt, ohne sich dabei auch nur einen minimalen Fehltritt gen Fettnäpfchen moderner Produktionstechnik zu leisten, den Musikern meint man die ganze Platte über anzumerken, dass sie einfach glücklich sind, dass ihnen dieses gemeinsame Album zu Ehren ihres verstorbenen Bruders, Onkels, Kameraden Malcolm - dessen kompositorische Handschrift es auch trägt - noch vergönnt ist, wonach es lange nicht ausgesehen hatte. Dass in diesem natürlich gemutmaßten, aber eben doch sehr nahe liegenden Ambiente, dann auch gute Songs und Aufnahmen gedeihen, liegt nahe, und dies ist dann wohl auch schon das Geheimnis hinter der Nummer 17.
Zur Musik gäbe es viel zu sagen, und doch könnten wir uns auch kurz fassen, denn - natürlich - ist auf "PWR/UP" alles zu hundert Prozent AC/DC in Reinkultur, und selbst schlechte Musikerrater können die Band nach drei Takten eines jeden Songs erkennen. Die zwölf Stücke der Scheibe sind alle zwischen knapp drei und gut vier Minuten lang, bewegen sich meist im groovenden Midtempo, und natürlich zitiert sich die Band hier und da auch ein wenig selbst. Welche stiltreue Band kurz vor dem fünfzigsten Jahr im Business tut das nicht? Aber die Songs haben trotzdem Charakter, Wiedererkennungswert und zwingende Hooks. Besonders beeindruckend ist hier für mich der Frontmann, Brian Johnson, vor kurzem 73 Jahre alt geworden und unlängst leidlich von quälenden Gehörproblemen genesen, bannt er hier nicht nur seine Trademark-Screams auf Vinyl wie eh und je, sondern er packt auch manchmal einen schmachtenden, dunklen Schmäh aus, vor dem man nur den Hut ziehen kann: Hier lebt der Blues und hier hat ein gereifter Musiker aber mal richtig eindrucksvoll bewiesen, wie sehr er es noch drauf hat!
Stevie Young trägt das Erbe seines - nur unwesentlich älteren - Onkels Malcolm an der Rhythmusgitarre nicht nur würdig in die Zukunft, sondern er füllt die großen Fußstapfen perfekt aus, und er harmoniert auch völlig mit seinem Onkel Angus an der Leadgitarre, und dass die Rhythmusgruppe mit Cliff Williams und Phil Rudd einen Groove zaubern kann, wie kaum eine andere, ist eine Geschichte wie jene mit den Eulen und Athen. Aber es hilft ja nichts und muss auch zum hundertstem Male betont werden, denn das geschmeidige, gemächliche und doch intensive Rucken und Zucken im Nacken, der Boogie in den Armen und der Schwof in den Beinen sind quasi unwillkürliche Fremdreflexe, wenn jemand diese Scheibe irgendwo auflegt. Man kann gar nicht anders.
Es ist fast alles gesagt, was wichtig wäre. Die Platte nun auch noch Stück für Stück ganz ausführlich durchzugehen, soll euch erspart bleiben, lediglich das wirklich grandios gesungene 'Rejected', die groovende Single 'Shot In The Dark' - deren Licks hier und da mal 'Given The Dog A Bone' zu zitieren scheinen -, das so entspannte wie epische 'Through The Mists Of Time' mit seinen tollen Backing Chören, und das dunkle 'Demon Fire' seien als besondere Anspieltipps erwähnt, und als Krone des Albums das grandiose 'Witch's Spell', das für mich ohne jeden Zweifel mein liebster AC/DC-Song seit der "The Razor's Edge" geworden ist, weil er so kraftvoll und intensiv ist.
Am Ende ist "PWR/UP" für mich also in jedem Fall der zwar nicht erwartete aber durchaus erhoffte Volltreffer und das späte Karrierehighlight, das ich mir von AC/DC noch gewünscht habe. Wollen wir hoffen, dass es nicht die letzte Scheibe war, doch selbst wenn, mit einem solchen Werk stünde am Ende ein echtes Ausrufezeichen!
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle