AGALLOCH - Marrow Of The Spirit
Auch im Soundcheck: Soundcheck 12/2010
Mehr über Agalloch
- Genre:
- Black Metal
- ∅-Note:
- 7.50
- Label:
- Viva Hate (Cargo Records)
- Release:
- 03.12.2010
- They Escaped The Weight Of Darkness
- Into The Painted Grey
- The Watcher's Monolith
- Black Lake Nidstang
- Ghosts Of The Midwinter Fires
- To Drown
Und der mächtigste von allen Herrschern ist der Augenblick.
Welch packend unpackender Beginn! Wasserrauschen, Vögelgezwitscher, Zirpen und Zwacken, warme Sonnenstrahlen, die auf feucht glänzendes Moos fallen und lückenlos eingepasst die satten Töne eines Cellos, das diese Szenerie auch musikalisch aufgreift. Das Intro 'They Escaped The Weight of Darkness' vom neuesten Album "Marrow Of The Spirit" der Amerikaner bettet den Hörer in eine für AGALLOCH überraschend positive Atmosphäre und erinnert in seiner Schönheit an die zum weinen intensiven Kompositionen wie 'The Wolves Of Timberline'. Und schafft durch seine tiefe Ruhe den Boden, auf dem die weiteren fünf Songs mit einer Spielzeit von einer Stunde gepflanzt und wachsen werden. Überraschend ist auch der Fortgang des vierten Albums, wobei an dieser Stelle unbedingt auf die großartigen EPs hingewiesen werden muss, die sich nahtlos in den Backkatalog einreihen.
AGALLOCH sind dafür bekannt, einen sehr eigenen Weg auf dem Grat zwischen Folk und dunklem, um nicht "Black" zu sagen, Metal. Stark beeinflusst durch die Singer- und Songwriter-Szene der United States Of America, ebenso wie mit Analogien in die stark von den Achtzigerjahren geprägten Neo-Folk-Gewässern – tief und dunkel, wie sie sind, passen sich die Elemente in den hintergründigen Ansatz von AGALLOCH zu einem großen Gesamtkunstwerk. 2010 gestaltet sich die Musik der Band jedoch deutlich fokussierter: Mit einer erdrückend zurückgenommenen Produktion wird avantgardistischer Black Metal geboten, bereichert um post-rockige Melodien und an Shoegaze erinnernde Breitwand-Kompositionen. Während die Songs durch simple Grundstrukturen und sehr sphärisches Riffing gekennzeichnet sind, kommen die Gedanken der Songwriter vor allem durch die Lead- und Sologitarren zum Ausdruck, wobei die Begriffe verschwimmen.
Die relativ hohe Geschwindigkeit des Albums ist ungewöhnlich für die Band und wirft die Frage auf, warum sie durch die gewohnt stimmungsvollen und sehr überlegten Vocals von John Haughm derart kontrastiert werden. Denn der Gesang stellt für mich die deutlichste Analogie zum Backkatalog von AGALLOCH dar. Das Flüstern und die seltenen Screams – die sicherlich keine "klassischen" Black-Metal-Keifer darstellen – führen so zurück in das Jahr 2008, zu "The White", das Songs wie 'Birch White' mit langen, atmosphärischen Sprechphasen enthielt. Jedoch nahezu ohne elektronische Klänge und mit einem sehr geringen Folk-Anteil stellt "Marrow Of The Spirit" also eine weitere Selbstneudefinition dar.
Fazit: Es ist die Frage, was man in der Band sucht. Für mich stellt "Marrow Of The Spirit" ein interessantes, aber letztlich nicht überzeugendes Album dar. Die Anleihen aus dem Shoegaze haben ALCEST faszinierender und authentischer kombiniert, am ehesten stellt "Marrow Of The Spirit" vielleicht den von der Natur inspirierten Gegenentwurf zum tristen Beton von ".neon" von LANTLÔS oder der "Angst" vor der Stadt von TODTGELICHTER dar. Nichtsdestotrotz bietet "Marrow Of The Spirit" eine tolle Bandbreite verschiedenster Ideen und Stilistika, die jedoch in der AGALLOCHschen Definition von Black Metal kulminieren – und an genau dieser Stelle bietet das Album zu wenig. Jedoch ist mit dem 17-minütigen 'Black Lake Nidstang' ein wahres Highlight darauf, was die einsetzende Enttäuschung schlagkräftig mildert und zeigt, was aus "Marrow Of The Spirit" eigentlich hätte werden können.
Anspielstipps: Black Lake Nidstang
- Note:
- 7.50
- Redakteur:
- Julian Rohrer