AGONIST, THE - Lullabies For The Dormant Mind
Mehr über Agonist, The
- Genre:
- Progressive Extreme Metal
- Label:
- Century Media
- Release:
- 20.02.2009
- The Tempest (The Siren's Song; The Banshee's Cry)
- …And Their Eulogies Sang Me To Sleep
- Thank You, Pain
- Birds Elope With The Sun
- Waiting Out The Winter
- Martyr Art
- Globus Hystericus
- Swan Lake, Op. 20 – Scene, Act 2, #10 – Tchaikovsky ( ACappella)
- When The Bough Breaks
- Chlorpromazine
<strong>Die Agonisten sind unterwegs, um den Agonieleidenden da draußen ihre „Schlaflieder für den ruhenden Geist“ vorzusingen… Ob das vielleicht nicht zu sandmännchenhaft ist?<br /></strong>
Meine Güte, was für eine subjektivistische Powerkreation sondergleichen! Gediegen gegossenes, nicht im Mindesten aus der Gosse entdecktes Fortschrittsmetall feministischer Art prasselt wie eine Armee silbrig-heißer Unwettertropfen aufs unterkühlte Gemüt des von Mittelmäßigkeit hypersaturierten Gewohnheitsrockers. Das Unwetter nimmt immer neue voyeuristische Formen an: es entkleidet den Hörer, lässt ihn nackt bei seinem Hörkonsum, will ihn begucken, schauen, wo es ins Innere gelangen kann, simultan packt es dabei jenen an die allerwertesten Eier. Synkretismus ist das Stichwort postmoderner Kunst und auch wenngleich Heavy Metal von mancherlei Lästermaul als bloße „Scheißhauskunst“ verunglimpft wird, verliert die Kunstvorstellung des bunten Miteinanderverknüpfens und Durcheinandermischens in diesem Zusammenhang nichts an Geltung und die des optimierenden Imitierens scheint heute im Gegenzug verzichtbarer denn je, trotz traditionalistisch aufgezogener Alltagsrockgeschichten und neandertalerhaften Steinzeitheckenschneidereien.
Welches Begriffswerkzeug braucht man, um die Musik und eben das hier vorliegende Werk "Lullabies For The Dorman Mind" von THE AGONIST zu umschreiben? Wahrscheinlich folgende Wörter: Jazz, Oper, Grindcore, Death Metal, Thrash- und Black-Metal-Versatzstücke und Mosaike klassischer Musik. All dieser Begrifflichkeiten zum Trotze wirkt das mit Alleskleber zusammengehaltene Korsett nicht im Kindergarten oder der Vorschule zusammen gebastelt, sondern wie ein 10.000-teiliges 3D-Puzzle aufs Pfiffigste und Ausgefuchsteste an der Hochschule zusammengeknobelt. Das Scheinbar-Zusammengewürfelte wirkt in sich schlüssig, logisch nachvollziehbar und aus einem Guss heraus komponiert. Die kanadischen Puzzlefreaks bestechen allen voran durch virtuos- und lateinisch virtusmetallische Tugenden, die auf blankem Juwelenstein erstrahlen: Sängerin Alissa White-Gluz grunzt erzfeindhaft wie die werte Frau Gossow (zwar nicht ganz so fies und brutal wie selbige, aber dennoch mit einem Vibe arglistiger Durchtriebenheit, was man besonders an dem ausgekotzten Einstimmungsschrei auf ' …And Their Eulogies Sang Me To Sleep' zu spüren bekommt) und schwebt wie die Popcornversion einer Operndiva mit ihrem hellen und ungetrübten Lichtorgel-Organ über das blastige Knüppelfundament ihrer instrumentalistischen Mitstreiter. Diese da verrichten auch eine mehr als ordentliche Arbeit und die Tightness ihrer Performance steht der Beat-Detective-Sucht der „Konkurrenz“ in nichts nahe.
Des Weiteren unterstreichen Songs wie 'Chlorpromazine' oder 'The Sentient' noch einmal ganz klar, wie wenig bildungsresistent und unbelehrbar Metalbands sein können. THE AGONIST gehört auf jeden Fall zu der neuen Schule an Klassik und Jazz interessierten Hard'n'Heavy-Musikantenschaft, die Horizonterweiterungen und Horizontverschiebungen gleichermaßen anstrebt. Klassische Musik ist zwar in vielerlei Hinsicht instrumental latent vorhanden, doch symphonisch ist die Truppe nicht, dafür überwiegt ganz klar die thrashige Grundstruktur. Das wird auch nicht unbedingt durch die A-Cappella-Version von Tschaikowskys "Schwanensee" aufgebrochen, obdoch die Interpretation neumodische Anziehungskraft und geheimtippmäßige Qualitäten offenbart. Die Schönheit des Originals wird zwar leider wegen des eiskalten Masterings nicht ganz erreicht, aber über das Ziel von schierer Bildungshommage und Bildungsdemonstration wurde hier im positiven Sinne definitiv hinausgeschossen. Zudem vermag man die standfeste Qualität und Ausgesuchtheit von der lieben Frau Sängerin nach dem Hörerlebnis nicht im Mindesten zu leugnen. Die „Gastarbeit“ in Form von Klavierpassagen von Melina Soochan und Jonathan Lefrancois-Leduc stellen darüber hinaus weitere Nuancen bestrickender Natur zum Gesamtbild von "Lullabies For The Dorman Mind" zur Verfügung.
Zum Schluss lässt sich noch sagen, dass trotz der anfangs attestierten Powerkreation sich hinter dem Vorhang der Fortschrittlichkeit bedauerlicherweise negative Begleiterscheinungen des agonistschen Ideenreichtums bemerkbar machen: zum Beispiel die mangelnde absehbare „Abgehbarkeit“ und die teils fehlende Übersichtlichkeit des Gesamtwerks. Aber eigentlich werden diese Dinge nur von mir angesprochen, um nicht den Eindruck zu erwecken, wir hätten es hier mit einem Jahrhundertwerk zu tun, da dafür einfach noch einiges fehlt, egal wie gut "Lullabies For The Dorman Mind" auch letzten Endes sein mag. An die übersinnliche, spirituelle Schwerelosigkeit einer "Dichotomy" von BECOMING THE ARCHETYPE kommen sie nämlich nicht ran. Das tut ihrer Arbeit dennoch keinen Abbruch.
- Redakteur:
- Markus Sievers