ALCHEMIST - Tripsis
Mehr über Alchemist
- Genre:
- Metal
- Label:
- Relapse / Rough Trade
- Release:
- 05.10.2007
- Wrapped In Guilt
- Tongues And Knives
- Nothing In No Time
- Anticipation Of A High
- Grasp At Air
- CommunicHate
- Substance For Shadow
- God Shaped Hole
- Degenerative Breeding
Es ist wahrlich keine neue Erkenntnis, aber trotzdem traurig: Retorten-Grüppchen, die sich eigentlich nicht mal selbst gut finden können, klischeeüberfrachtete Klopse oder "Musikantenstadl"-Metalbands sind kommerziell gut aufgestellt, während innovative und völlig eigenständige Zeitgenossen wie ALCHEMIST kein Bein auf den Boden kriegen. "We don't rely on hype / Quality always pulls us through", heißt es in 'New Beginning', einem Song des großartigen "Organasm"-Albums aus dem Jahr 2000. Selbstverständnis, Kampfansage und Grund dafür, warum die Plattenverkäufe in einem krassen Missverhältnis zur Klasse der Musik stehen.
An dem kommerziellen Status der Truppe wird auch "Tripsis" nichts ändern. Aber vielleicht springt jetzt endlich mal die Extrem-Metal-Community auf die Australier an. Was war da bisher los? Aufwachen, liebe Leute! ALCHEMIST sind famos, und ihr sechstes Album ist ein Riesenwurf. In einem Spannungsfeld zwischen VOIVOD zu "The Outer Limits"-Zeiten, Psychedelic ohne Drogen-Müll, Beinahe-Death-Metal und Nicht-so-ganz-KILLING JOKE erschafft das Quintett einen hypnotischen Stahl-Sound aus einer vermeintlich anderen Welt. Dieser tönt diesmal wieder aggressiver und ist wesentlich pulsierender als auf dem 2003er Sahneteil "Austral Alien". Jeder Song lädt zum ungezügelten Abzappeln ein, bis man in Trance ist. Das alleine erhebt den Longplayer bereits über unzählige andere. Aber hier steckt noch so viel mehr drin. Stülpt man sich den Kopfhörer über, entfaltet sich die volle Pracht, und die Umwelt wird zur Nebensache. Man fühlt sich ins australische Outback versetzt, irgendwann in ferner Zukunft. Es ist Nacht. Gigantische Raumkreuzer tauchen aus dem Nichts auf. Man rennt. Und Faszination mischt sich mit Angst.
Das Canberra-Quintett betreibt echte Klangmagie. Mit einer Kombination aus simplen Delay-Effekten und pumpenden Riffs verleihen Bandchef Adam Agius und Roy Torkington ihrer Musik mehr Tiefe und Volumen als alle Computer-Orchester-Metaller zusammen. DAS ist Breitwandformat - kein Platz für Geschmiere und "Braveheart"-Pathos. Hinzu kommt Agius' Stimme. Eine Stimme, die mitreißt, rau-aggressiv und facettenreich ist. Anders als auf "Austral Alien", das auch längere melodisch gesungene Passagen enthält, muss man diesmal allerdings genau hinhören, um die Vielfalt zu erkennen. Aber dann ... Diese durchdringenden Schreie, die an Ken Nardi der unvergessenen ANACRUSIS erinnern, diese hin und wieder im Hintergrund zu vernehmenden beschwörenden Vocals, dieser grollende, bedrohliche Sprechgesang - das nimmt gefangen.
Ob die Kerle Songs wie 'Wrapped In Guilt', die unglaublichen 'Tongues And Knives', Grasp At Air', 'Substance For Shadow' und 'Nothing In No Time' oder 'Degenerative Breeding', einen der besten Rausschmeißer, die ich in den letzten Jahren auf einer Scheibe erleben durfte, überhaupt noch übertreffen können, ist fraglich. Aber wenn sie dieses Level weiterhin halten, darf vor Glück das eine oder andere Tränchen verdrückt werden.
Sollte die alte, klapprige Frau Gerechtigkeit doch noch nicht verstorben sein und sich einfach nur in die Einöde zurückgezogen haben, muss sie sich bitte ein letztes Mal aus dem Schaukelstuhl quälen und ihres Amtes walten, damit wenigstens ein paar ALCHEMIST-Alben verscherbelt werden. Obwohl: Eigentlich ist es auch egal. Die Jungs werden sowieso weitermachen. Sie sind seit Ende der Achtziger am Ball, haben schon genug Pfeifen, die kurzzeitig in der Szene rumeierten, überlebt, und als Belohnung dafür gehören sie zu dem verdammt kleinen Kreis der Bands, die unvergleichlich sind. Alle VOIVOD-Fans (nach wie vor die einzige näher definierte Zielgruppe, die direkt angesprochen werden kann) und Metaller, die mal Bock auf was Neues haben, sollten das honorieren, indem sie "Tripsis" in Windeseile kaufen. Allumfassender kann Extrem-Metal nicht sein.
Als Anspieltipp eignet sich ausnahmsweise jeder Track.
- Redakteur:
- Oliver Schneider