ANEKDOTEN - Until The Ghosts Are Gone
Mehr über Anekdoten
- Genre:
- Progressive Rock
- ∅-Note:
- 8.50
- Label:
- Virta / Just For Kicks
- Release:
- 08.05.2015
- Shooting Star
- Get out Alive
- If It All Comes Down to You
- Writing on the Wall
- Until All the Ghosts Are Gone
- Our Days Are Numbered
Endlich wieder ANEKDOTEN!
ANEKDOTEN ist definitiv eine meiner Lieblingsbands! Die ersten beiden Mittneunziger-Scheiben "Vemod" und "Nucleus" waren für mich geschmacksprägend. Weit vor meinem ersten Kontakt zu KING CRIMSON lernte ich diesen verschrobenen, oft ziemlich schrägen Prog der Schweden kennen und lieben. Die Band emanzipierte sich aber Ende der 90iger von der KING-CRIMSON-Epigonie (die ich niemals wirklich als solche wahrgenommen habe) und ging ab "From Within" in einer atmosphärischere und eingängigere Richtung. Dieser Weg setzte sich fort bis zum bis dato letzten Studio-Album "A Time Of Day", das trotz exzellenter Kritiken jedoch nur wenig bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen hat. Ich finde es ein wenig blass.
Und trotzdem hat die Ankündigung eines neuen Albums nach fast acht(!) Jahren meinen Adrenalin-Spiegel nach oben schnellen lassen. Mit meiner Ungeduld habe ich sogar ein paar Kollegen genervt, ich konnte es einfach nicht aushalten, im Netz zu lesen, dass andere das Album schon hören dürfen und ich nicht! Die Wartezeit erschien mir lang, noch länger jedoch dauert es nun, das Album in meinem Kopf sortiert zu bekommen und mit ihm einig zu werden, wie sehr mir das Album nun gefällt.
Fakt ist, dass ANEKDOTEN definitiv wieder proggier agiert als auf dem Vorgänger. Der Anfang des Opener 'Shooting Star' hat eine Schlagseite neuerer OPETH-Kompositionen abbekommen und kniffelt sich dabei exzellent ins Hirn. Und nach knapp drei Minuten ist auch diese schöne, warme ANEKDOTEN-Kaminfeuer-Stimmung wieder da, für die ich wie immer die Stimme von Niklas Barker und die gefühlvolle Tastenarbeit von Anna Sofi Dahlberg verantwortlich mache. Und das Booklet verrät, dass hier auch Tausendsassa Per Wiberg seine Finger im Spiel hat.
Es folgen dann zwei typische Spätphasen-ANEKDOTEN-Tracks, die trotz ihrer atmosphärischen Ausrichtung und breiten Hooklines nicht so richtig bei mir zünden wollen. Auch wenn die Streicher am Ende 'Get Out Alive' und Theo Travis’ (STEVEN WILSON, GONG, THE TANGENT uvm.) Querflöte in den Mitte von 'If It All Comes Down to You' wirklich wunderschön sind.
Und in der zweiten Hälfte dreht "Until ALL The Ghosts Are Gone" dann vollends auf. Wenn der Gesang bei 'Writing On The Wall' nach einem Mellotron-geschwängerten Intro einsetzt, setzt Gänsehaut ein. So direkt und zerbrechlich wurde der Gesang bei ANEKDOTEN schon lange nicht mehr aufgenommen, und ich wähne mich stimmungsmäßig ganz nahe bei einem persönlichen All-Time-Lieblings-Song: 'The Old Man And The Sea' ("Vemod"). Klar, dissonante Klang-Kakophonien wie damals, verzerrten Bass und "hässliche" Akkorde wird man bei ANEKDOTEN wohl nie wieder hören, aber die gnadenlos gefühlvoll gespielten Leads machen dies mehr als wieder wett. Das ist das erste Mal, dass mir Niklas Barker als Lead-Gitarrist so richtig auffällt. Auch die Schlussakkorde des Songs sind mit einem Wort treffend beschrieben: prachtvoll!
Auch der liebliche Titelsong hat seine Stärken und es entstehen Bilder einer einsamen Seen-Landschaft zur Dämmerung. Schwedenmelancholie pur. Und beim abschliessenden 'Our Days Are Numbered' geschieht es dann doch: ANEKDOTEN klingt wieder wie in den Neunzigern! Geschickt verschobene Rhythmen, verschachteltes Schlagzeug, grotesk-verdrehte Harmonien. Die ersten vier Minuten schlägt mein Herz höher, es springt fast aus dem Körper, doch dann mündet der Track gerade noch rechtzeitig in einen düsteren Saxophon-Part (gespielt von Gustav Nygren; NEW ROSE). Doch dieser baut sich langsam zu etwas Monströsem auf und wird dem Album die Krone aufsetzen. In bester MOTORPSYCHO-Manier steigert sich die Band hier in eine schräge, aber niemals zerfasernde Jazz-Prog-Extase hinein, und das ist etwas, das ich von ANEKDOTEN echt nicht erwartet hätte. Überraschand. Genial.
Was sagt der alte ANEKDOTEN-Maniac also abschließend zu "When All The Ghosts Are Gone"? Er ist sehr zufrieden. Er hört eine Scheibe, die tatsächlich alten Tugenden mit Neuem vermischt und am Schluss vielleicht sogar einen Ausblick gibt, wohin es in der Zukunft gehen könnte. Und darauf kann man sich nur freuen! Die Zehner-Werke "Vemod", "Nucleus" und auch "From Within" werden dabei nicht erreicht. Aber man kommt echt schon wieder nahe ran. Das freut mich sehr!
- Note:
- 8.50
- Redakteur:
- Thomas Becker