ANVIL CHORUS - The Killing Sun
Auch im Soundcheck: Soundcheck 12/2009
Mehr über Anvil Chorus
- Genre:
- Prog Metal
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Rockadrome
- Release:
- 29.09.2009
- Deadly Weapons
- Red Skies
- Phase To Phase
- Man Made Machines
- After Time
- Death Of A Dream
- Blue Flames
- Tales
- The Blade
- European
- Such Is Life
- Once Again
Was lange währt, wird endlich gut. Gut? Superb. Die alten Herren zeigen sämtlichen Newcomern, wie es gemacht wird.
Wie lange habe ich dieses Gefühl schon nicht mehr gehabt? Gierig, wie ein Teenager stecke ich mit zittrigen Fingern den harmlos aussehenden Rundling in mein Abspielgerät, in der Hoffnung, tatsächlich der Wundertüte Gehör schenken zu dürfen, die ich mir seit Jahrzehnten von dieser Band erhoffe. Kaum erklingt der erste Ton von 'Deadly Weapons' ist die Welt in Ordnung. Der warme Klang balsamiert die gepeinigte Seele, das treibende Riffing setzt tonnenweise Adrenalin frei, die Melodieführung setzt die Körperbehaarung in Reih und Glied und beim Chorus hält mich nichts mehr. Da wird lauthals mitgesungen. Was zum Henker hat der Andrae heute wieder geraucht, wird sich der eine oder andere Leser jetzt fragen. Gar nichts, ist die lapidare Antwort darauf, der Höhenflug, den ich hier seit einigen Wochen täglich erlebe, wird tatsächlich einzig und allein von den zwölf Kompositionen ausgelöst, die sich auf diesem Meisterwerk befinden.
Da ich allerdings befürchte, dass dieser legendären Band auch heute der Erfolg versagt bleiben wird, der ihnen schon vor über 20 Jahren zugestanden wäre, will ich euch mal ins Licht führen. Gegründet wurde ANVIL CHORUS bereits in den frühen 80er Jahren in der Bay Area. Die diversen Umbesetzungen und Verstrickungen mit Bands wie METAL CHURCH (bei denen Sänger Aaron Zimpel sogar mal Drummer war), LEVIATHAN, CONTROL etc. werde ich jetzt nicht detailliert auflisten (gern geschehen). Es sei aber erwähnt, dass die Band sich nach etlichen Headliner-Auftritten mit diversen Bay-Area-Größen und Supportslots für YNGWIE MALMSTEEN und MÖTLEY CRÜE 1984 auflöste und bis dahin lediglich eine selbst finanzierte Single ('Blondes In Black'/'Once Again') hinterließ. Heute eine gesuchte Rarität. Doug Piercy spielte später bei HEATHEN, Thaen Rasmussen unter anderem bei VICIOUS RUMORS. Der Name ANVIL CHORUS ist seither für alteingesessene Freaks Synonym für einen außergewöhnlichen Stil, der seines Zeit damals wohl voraus war – obwohl die Einflüsse noch viel älter waren. Man darf nämlich nicht den Fehler begehen und auf typischen Bay-Area-Thrash hoffen. Nicht, dass diese Spielart großartig wäre, aber ANVIL CHORUS orientierten sich nicht nur an UFO, den SCORPIONS und der NWoBHM, sondern auch an RUSH. Das heißt, Keyboards haben neben dem dominanten Gitarrenspiel eine wichtige Rolle im Gesamtsound der Band. Allerdings nicht in der heute üblichen Form eines Soundlochstopfers oder einer Bombastunterlage, sondern als gleichwertiges Melodieinstrument, welches für interessante Farbtupfer im variablen Spektrum von ANVIL CHORUS sorgt. Dabei entstehen dann auch mal Musikstücke, die aufs erste Ohr gar nicht in die Schublade "Heavy Metal" passen. Ist das schlimm? Natürlich nicht, denn gute und vor allem zeitlose Musik benötigt keine einengenden Schubladen.
Vor ein paar Jahren gab es dann ein Reunionkonzert mit diversen Musikern der alten Besetzung, die hiernach auf die glorreiche Idee kamen, retrospektiv eine Kollektion der besten alten Songs neu einzuspielen und zu veröffentlichen. Ein schweres Unterfangen, welches schlappe zwei Jahre in Anspruch nahm, ein paar Mitglieder auf der Strecke ließ, aber nun mit der Veröffentlichung von "The Killing Sun" alle Herzen erwärmen wird, die auf außergewöhnliche, höchst emotionale Musik abfahren.
Zwölf Songs, unter denen es keinen Ausfall zu verzeichnen gibt, laufen hier seit Erhalt täglich in Dauerrotation und wollen sich einfach nicht abnutzen. Multitalent Aaron Zimpel, der neben Bass und Gesang auch noch für die Synthesizer zuständig ist, singt so gefühlvoll, dass ich knödeldicke Klöße im Hals bekomme und zentimeterhohe Gänsehaut verspüre. Dabei wird man ihn bewusst gar nicht als besonders herausragenden Vokalisten erkennen, denn er singt weder besonders hoch, noch verfügt er über ein auffällig großes Volumen. Das ist aber alles völlig nebensächlich, wenn Emotionen fließen. Und genau dies gelingt ihm völlig mühelos. Da obendrein die Texte sehr ansprechend und teils herrlich poetisch gehalten sind, ist eine Identifikation sehr leicht.
Ich glaube, genau das ist rein subjektiv eh' das größte Plus dieser sympathischen Altherrenersammlung: Alles klingt so leichtfüßig, man hat teilweise das Gefühl es mit einem unbedarften Newcomer zu tun zu haben, spürt aber im nächsten Moment, wie viel Können und Liebe zu Detail in den einzelnen Songs steckt. Da spielt es überhaupt keine Rolle, ob man einen thrashigen Kracher wie 'Deadly Weapons' (erinnert an HEATHEN) oder einen wavig angehauchten Progsong der Marke 'Phase To Phase' inhaliert. Die Gitarrenarbeit von Thaen und Doug – der hier als Gast auf beinahe allen Nummern zu hören ist – ist nicht von dieser Welt und wird jeden in den Wahnsinn treiben. Da hört man auch die geografische Herkunft deutlich heraus.
Es ist schlicht und ergreifend ein Album zum abtauchen, genießen, aber auch zum abgehen. Es gibt keinen Grund und keine Entschuldigung, nicht zumindest ein paar Hörproben auf der Bandseite anzutesten, denn wer sich als Musikfreund ansieht, kommt an "The Killing Sun" nicht vorbei. Hier ist alles echt: echte Musiker, echtes Können, echte Emotionen. Echt toll.
Okay, das war ausschweifend und ich drohe weiter Exkursionen zu diesem Thema in Kürze an. Bis dahin hoffe ich, alle sind dem obigen Rat gefolgt und freuen sich in Zukunft mit mir auf das weitere Schaffen dieser Legende.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Holger Andrae